Despentes »Wölfe fangen«

Abschleppen und umlegen

Aus »Natural Born Killers« wird ein Riot-Grrl-Porno: Virginie Despentes »Wölfe fangen«.

Es gab eine Zeit, da war Frankreich Weltmarktführer in Sachen Erotik. Französische Adlige gaben sich der Dekadenz hin, dass es eine Freude war, die gesamte zivilisierte Welt versuchte es ihnen nachzutun und »französische Romane« waren Synonym für verdorbene Lektüren, die es galt, vor Heranwachsenden zu verstecken.

Das ist zwar lange her - und längst hat Kalifornien es übernommen, immer neue sexuelle Phantasien zu generieren. Doch die Folgen dieser Bilder und Geschichten reichen bis heute. Noch immer fahren frisch verliebte Pärchen nach Paris und es gibt Werbekampagnen wie die für ein vernetztes Playstation-Spiel, wo die verschiedenen europäischen Nationen gegeneinander antreten können und wo das Gesicht eines französischen Mannes versucht, mit dem Spruch »Eure Frauen wollen mit mir Liebe machen« zu provozieren. Dabei ist das alles Quark. Denn um das französische Sexleben der Gegenwart ist es arg bestellt.

Michel Houellebecq musste in seinen »Elementarteilchen« sogar schon die Deutschen heranziehen, um ein Beispiel für Leute anführen zu können, die guten Sex haben. Wegen eines deutsch-sozialdemokratischen Grundverständnisses von Solidarität seien sie im Unterschied zu den Franzosen in der Lage zu befriedigendem und respektvollem Gruppensex.

Und nun »Baise-Moi« - »Fick mich« - oder wie der deutsche Verlag seine Übersetzung nennt: »Wölfe fangen«. Die Vorlage zu dem Film, der gerade in Frankreich angelaufen ist und vorerst nur in Pornokinos gezeigt werden darf (Jungle World, 30/00). Verfasst von Virginie Despente, einer ehemaligen Plattenhändlerin, Peepshow-Tänzerin und Masseuse. Und in »Wölfe fangen« ist Schluss mit lustig.

Die eine Protagonistin, Manu, arbeitet als Pornodarstellerin. Als eine der Porno-darstellerinnen, die auch Sex mit Hunden und Pferden haben. Die andere, Nadine, verdient ihr Geld als Prostituierte. Als eine, die ihre Kunden über Minitel akquiriert, sich dort als devot anpreist und deshalb einen von Peitschenhieben und anderen Schlägen zerfurchten Rücken hat. Beide leben in der Pariser Banlieu und machen den ganzen Tag nichts außer saufen, kiffen und Pornos gucken. Dann wird Manu von einer Gruppe Männer vergewaltigt und Nadine von ihrer Mitbewohnerin genervt. Manu schießt einen Dealer über den Haufen, Nadine erwürgt ihre Mitbewohnerin. Beide müssen fliehen und begegnen sich.

Nun ziehen sie durchs Land, ficken, morden und brandschatzen. Eine Frau, die neben einem Geldautomaten steht, wird erschossen, ein Walkman-Verkäufer, ein Waffenhändler, diverse Passanten und mehrere Polizisten.

Das ist zuerst ziemlich wahllos, bis die beiden Geschmack am Töten finden und ihre Wahllosigkeit zum Genussprinzip erheben. Ein Prinzip, von dem sie nur abweichen, als sie einen Architekten töten, um an seine Diamanten zu kommen - wobei ihnen dieser Mord am gelungensten erscheint, weil dieser Architekt das Idealbild eines attraktiven und modernen Mannes ist: gut aussehend, wohlhabend, gebildet, kreativ, gut erzogen - allerdings sind die Pornofilme, die sie nach dem Mord zwischen den Bu-uel- und Godardfilmen in seiner Videosammlung entdecken, langweilig. Niemand ist perfekt.

Wo immer sie absteigen, gabeln sie irgendwelche Männer auf, ficken sie oder lassen sich ficken, wer es nicht bringt, wird umgebracht. Blut und Sperma, Speed und Alkohol, Sex jeglicher Spielart. Die Menschen sind hässlich, gemein und niederträchtig.

Man könnte aus dem Erscheinen von Büchern wie »Baise-Moi« oder »Elementarteilchen« den Schluss ziehen, hier werde das Gegenbild zu einer Welt entwickelt, die immer perfektere Körper haben will, eines, was diesen Bildern Vorstellungen entgegensetzt, die mit größerer Authentizität aufgeladen sind. Aber schlauer ist man damit auch nicht.

Zum einen hatte die französische Literatur, die die französischen Erotik-Codes in der Welt bekannt machte, - von Choderlos de Laclos über Stendhal bis zu bestimmten Momenten bei Proust, eine Traditionslinie, die sich eher an den höfischen Ritualen und der Oberfläche der Machtspiele orientiert - schon immer ihren Counterpart in den eher kreatürlichen und antizivilisatorischen Konzepten von Rabelais über Apollinaire bis zu Céline. Das Phänomen mit einem Überdruss an bestimmten Produkten der Kulturindustrie zu erklären, greift also zu kurz. Zum anderen gehören genau ausgearbeitete Oberfläche und grobschlächtiger Vitalismus ohnehin zusammen. Designer-Pornographie und verwackelte Amateurfilme stehen im gleichen Regal.

Tatsächlich verhält sich »Wölfe fangen« zur westeuropäischen Realität - verstanden als kompliziertes Gefüge aus dem, was da draußen wirklich passiert (auf der Straße, am Tisch, im Bett), dem, wie darüber gesprochen und berichtet und dem, wie über all diese Dinge gedacht und phantasiert wird - etwa so wie Gangsta-Rap-Platten zu einer ähnlich verstandenen US-Realität.

Die gesellschaftlichen Machtverhältnisse sind real, die Ausgrenzungen sind real, die Gefängnisse und die Vergewaltigungen sind real, die Körperindustrie und die Produktion von Bildern sind real. All dies wird übertragen, übertrieben und überhöht, die Langeweile und die Banalität wird weggekürzt. Das würde niemand lesen oder hören wollen, das rockt nicht. Der Rest sehr wohl.

Was für eine schöne, hässliche, widerliche, lebendige, grausame und verkommene Welt. Wie geil.

Virginie Despente: »Wölfe fangen«. rowohlt paperback, Reinbek 2000, 226 Seiten, DM 24