Weltkonferenz »Urban 21«

Von den Besten lernen

Die Metropole der Zukunft entsteht aus dem neoliberalen Baukasten. Ein Nachtrag zur Urban 21

Metropolen sind angesagt. Berlin etwa möchte unbedingt wieder eine werden. Die Hauptstadt will nichts Geringeres, so verkündete ihr Stadtentwicklungssenator Peter Strieder vor einiger Zeit, als im »Konzert der Weltstädte« mitzuspielen. Glaubt man dem Spiegel, der im Verein mit anderen Nachrichtenmagazinen noch Ende der neunziger Jahre katastrophische Verfallsszenarien für Berlin komponiert hatte, befindet sich die Stadt nun auf dem richtigen Gleis: »Aufbruch zur Weltstadt« titelte das Blatt im Herbst 1999 - und jubelte Berlin zum weltweit hipsten Ort und in der Nachfolge New Yorks gleich noch zur paradigmatischen Metropole des neuen Jahrhunderts hoch.

Endgültig in Richtung »master of the universe« schwenkte die deutsche Mega-City vor zwei Wochen ein: Sie durfte nicht nur die Weltstädtekonferenz Urban 21 ausrichten (Jungle World, 29/00). Im Auftrag der Bundesregierung entstand zu diesem Anlass auch ein Bericht, der als »Aktionsplan für die Städte der Welt« aufzeigen will, »was nationale und kommunale Regierungen zu tun haben«.

Man ist geneigt, solche grotesk anmutenden Versuche, die Bedeutung einer im Weltmaßstab eher unwichtigen Siedlung derartig zu überhöhen, als übliche Großmannssucht abzutun. Doch bei genauerer Betrachtung lässt sich in diesem Metropolen-Diskurs das ideologische Muster aktuell vorherrschender Strategien zum Umbau der Städte entziffern.

Erste Hinweise dafür finden sich in besagter Spiegel-Ausgabe: Das »pulsierende Neu-Berlin« gilt hier gewissermaßen als Modell für den geforderten Umbau der ganzen Republik. Dessen Leitfiguren stellen die »Kapital-Youngster und Künstler« dar, die in den Hinterhöfen der »Menschenwerkstatt« Berlin-Mitte am »Labor der Zukunft« basteln: »Soziale Gerechtigkeit«, so das Magazin, »halten sie zwar für eine schöne, aber wirklichkeitsfremde Idee«. Die »Metropole«, in der es sich »zwar härter, aber auch spannender lebt« als in der früheren »Großstadt«, dient hier als Bild einer individualisierten, vom Ballast »irreal-sozialistischer« Umverteilungsmanien befreiten Wettbewerbsgesellschaft.

Themen und Thesen der zur Zeit sich häufenden Kongresse und Strategiepapiere zur Zukunft der Städte setzen sich vom archaischen Neo-Liberalismus der achtziger Jahre deutlich ab. Vor dem Hintergrund einer rapide wachsenden Armut und einer sich abzeichnenden sozial-räumlichen Spaltung der Städte erscheint die reine Lehre jetzt zunehmend als Bedrohung der urbanen Kultur. Im Fokus stehen wechselweise die austauschbaren Begriffshülsen »nachhaltige« (Urban 21) oder »soziale Stadt« (SPD). Dem Blick auf die Metropolen kommt hierbei eine andere Bedeutung zu. Als »explosionsartig wachsende« Megastädte in der »Dritten Welt« geben sie zum einen das Horrorszenario außer Kontrolle geratener, durch Kriminalität und Umweltgifte verpesteter Agglomerate ab. Zum anderen lässt sich von ihnen aber auch etwas lernen: die Funktionsweise informeller Selbsthilfe-Strategien bei völliger Abwesenheit wohlfahrtsstaatlicher Strukturen.

Während das Bedrohungsszenario mobilisiert wird, um - gegen den Zeitgeist - sozialpolitische Maßnahmen legitimieren zu können, weisen Selbsthilfeformen verarmter BewohnerInnen diesen die Richtung. Denn es steht keineswegs die Ausdehnung, ja nicht einmal die Aufrechterhaltung bestehender sozialer Infrastrukturen zur Debatte. Als Allheilmittel gegen alle möglichen sozialen und ökologischen Probleme sollen jetzt jene Formen von Solidarität, kollektiver Selbstorganisation und informeller Ökonomie dienen, die bislang entweder vehement bekämpft oder widerwillig, in der steten Angst vorm Entstehen einer lokalen Gegenmacht, in die soziale Stadterneuerung integriert wurden. In den Städten des Südens gehört dazu auch die Stabilisierung informeller Siedlungen auf besetztem Land.

Ob mit dem Re-Import von auf Selbsthilfe orientierten Entwicklungshilfe-Strategien als Kompensation für Sozialpolitik auch in hiesigen Städten Wagenburgen, besetzte Häuser und Schwarzhandel als best-practice-Fälle gelten werden, ist noch abzuwarten. Solche Ungewissheiten führen gegenwärtig zu seltsamen Verquickungen. So forderten auf dem von Basis-NGOs veranstalteten Gegenkongress Local Heroes 21 teilweise dieselben Vortragenden dieselben Maßnahmen - Stärkung von Selbstorganisation etc. - wie auf der Haupttagung Urban 21. Dass dort auch Vertreter der Weltbank derartiges propagierten, zeigt die Notwendigkeit, die Problematik solcher Forderungen im Kontext neoliberaler Grundwerte wie Kostensenkung, Privatisierung und Eigenverantwortlichkeit zu diskutieren. Die Diskussion um nachhaltige Metropolen allerdings blendet derlei Macht- und Herrschaftsverhältnisse völlig aus.

Denn im Zentrum aller Bemühungen kommunaler Politik steht weiterhin die Steigerung der Wettbewerbsfähigkeit für die globale Standortkonkurrenz. Aussagen wie »in einer Marktwirtschaft (...) funktionieren Bebauungsvorschriften dann am besten, wenn sie mit dem Marktverhalten konform gehen«, die sich im »Expertenbericht zur Zukunft der Städte« finden, sind zwar lustig und könnten unter dem Motto »how low can you go« abgehakt werden. Vor allem aber verdeutlichen sie, dass zentrale neoliberale Annahmen überhaupt nicht mehr in Frage gestellt, sondern vielmehr allen aktuellen Debatten zu Grunde gelegt werden, als seien sie Naturgesetze.

Es wäre verfehlt, die Wiederkehr von substaatlichen Institutionen zur Förderung von kollektiver Selbstorganisation, Solidarität im Quartier oder dem Aufbau informeller Ökonomien auch in Städten wie Berlin nur als soziale Kosmetik oder demokratische Bemäntelung von Umverteilungsprogrammen zu verstehen. Sie verweist vor allem auf einen modernisierten Klassenbildungsprozess: Bestand das reformistische Projekt der zwanziger Jahre noch darin, auf der Basis der großen sozialen Kollektive eine Massengesellschaft zu formen, die die kapitalistische Gesellschaft nicht mehr in Frage stellte, so scheint es mit der Auflösung der wohlfahrtsstaatlichen Institutionen heute darum zu gehen, die gesprengten Kollektive auf unterschiedlichen Niveaus in kleinteilige Sicherheits- und Vorsorgegemeinschaften zu verwandeln.

Bei der Neuformierung der sozialen Kollektive in der »zivilen Bürgerstadt« kommt den »kreativen Zerstörern« am oberen Ende der sozialen Skala die Aufgabe zu, innerstädtische Armengettos aufzumischen und sie durch Investitionen in Wohnungen und Konsumstätten für die metropolitane Nutzung aufzuwerten. Der konsumfreudige Yuppie, der in den achtziger Jahren auch den meisten kommunalen Verwaltungen als Personifikation von Egoismus und Abgrenzung galt, wird so zum verantwortungsbewussten Stadtbürger und gefeierten Retter urbaner Kultur. Am anderen Ende finden sich authentische Gettobewohner, die sich mit Eigeninitiative und in tagesstrukturierenden Maßnahmen ihre Sozialhilfe verdienen und so nachweisen dürfen, daß sie noch zum Wir-im-Quartier gehören. Unter ihnen rangieren jene - als nicht integrierbar angesehenen - unwürdigen Armen und gefährlichen Klassen, deren vermeintliches Bedrohungspotenzial mit repressiver Ordnungspolitik reguliert wird.

Die unterschiedlichen Gesprächs- und Mitwirkungsangebote, die in Sicherheitspräventionsräten, Planungsrunden im Rahmen von innerstädtischen Aufwertungsprojekten, von Nachbarschaftshilfe oder Quartiermanagement präsentiert werden, verstärken nicht nur die Inselbildung innerhalb des städtischen Raumes. Die Überlagerung der einzelnen Quartiere mit den nun als Lebensstil-Milieus bezeichneten Klassen erzeugt Archipele unterschiedlicher Kontrollniveaus, denen nur noch gemeinsam ist, dass sie jeweils eine hohe soziale Kontrolle nach innen und eine starke Abwehrbereitschaft nach außen aufbieten.

Die Metropole wird damit zum paradigmatischen Raum eines gleichermaßen in zivile Gemeinschaften eingebetteten und autoritär abgesicherten »nachhaltigen Neoliberalismus« (Joachim Hirsch).