Wahlkampf in den USA

Kermit für Kalifornien

Mit der Nominierung des parteilosen Verbraucherschützers Ralph Nader zum Präsidentschaftskandidaten haben sich die US-Grünen in die Schlagzeilen der Mainstream-Presse katapultiert.

Seit die US-Grünen Ralph Nader zu ihrem Präsidentschaftskandidaten gekürt haben, machen sie ungewohnterweise landesweite Schlagzeilen. Auf einmal ist die jahrelang bei diesem Thema abwesende Mainstream-Presse präsent und zeigt notgedrungen Interesse an der Konföderation lokaler und regionaler Ökogruppen, die sich Greens / Green Party USA nennen und mit ihrem Kandidaten den langweilig gewordenen Wahlkampf ordentlich aufgemischt haben.

Doch auch wenn jetzt oft so getan wird, ist die Nominierung des 66jährigen legendären Verbraucheranwalts alles andere als eine Überraschung. Nader ist bereits zweimal der Präsidentschaftskandidat der Grünen gewesen: 1992 und 1996. Aber damals diente die Übung nur der Dekoration - diesmal meint er es ernst. Nader reist kreuz und quer durch die Lande, versucht in allen Bundesstaaten auf den Wahlzettel zu kommen und spricht vor zunehmend gefüllten Häusern. College-Studenten, progressive Demokraten und von US-Präsident William Clinton enttäuschte Gewerkschafter applaudieren kräftig, wenn »Mr. Integrity«, der parteilose Nader, zum klassenkämpferischen Rundumschlag ausholt. Wenn er Statistiken zitiert, die man von dem Republikaner George W. Bush und dem Demokraten Albert Gore niemals hört: Heute müssten US-Amerikaner 160 Stunden im Jahr mehr arbeiten als 1980, im gleichen Zeitraum sei die Kinderarmut in Kalifornien von 15 auf 25 Prozent gestiegen. Nader stellt Zusammenhänge her zwischen Amerikas überentwickelter Herrschaft des Big Business und seiner unterentwickelten Demokratie. Er argumentiert gegen Globalisierung und Freihandel, gegen die Politik von Weltbank, Internationalem Währungsfonds und Welthandelsorganisation, gegen die neue e-Wirtschaft, gegen das Diktat der allmächtigen Konzerne, gegen Bananen-Multis in Südamerika, konzertierte Staudamm-Projekte in China und Lesotho und - last, but not least - gegen die »Verräter der amerikanischen Arbeiterschaft, den Feigling Gore und den Zuhälter Clinton«.

Naders gesellschaftskritische Ideen zu thematisieren fällt der US-amerikanischen Mainstream-Presse nicht im Traum ein. Die Medien nutzen die Gunst der Stunde lieber zu bunten biografischen Reminiszenzen. Über das angeblich nicht existente oder zumindest puritanische Privatleben des Sohnes libanesischer Einwanderer wird geschrieben - mit seiner antiken, ungebügelten Garderobe aus den sechziger Jahren eckt er an, dass er kein Auto, keine Kreditkarte und keinen Computer besitzt, wird ihm angekreidet. Aber auch die Karriere des Umwelt- und Verbraucherschützers wird noch einmal aufgeblättert. Schließlich machte ihn sein erstes Buch, »Unsafe at any Speed« - eine Anklage der US-Autoindustrie -, 1965 zum Star und zum Mentor einer effektiven Verbraucherbewegung, die in den vergangenen Jahrzehnten ein weltweites Echo fand.

Nader versteht es heute hervorragend, mit diesem Kapital zu wuchern. Und so ist es kein Wunder, dass sein Wahlkampf ernst genommen wird: Ralph Nader habe das Potenzial, die Kandidatur von Al Gore zu gefährden, schreibt die New York Times. Wenn der 66jährige Populist die Stimme der Gewerkschaften bekäme, könnten die Demokraten einpacken, kommentieren die Washington Post und andere Großstadtzeitungen. Und wenn es dem grünen Kandidaten gelänge, die Protestwähler zu mobilisieren und im Herbst bei den Fernsehdebatten mitzumischen, dann sei das der Nagel zum Sarg des traditionellen Zweiparteiensystems - der Durchbruch der Grünen als ernst zu nehmende dritte Partei.

Wofür stehen die US-Grünen, und wen repräsentieren sie? Ihre Delegierten entstammen den gleichen linksliberalen Öko- und Späthippie-Kreisen, denen einst die deutsche Vorläuferpartei entsprang, und ihr Zehn-Punkte-Schlüsselkatalog enthält das traditionelle Selbstverständnis aller grünen Sammlungsbewegungen: ökologisch, gewaltfrei, sozial und basisdemokratisch. Die US-Grünen stellen Themen zur Debatte, um die Demokraten und Republikaner einen möglichst großen Bogen machen. Sie wollen u.a. die 30-Stunden-Woche einführen; sind gegen die Todesstrafe; gegen die Verurteilung von Kindern nach Erwachsenen-Recht; gegen die Zerstörung bäuerlicher Kleinbetriebe; für einen Weltgerichtshof; für die Stärkung der Vereinten Nationen; für Reparationszahlungen an die Afroamerikaner für zweieinhalb Jahrhunderte Sklaverei; für die Freilassung des politischen Gefangenen Leonard Peltier; für einen neuen Prozess des zum Tode verurteilten schwarzen Journalisten Mumia Abu Jamal.

Diese provokanten Positionen interessieren aber nicht - Parteien, Programme, Strukturen und Delegierte sind für die Medien kein Thema. Je weiter sich jemand oder etwas von der politischen Mitte entfernt, desto schneller fällt er unter den Tisch. Bei der Person Nader wird zwar eine Ausnahme gemacht - er hat den Prominentenstatus, und der wird ausgeschlachtet. Doch mit den von ihm ins Schlepptau genommenen Grünen, denen er Aufmerksamkeit, Prestige und vor allem staatliche Wahlkampfgelder verschaffen will, wird kurzer Prozess gemacht. Sie sind rabiat auf das Klischee einer bunten, belanglosen Randgruppe zurechtgestutzt worden.

Auch die journalistisch sonst sorgfältige Los Angeles Times informiert nur minimal und grob: Die Zeitung nennt 1984 als Gründungsjahr der Grünen, gibt ihre heutige Mitgliederzahl mit 100 000 an und beziffert die in 20 Bundesstaaten gewählten Mandatsträger mit 70. Der Artikel birgt aber einen interessanten Aspekt: Fast die Hälfte der gewählten grünen Politiker stammt aus Kalifornien, heißt es. Ein Drittel der dort, im größten Bundesstaat, registrierten Wähler sei unter 30 Jahre alt, und diese jungen Leute fühlten sich dem traditionellen Zweiparteiensystem nicht halb so verbunden wie die Generation ihrer Eltern. Sie seien enttäuscht von den beiden großen Parteien und offen für Alternativen.

Die Offenheit schlägt sich bereits in Meinungsumfragen nieder: An die zehn Prozent würden heute in Kalifornien für Nader und die Grünen stimmen. Auch in Oregon, Washington, New Mexico und den Neu-Englandstaaten kann mit guten Ergebnissen gerechnet werden, ebenso in wahlentscheidenden Industriestaaten und Gewerkschaftshochburgen wie Illinois, Michigan, Ohio und Pennsylvania. Hier haben sich, nach den gemeinsamen Anti-Globalisierungs-Protesten in Seattle und Washington, feste Allianzen gebildet. Sie offerieren Heerscharen von engagierten Freiwilligen. Da können die Rivalen nicht mithalten. Bush und Gore haben zwar zig Millionen in der Wahlkampf-Kasse, aber nicht den Ansatz einer von Basisgruppen und Bürgerinitiativen angefeuerten Grassroots-Bewegung.

Wird Nader mit den Grünen in Washingon einmarschieren? Bestimmt nicht. Wird er im Herbst in den Meinungsumfragen bei 15 Prozent liegen und damit an den Fernsehdebatten teilnehmen dürfen? Auch damit ist nicht zu rechnen. Aber fünf Prozent der Stimmen könnten im November abfallen. Und wenn diese Klausel erfüllt ist, erhalten die Grünen für den nächsten Wahlkampf im Jahre 2004 einen staatlichen Zuschuss von immerhin zwölf Millionen Dollar. Grün zu sein, sei nicht leicht, sagt Kermit der Frosch in der »Sesamstraße«. Es sei denn, man hat einen Ralph Nader.