Shareholder Value am Ende

Ein Fall für Schlitz

Die Dekade des Shareholder Value neigt sich dem Ende zu.

Bisweilen fallen runde Jahreszahlen und Epochenumbrüche so genau zusammen, dass man geneigt sein könnte, den Ziffern eine geheime Macht zuzuschreiben. So brach Ende der achtziger Jahre der Realsozialismus zusammen, während gleichzeitig der Siegeszug des Shareholder-Kapitalismus begann - was durchaus zusammenhängt. Shareholder Value heißt: Die gesamte Unternehmensorganisation wird darauf ausgerichtet, einen möglichst hohen Ertrag abzuwerfen. Natürlich waren die meisten Firmen schon immer hauptsächlich auf einen hohen Gewinn aus. Das Neue in den neunziger Jahren war, dass die Firmen das Gewinnstreben nun auch öffentlich propagierten.

Das können sie, weil die Beschäftigten sich im Gegensatz zu früher kaum mehr trauen, auf höhere Erträge mit höheren Lohnforderungen zu reagieren. Seit dem Ende des Realsozialismus hat die industrielle Reservearmee erheblich zugenommen, weshalb die Firmen heute mit Abwanderung drohen können. Auch neue Technologien haben die Auslagerung von Unternehmensteilen erleichtert.

Dabei bedurfte es des osteuropäischen Arbeitslosenheeres gar nicht, um die Beschäftigten unter Druck zu setzen. In der Bundesrepublik ist die Arbeitslosigkeit so hoch, dass die Lohnabhängigen befürchten müssen, keine Anstellung mehr zu finden, wenn sie gefeuert werden. Flexibilisierung, Scheinselbständigkeit und die Auslagerung von Produktionsabläufen an Subunternehmer haben den Klassenzusammenhang weiter verringert.

Doch die Ära des Shareholder Value war offensichtlich weitaus kürzer als die des Realsozialismus; genau genommen scheint sie nicht einmal ein Jahrzehnt überdauert zu haben. Bei DaimlerChrysler-Chef Jürgen Schrempp stellte die FAZ kürzlich fest: »Das Wort vom Shareholder Value, das er wie kein anderer vor Jahren ins Gespräch brachte, meidet er (heute) wie der Teufel das Weihwasser.«

Denn da der Konzern schon darauf ausgerichtet war, maximalen Gewinn zu erzielen, bevor das Management Shareholder Value propagierte, ließen sich entgegen den Beteuerungen der Unternehmungsleitung kaum Einsparungen durchführen. Die plötzlichen Gewinnsteigerungen gingen in den meisten Fällen zu Lasten des zukünftigen Ertrags. In harmloseren Fällen geschah das mit Bilanzierungstricks. Als ärgerlicher erwiesen sich meistens die Folgen von tatsächlichen Einsparungen.

Mitte der neunziger Jahre folgten viele Konzerne dem Konzept des Lean Management und entließen einen großen Teil des mittleren Mangagements. Bald stellte sich heraus, dass die über- und untergeordneten Ebenen überlastet waren. Die Unternehmen mussten wieder nach neuen Führungskräfte suchen.

Auch an anderer Stelle wurde gespart. Bemerkenswert ist die Dummheit der Leitung der US-amerikanischen Brauerei Schlitz: Um die Forderungen des Shareholder Value umzusetzen, rationalisierte der Bierhersteller den Brauvorgang und verwendete fortan billigeren Hopfen. Die Anleger waren begeistert über die erwartete Gewinnsteigerung, und der Aktienkurs schoss in die Höhe. Doch der billigere Hopfen blieb nicht ohne Folgen für den Geschmack. Kaum jemand wollte die Brühe noch trinken, der Absatz sank drastisch und mit ihm der Aktienkurs von Schlitz.

Viele Manager wollten wegen der Fusionswelle den kurzfristigen Gewinn zu Lasten des langfristigen verbessern. Denn höhere Erträge bewirken einen höheren Aktienkurs, der die Position der Unternehmen bei Zusammenschlüssen stärkt. Die Fusionswelle hat innerhalb weniger Jahre die weltweite Unternehmenslandschaft verändert wie nie zuvor in der Geschichte. Sie scheint zwar noch nicht vorbei zu sein, ihren Höhepunkt hat sie aber bereits überschritten.

Viele der angekündigten Fusionen sind nie zu Stande gekommen; von denen, die vollzogen wurden, brachten nur wenige den erwarteten Gewinn. Meist erhofften sich die Manager von den Zusammenschlüssen Rationalisierungseffekte. Der gleiche Output sollte mit weniger Mitarbeitern hergestellt werden, Entlassungen die Kosten senken. Doch die Furcht vor dem Verlust des Arbeitsplatzes führte bei den Beschäftigten zu Rivalitäten und Mobbing. Ein schlechtes Arbeitsklima wirkt sich allerdings negativ auf die Produktivität aus. Während noch vor wenigen Jahren nach jeder Fusionsankündigung die Aktienkurse der beteiligten Unternehmen in die Höhe schossen, sinken die Notierungen mittlerweile.

Und welche Mode kommt als nächstes? - Stakeholder-Management: Auf alle, die am Unternehmenserfolg mitwirken, also auch Kunden und Beschäftigte, soll Rücksicht genommen werden. Doch »auch hier ist der Kundenwert - oder auch so etwas wie der 'Mitarbeiterwert' - nur Mittel zum Zweck«, wie eine Studie des Institut für Unternehmensführung der Universität Innsbruck feststellte. Zufriedene Beschäftigte sollen gute Produkte herstellen, die von zufriedenen Kunden gekauft werden - natürlich nur, damit am Ende die Rendite stimmt. Was jetzt der letzte Schrei ist, war also vor der Shareholder-Value-Mode schon jahrzehntelang praktiziert worden.