Alternative Lebensformen

Gaffen leicht gemacht

Berlin ist einen Spaziergang wert. Seit die Hauptstadt auch Regierungssitz ist, sogar für die Berliner selbst. Nicht überall natürlich, sondern vor allem zwischen dem Schloss Bellevue und dem Roten Rathaus. Schließlich steht der Gang durchs Tor, das Besteigen der Kuppel oder das Mittagessen bzw. Dinner im Schloss auf dem Programm von fast jedem Staatsbesuch. Die Routen der hohen Häupter variieren dabei nur unwesentlich, die genauen Zeiten sind der Lokalpresse zu entnehmen. In langen Reihen aufgestellte Polizei-Wannen und rot-weiße Absperrgitter sind regelrechte Wanderzeichen, die Sperren bieten sich sogar als Rastplätze an. Hier besteht die beste Chance, die Prominenten aus aller Welt zu erblicken - egal, ob sie Clinton, Mullah oder Queen sind.

Dabei gilt für echte Berliner: Möglichst viel sehen und das eigene Interesse möglichst gut verbergen. Schließlich ist mensch ja völlig genervt vom Hauptstadt-Getue, findet die große Politik sowieso unwichtig und möchte vor allem nicht in den Verdacht geraten, sensations- oder promigeil zu sein. Die Neugier darauf, wie sich die Großen dieser Welt live bewegen, muss verschleiert werden. Hier einige besonders vorbildliche Beispiele, beobachtet beim Queen-Besuch in der vergangenen Woche.

Bleiben Sie bei der versammelten Menschenmenge stehen und erkundigen Sie sich - möglichst in leicht verärgertem Ton: »Was ist denn hier los?« Versuchen Sie dann, sich möglichst weit vorzudrängen, vorzugsweise unter Fragen wie: »Geht's hier denn nicht weiter?« Oder: »Und wie komme ich jetzt zur Arbeit?«

Die folgende Wartezeit gilt es durch Äußerungen zu überbrücken, die absolutes Desinteresse an der demnächst erscheinenden Persönlichkeit durchblicken lassen. Besonders gut eignet sich die indignierte Frage an die Begleitung: »Du willst doch jetzt nicht wegen der hier 20 Minuten warten?«

Taucht die Vip dann auf, ist auf Entzückensschreie oder Applaus strikt zu verzichten. Zur Not lässt sich die Verantwortung auf vorsorglich mitgeführte Kinder abwälzen: »Siehst du, die Frau da mit dem Hut, das ist die Mama der Königin.« Hierbei darf durchaus etwas Pathos mitschwingen, der Umgebung ist dann aber in nüchternem Ton mitzuteilen: »Ist doch was, wenn sie ihren Enkeln später erzählen kann, sie hätte noch die Königin von England gesehen. Diese anachronistische Monarchie gibt's bestimmt nicht mehr lange.«

Filmkameras oder Fotoapparate sollten, wenn überhaupt, nur sehr unauffällig eingesetzt werden. Auf die Frage, was Sie mit den Aufnahmen beabsichtigen, antworten Sie am besten so wie jener Tourist, der an den Hackeschen Höfen jede Bewegung der Queen, ihrer Eskorte und ihres Rolls Royce filmte: »Vielleicht mache ich was draus. Ich bin nämlich Künstler. Ein Dokumentarfilm wird es sicher nicht - schließlich bin ich kein Royalist.« Besonders vorbildhaft daran, weil absolut unverdächtig: die politische Distanzierung.

Nach Verschwinden des aus den Augenwinkeln eingehend betrachteten Staatsgastes müssen Sie dann nur noch eines tun. Ihre Begleitung am Ärmel ziehen und ungeduldig murren: »Nun komm endlich.«