Neuer Präsident in Syrien

Der Erbe der Republik

Wie von seinem verstorbenen Vater geplant, ist Baschar al Assad auf dem Präsidentensessel Syriens gelandet.

Baschar al Assad hat es geschafft. Mit 97,3 Prozent der Stimmen wurde er Anfang vergangener Woche in einem Referendum zum neuen Präsidenten Syriens gewählt. 94,6 Prozent der gut neun Millionen Wahlberechtigten nahmen an der Wahl teil. Offiziell stimmten nur 0,3 Prozent gegen ihn, der Rest gab ungültige Stimmzettel ab.

Die breite Zustimmung kam nicht überraschend: Auch Baschars vor einem Monat verstorbener Vater, Hafis al Assad, der 30 Jahre lang autokratisch Syrien regierte, wurde im vergangenen Jahr mit ähnlichen Ergebnissen als Präsident bestätigt. Und Baschar war als einziger Kandidat für die Präsidentschaft angetreten. Zwar hatte sein Onkel, Rifaat al Assad, zwei Tage nach dem Tode des Präsidenten aus dem Exil seinen Machtanspruch angemeldet. Doch als die syrischen Behörden einen Haftbefehl gegen ihn erließen und die arabische Zeitung Al-Hayat über mögliche Gegenmaßnahmen im Falle seiner Rückkehr berichtete, war klar, dass er über keine weitreichende Unterstützung im Lande verfügt.

Im krassen Widerspruch zu der republikanischen Verfassung wurde in Syrien die präsidiale Nachfolge innerhalb der herrschenden Assad-Familie geregelt. Kein Wunder, dass in arabischen Zeitungen der Begriff der »Erb-Republik« kursiert. Der verstorbene Hafis al Assad ging davon aus, dass die »Stabilität« im Lande gewährleistet werden könne, wenn einer seiner Söhne seine Nachfolge antrete. Stabilität in Syrien - das ist die prekäre Balance zwischen der Baath-Partei, der von Alewiten dominierten militärischen Macht und der ökonomischen Macht, die überwiegend in den Händen des Bürgertums aus der sunnitischen Mehrheitsbevölkerung konzentriert ist.

Die Karriere Baschars, der in London Medizin studiert und bis zum Juni dieses Jahres nie ein politisches Amt bekleidet hat, wurde von langer Hand vorbereitet. Im Januar 1994 starb sein ältester Bruder Basil, der eigentlich zum Nachfolger von Assad senior auserkoren war, bei einem Autounfall. Seither ist Baschars Porträt zusammen mit dem seines Vaters auf den Wänden der syrischen Städten zu sehen.

Als Hafis al Assad Anfang Juni ins Koma fiel, wurde Baschars Aufstieg zur Macht rasch von den engen Mitarbeitern des Präsidenten vorbereitet. Dabei schien General Mustafa Tlass, seit 28 Jahren Verteidigungsminister, eine wichtige Rolle zu spielen. Die Stationen der Karriere Baschars: Schon wenige Stunden nach dem Tod von Assad senior beschloss das Parlament eine Verfassungsänderung, durch die das Mindestalter des Präsidenten von 40 auf 34 Jahre herabgesetzt wurde - so alt ist nämlich Baschar. Tags darauf wurde er vom amtierenden Staatschef, Vizepräsident Abdel Halim Khaddam, zum Generalleutnant und Oberkommandierenden der Streitkräfte ernannt. Ende Juni wurde er schließlich beim ersten Baath-Kongress seit 15 Jahren zum Generalsekretär der Partei und Präsidentschaftskandidaten befördert.

Was erbt der neue Präsident? Hafis al Assad hatte zwar - nicht zuletzt durch das enge Netz der Geheim- und Sicherheitsdienste - politische Stabilität erreicht und dem syrischen Staat mit der Kontrolle Libanons die Position einer Regionalmacht garantiert. Doch der Preis dieser Politik ist ein autoritäres politisches System und eine kriselnde, überbürokratisierte Wirtschaft mit im regionalen Vergleich sehr niedrigen Löhnen. Ein stark zentralisiertes ökonomisches System, das ursprünglich auf dem realsozialistischen Modell beruhte, hat sich zur Klientelwirtschaft entwickelt, mit der Loyalitäten geschaffen werden. So schätzte der syrische Parlamentsabgeordnete Riad Seif gegenüber dem britischen Guardian, dass bei manchen öffentlichen Projekten »Provisionen« bis zu 30 Prozent des Volumens ausmachen.

Amnesty international registrierte 1999 Hunderte von politischen Gefangenen; von Anhängern der Muslimbrüder bis zu Mitgliedern der Kommunistischen Partei. Konzentriert auf den Kampf gegen Israel wollte Assad keine »Opposition an der Heimatfront« dulden: Es war, wie ein syrischer Offizier gegenüber der Washington Post sagte, eine Strategie für ein Land im Kriegszustand.

Bereits 1982 hatte diese Politik zu einer inneren Krise geführt, als die Regierung einen Aufstand der Muslimbrüder in Hama blutig niederschlug, der die laizistischen Grundlagen des Staates in Frage stellte. Bis zu 20 000 Opfer forderte die Niederschlagung. Hinter dem Aufstand der islamistischen Aktivisten stand die Unzufriedenheit von Teilen der mehrheitlich sunnitischen Bevölkerung gegenüber der alewitisch dominierten Regierung unter Hafis al Assad. Die städtische Bevölkerung der nördlichen Städte Syriens, Aleppo und Hama wandte sich dabei auch gegen den Missbrauch der Amtsgewalt und die Korruption der politischen Elite.

Die alewitische Minderheit, eine konfessionelle Gruppe bäuerlichen Ursprungs, war 1970 mit Hafis al Assad an die Macht gekommen. Nach Angaben der israelischen Tageszeitung Ha'aretz stellen Alewiten bei einem Bevölkerungsanteil von etwa elf Prozent rund 90 Prozent der hohen Offiziere in der syrischen Armee.

Als Erbe des Systems sucht der neue Präsident sich als Reformer darzustellen und hat hauptsächlich bei jungen Leuten Hoffnungen geweckt. Baschar, ehemaliger Leiter der staatlichen Behörde für Informatik, möchte gerne »einen Computer für jede Schule« und hat Internet und Mobiltelefone eingeführt - deren Kosten aber sind für die Mehrheit der Syrer unerschwinglich, die Kunden des einzigen Internetcafés in Damaskus sind zumeist Ausländer.

Offenbar steht Baschar auch hinter der Anti-Korruptions-Kampagne, die in den letzten Monaten über wichtige Politiker und Armeeoffiziere hereinbrach. Mitte März noch hatte Hafis al Assad einen großen Kabinettswechsel vorgenommen - die Financial Times zitierte einen langjährigen Beobachter der syrischen Politik: »Offensichtlich wurden jene von der Macht entfernt, die nicht zu sehen wünschten, dass Baschar Nachfolger seines Vaters wird.« Der alte Ministerpräsident Mahmud al-Zubi beging Ende Mai angeblich Selbstmord, just als ihm ein Korruptionsprozess drohte.

Die Aufgabe der neuen Regierungsmannschaft um Premier Mohammed Mustafa Miro sieht Präsident Baschar in der »Modernisierung der Verwaltung und dem Kampf gegen die Korruption«. Zumindest das zweite ist altbekannt: Anti-Korruptionskampagnen fanden in Syrien bereits 1974, 1976, 1982 und 1993 statt. Die neue Säuberungsaktion dürfte Baschar zur Schwächung möglicher Rivalen nutzen.

Auch im Verhältnis zu Israel, dem »Erzfeind« des syrischen Staates, setzt er auf Kontinuität zur Politik seines Vaters. Entgegen der Skepsis ausländischer Beobachter hat Baschar seinen Willen geäußert, die Friedensverhandlungen mit Israel wiederaufzunehmen. Und am 25. Juli wird nach Angaben von Al-Hayat US-Außenministerin Madeleine Albright in Damaskus erwartet.