Gelöbnis am Bendler-Block

Verlassen an der Heimatfront

Gefährliche Orte CXI: Der Bendler-Block. Dank der Gelöbnis-Gegner blieb die Öffentlichkeit vom öffentlichen Gelöbnis ausgeschlossen. Dafür störte die Polizei erfolgreich die Störaktionen.

Immer wenn der Redner versucht, den nächsten kritischen Satz vom Papier zu lesen, versagt die Lautsprecheranlage und der Sound ist weg. Mangelt's am Benzin oder ist die Anlage ganz im Eimer? Keiner weiß es. Auch nicht Justus Wertmüller, der Autor der antideutschen Zeitschrift Bahamas und erste Redner der Demonstration gegen das diesjährige öffentliche Bundeswehrgelöbnis in Berlin. Seine Kritik am Militarismus und der Formierung der deutschen Gesellschaft wird mehrfach durch totalen Energieausfall unterbrochen. Gerade noch sagt er, dass die Bundeswehrsoldaten »unter menschliches Maß gesunken« seien - und schon macht es wieder tilt!

Die Lautsprecheranlage ist nicht die einzige Schwierigkeit, mit der die Gelöbnis-Gegner dieses Jahr zu kämpfen hatten. Schon vorher deutete sich an, dass der Erfolg von 1999 nicht zu wiederholen sein würde. War es damals doch Mitgliedern der Jungdemokraten/Junge Linke gelungen, am Gelöbnis teilzuhaben und die Veranstaltung dadurch nachhaltig zu stören: mit Trillerpfeifen, Störsendern, »Tucholsky hat Recht»-Regenschirmen und - nacktem Fleisch. Die Bilder von entkleideten Gelöbnisgegnerinnen im Würgegriff von Feldjägern hatten selbst in der bürgerlichen Presse für schamhafte Fragen nach den Einlasskontrollen gesorgt.

Solche Peinlichkeiten sollten nicht wieder vorkommen. Nur geladene Gäste durften auf das Gelände. 1 200 an der Zahl. Stauffenberg hatte gerufen und sie kamen: die Herren und Damen aus Politik und Gesellschaft, die Antifaschisten der neuen und alten Mitte. Widerstandskämpfer wie Wolfgang Thierse, Rudolf Scharping, Kurt Biedenkopf und Eberhard Diepgen. Der Bendler-Block wurde noch weiträumiger abgeschirmt als im Jahr zuvor, damit das lästige Pfeifen und die »Mörder, Mörder»-Rufe beim deutschen Treue-Eid nicht zu hören sein würden. Die im Vorfeld der Demonstration von der Polizei verhängte »Lärmbeschränkung« für die Lautsprecherboxen der Gelöbnisgegner war vom Berliner Verwaltungsgericht jedoch aufgehoben worden. Die Bundeswehr müsse sich, wenn sie sich schon demonstrativ in die Öffentlichkeit begebe, auch Proteste gefallen lassen.

Ein liberaler Gerichtsentscheid nützt jedoch wenig, wenn die Lautsprecheranlage nicht funktioniert. Justus Wertmüller konnte nicht zu Ende reden und Thomas Ebermann kam überhaupt nicht mehr zu Wort. Es lief nicht optimal an diesem trüben Juli-Abend. Obwohl der Störwille seitens der Demonstranten enorm war, fehlte etwas. Man vermisste die linksradikalen Ansprachen von Dr. Seltsam. Im Jahr des Krieges hatte er die Demonstranten noch angeheizt mit Sprüchen wie: »Wir hier sind das Leben - und dort ist der Tod!« Ohne Conferencier keine aufgepeitschten Massen. Und ohne aufgepeitschte Massen keine Revolte. So vermutete ein Redner, womöglich habe die Polizei Sabotage betrieben und nachts Zucker in den Tank gekippt.

Die Ordnungshüter waren mit ihrem Konzept in der Tat erfolgreich: 1 000 Beamte und 500 Feldjäger schafften es problemlos, die paar Hundert Gelöbnis-Gegner auf Distanz zu halten. Peinlichkeiten wie im Vorjahr blieben der Berliner Republik also erspart. Innensenator Eckart Werthebach (CDU) resümierte kühl, das Gelöbnis »ist so verlaufen, wie es verlaufen muss«. Mit einer Einschränkung vielleicht, die nach Angaben der Berliner Zeitung auch ein leitender Polizeibeamter machen musste: Zum wiederholten Mal war das Bundeswehrgelöbnis am 20. Juli in Berlin keineswegs öffentlich. Wieder konnten sich die national gesinnten Durchschnittsberliner nicht ansehen, wie ihre Jungs den Eid auf das Vaterland ablegten und gelobten, »das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen«. Abgeschirmt von einer Bürgerkriegsarmee mit Wasserwerfern und Räumpanzern als Schutzwall musste der deutsche Soldat sich einsam und verlassen fühlen. Heimatfront, was ist aus dir geworden!

Keine Störung, aber auch keine Öffentlichkeit also, abgesehen davon, dass das Gelöbnis live im Fernsehen übertragen wurde. Die Antimilitaristen dürften sich einige Gedanken darüber machen, wie in Zukunft vorzugehen ist. Denn das an die Anti-Castor-Proteste angelehnte Konzept eines phantasievollen, gewaltfreien Widerstandes brachte nur eines: Das Gelöbnis wurde zum exklusiven Club-Nachmittag für die Vips der Berliner Republik. Mehr, ja gar eine Verhinderung, wäre auch utopisch gewesen. Völlig überzeugt hat dafür das Motto des »Gelöbnix 4»: »Soldaten sind Kampfhunde.« Und auch die Bild-Zeitung zeigte sich in alter Frische: »Perverser, zynischer und dümmer geht es nicht. Während unsere Soldaten Tag für Tag auf dem Balkan Menschen vor Mördern schützen, werden sie zu Hause in schäbigster Weise diffamiert.«

Gerade im Militarismus schreitet die so genannte Normalisierung Deutschlands voran. Was den Konservativen in ihrer Regierungszeit nicht gelungen ist, vollbringt Rot-Grün: die Reinwaschung der Bundeswehr von ihrer Wehrmachtsvergangenheit. Verteidigungsminister Scharping bezeichnete den Widerstand gegen Hitler als eine »wesentliche Traditionslinie für die Bundeswehr«. Die Truppe wird so zu einer antifaschistischen Armee, die weltweit den Faschismus bekämpfen darf. Hierfür bindet man auch ehemalige Wehrmachtsdeserteure ein, die in diesem Jahr zum ersten Mal einen Kranz im Bendler-Block niederlegen durften. Organisiert wurde die kleine Gedenkfeier von der Kampagne gegen Wehrpflicht und der Bundesvereinigung Opfer der NS-Militärjustiz. Der 20. Juli ist im Begriff, dem 3. Oktober als Tag der Neugründung Deutschlands den Rang abzulaufen.

Offensichtlich hatten die Gelöbnis-Gegner Schwierigkeiten, sich der Vereinnahmung zu entziehen. Bei den Vorbereitungstreffen zur Demonstration hatten sich Streitigkeiten an der Frage entzündet, ob die Berliner Jusos an der Vorbereitung beteiligt sein dürften. Da man auf die Frage, ob Mitglieder einer Kriegspartei eine antimilitaristische Aktion vorbereiten können oder nicht, keine gemeinsame Antwort fand, kam es zum Bruch.

Übrig geblieben waren im Kreis der Demo-Organisatoren die Ökoli, das Büro für antimilitaristische Maßnahmen, das Gegeninformationsbüro und die ehemalige Anti-Nato-Gruppe. Die Störer des Vorjahres - die Jungdemokraten/Junge Linke - machten es sich auf einer Straße am Kurt-Schumacher-Platz auf einem Sofa bequem, um die Busse der Bundeswehr auf der Fahrt zum Bendler-Block zu behindern. Völlig verabschiedet hatte sich die PDS - wegen des erwogenen Ausschlusses der Jusos.

Macht ja nichts. Umweltminister Jürgen Trittin (Grüne) ist schließlich auch nicht mehr dabei. Vor zwei Jahren, vor dem Roten Rathaus, war er es noch. Aber dann kamen die Wahl, der Krieg und die ganze Arbeit.