Streit um israelischen Olympia-Chef

Bridge over poisoned water

Sydney 2000, Teil I: Warum die israelische Delegation bei der Olympiade willkommen ist, ihr Präsident jedoch nicht.

Die Meldung ist kurz, und ganz einfach ist sie nicht zu verstehen: Die Jüdischen Gemeinden Australiens erklärten im Juni, dass Zvi Varshaviak, Präsident des Israelischen Olympischen Komitees und Mitglied des Vorstands der Maccabi World Union (MWU), während der anstehenden Olympischen Sommerspiele im australischen Sydney eine Persona non grata sei. Sollte der jüdische Sportfunktionär doch anreisen, so würden ihn Demonstranten empfangen.

Der Protest gegen Varshaviak hat eine Vorgeschichte, und dass in Australien nur noch der höchste Olympia-Repräsentant Israels nicht mehr willkommen ist, deutet auf eine Entspannung hin - noch vor zwei Jahren wurde das gesamte Team kritisiert. Initiator und Sprecher des australischen Protestes ist Colin Elterman, Textilunternehmer aus Sydney und Vater von Sasha, einer einstmals talentierten Tennisspielerin, die länger als ein Jahr im Krankenhaus lag. Am 14. Juli 1997 wollte sie nämlich mit dem australischen Team in Israel an der 15. Makkabiade teilnehmen.

Beim Einmarsch in das Nationalstadion in Ramat Gan nahe Tel Aviv, wo die zu den fünf größten Sportfesten der Welt zählende jüdische Olympiade alle vier Jahre stattfindet, ging Sasha zusammen mit den anderen 370 Mitgliedern der australischen Mannschaft über eine provisorische Brücke, die sie ins Stadion führen sollte. Das australische Team war das zweitgrößte und sollte gemäß dem hebräischen Alphabet hinter Österreich einziehen. Das erst wenige Tage vorher fertig gestellte Brückengebilde aus Holz und Aluminium stürzte jedoch ein, und etwa 100 australische Sportler fielen sieben Meter tief in den darunter liegenden Fluss Jarkon. 64 wurden dabei verletzt, zwei Sportler starben sofort, zwei in den folgenden Tagen. Von diesen bislang vier Toten starb nur eine Frau an den unmittelbaren Folgen des Brückeneinsturzes, die anderen drei erlagen den Vergiftungen, die sie sich in dem völlig verschmutzten Jarkon zugezogen hatten.

Die Makkabiade wurde nicht abgebrochen, obwohl es offene Fragen gab: Wie konnte für ein Großereignis mit weit über 5 000 Teilnehmern eine derart wackelige Brücke gebaut werden? Wie sieht es mit der Haftung durch die Organisatoren der Makkabiade aus? Und wie kommt es, dass sich durch ein zivilisiertes Land wie Israel, noch dazu durch den dicht bewohnten Ort Ramat Gan, ein giftiger Fluss schlängeln kann? Das waren die zentralen Fragen nach dem Unglück, und die Australier waren empört, dass sich in Israel zunächst niemand um deren Beantwortung kümmerte.

Sasha Elterman, die Tochter von Colin Elterman, hatte bei ihrem Sturz Flusswasser geschluckt, und in der Folge erkrankte sie an dem seltenen Erreger Pseudallerscheria Boydii. Eine Weile lag sie in einem Krankenhaus in Tel Aviv, später wurde sie nach Sydney verlegt. Die israelische Regierung hatte unmittelbar nach dem Unglück schnelle Aufklärung versprochen und die Zahlung von 500 000 Dollar an einen Opferfonds in Aussicht gestellt. Den Australiern, so zumindest sagte es Tom Goldman, Präsident des australischen Makkabi-Verbandes, wurde erklärt, dies sei eine Interims-Zahlung. Fast drei Jahre später war das Geld jedoch immer noch nicht da, und die Angehörigen sahen sich gezwungen, Prozesse gegen die israelische Regierung, die MWU und das Makkabiade-Organisations-Komitee anzustrengen.

Auch die israelische Staatsanwaltschaft hatte bereits im Dezember 1997 Anklage erhoben. Die richtete sich gegen den Brückenbauingenieur, die Bauunternehmer und auch gegen das Makkabiade-Organisationskomitee. Im April dieses Jahres kam es endlich zu Urteilen. Der Brückenbau-Ingenieur wurde zur höchsten Strafe verurteilt: 21 Monate Gefängnis. Kürzere Haftstrafen erhielten die Bauunternehmer, und der Vorsitzende des Organisationskomitees der Makkabiade kann seine Sechs-Monats-Strafe durch Sozialarbeit ableisten. Dieses letzte Urteil befriedigte die australische Community einigermaßen, denn durch die Verurteilung des örtlichen Makkabi-Funktionärs trat endlich auch die Haftung der zuständigen Versicherung in Kraft. Sie hatte sich bis dahin vor Schadensersatzleistungen gedrückt, weil sie argumentierte, nicht ihr Versicherungsnehmer, die MWU, sondern bloß die ausführenden Firmen seien schuld.

Im Juli dieses Jahres, nur eine Woche vor dem dritten Jahrestag des Unglücks, wurde endlich auch der Bericht des parlamentarischen Untersuchungsausschusses veröffentlicht. Der Ausschuss war von der Knesset einberufen worden, nachdem mehrere hochrangige Politiker bei Australienreisen feststellen mussten, dass das Verhältnis nicht nur zu wenigen jüdischen Sportlern, sondern gleich zur nicht gerade kleinen jüdischen Community in der australischen Diaspora beschädigt war. Der Bericht kam zu dem Schluss, dass die MWU und ihr Präsident Ronald Bakalorz große Schuld trügen. Bakalorz sollte, so legte es ihm die Knesset-Kommission nahe, zurücktreten.

Dies ist aber aus zwei Gründen nicht bindend: Zum einen ist die MWU eine nicht-staatliche, weltweit tätige Organisation, auf die der israelischen Staat keinen Einfluss hat, zum anderen ist Bakalorz nicht israelischer Staatsbürger, sondern Kolumbianer. Seinen Rücktritt vom Amt des MWU-Präsidenten hatten die Australier bereits seit drei Jahren erfolglos gefordert. Und um ihrer Forderung Nachdruck zu verleihen, empfahl die Knesset-Kommission nun dem Sportministerium, die nächste Makkabiade, die 2001 wieder in Israel stattfinden soll, nicht mehr staatlich zu fördern, wenn Bakalorz weiter im Amt bleibe. Außerdem solle die Regierung endlich und möglichst großzügig Geld an die Opfer und deren Angehörige überweisen. Konsequenzen wurden bislang aus dem Report noch nicht gezogen. Als bislang einzige Reaktion war aus dem Sportministerium zu vernehmen, dass es »weiterhin offen« sei, ob Bakalorz' MWU-Kollege Zvi Varshaviak bei den Olympischen Spielen 2000 in Sydney die israelische Delegation leiten solle.

Ebenfalls offen ist die dritte Frage, die sich aus dem Unglück ergab: Warum in einem modernen und industrialisierten Land wie Israel derart dreckige Flüsse durch Wohngegenden fließen können. Was die Australier zum Teil durch eigene Laborproben belegten, um die Zuständigkeit und Verantwortung der israelischen Behörden gerichtlich Feststellen zu lassen, ist schon lange bekannt und offiziell. In einem Bericht der dem Umweltministerium unterstellten Abteilung für Wasserqualität, der schon aus dem Jahr 1996 stammt, heißt es über den 28 Kilometer langen Fluss: »Die Verschlechterung des Jarkon begann 1955, als viel Flusswasser via Pipelines der Nationalen Wasserversorgung zur Bewässerung der Wüste Negev gebracht wurde. Da ersetzten Abwässer das frische Wasser, Flussbetten wurden zerstört und Flora und Fauna verschwanden.«

Speziell für den Jarkon hatte man 1988 eine eigene Flussbehörde eingerichtet, die sich vor allem im oberen Teil des Flusses um Umweltschutz kümmerte. »Besondere Anstrengungen wurden unternommen«, heißt es in dem Bericht, »um auf der Grundlage umweltfreundlicher Methoden Schädlinge zu kontrollieren und zu bekämpfen, indem natürliche Feinde wie BTI (Bacillus thuringiensis israelensis) eingesetzt werden.«

Das im Land selbst hergestellte biologische Pestizid BTI, von der Regierungskommission noch als umweltfreundlich gelobt, wurde drei Tage vor dem Unglück speziell für die Makkabiade als Anti-Moskito-Mittel über dem Fluss versprüht. Der Journalist David Ramati berichtet in der Israel Resource Review, dass auch Rettungshelfer der Polizei durch »das hohe Level der giftigen Substanzen, die benutzt wurden, um das Wasser gegen Moskitos abzuschirmen«, erkrankten.

Ein Sprecher des Umweltministeriums erklärte hingegen, der Einsatz von BTI sei frühzeitig abgebrochen worden, denn wegen der starken Verschmutzung des Jarkons an dieser Stelle habe das Pestizid nicht wirken können. Im Ministerium hält man vielmehr eine Verkettung unglücklicher Umstände für eine realistischere Erklärung: Der Brückeneinsturz habe den seit Jahren auf dem Flussboden liegenden Schmutz aufgewirbelt und so sei die tödliche Dosis entstanden.

Diese Theorie wird unterstützt durch eine Meldung des israelischen Militärradios, wonach im Sommer Kinder des Tel Aviver Universitäts-Sommercamps an genau dieser Stelle, wo das Schwimmen verboten ist, täglich Kanu fahren, wobei schon mal ein Boot kenterte. Aber keines der Kinder habe danach irgendwelche Krankheitssymptome gezeigt. Auch Fische schwimmen seit einigen Jahren wieder im Jarkon. An eine vorsichtige Entsorgung des offensichtlich verdreckten Flussbodens denkt freilich immer noch niemand.

Drei Jahre lang kämpften die Australier für ihre Rechte und waren, was die finanzielle Seite anbelangt, mittlerweile leidlich erfolgreich. Ihr wichtigstes Instrument war die Drohung mit dem Ausschluss Israels von den Olympischen Spielen. Nun sagt Colin Elterman: »Der Knesset-Report ist sehr gut, wir sind sehr zufrieden, es liegt jetzt am Sportministerium, möglichst schnell die Schlussfolgerungen daraus zu ziehen. Die Familien wollen endlich diese Sache zum Abschluss bringen. Wir wollen Gerechtigkeit, eine Reform der Maccabi World Union und Entschädigung.«

Dass Zvi Varshaviak noch lange seine Ämter im israelischen Olympischen Komitee und im jüdischen Weltsportverband MWU innehaben wird, vermutet kaum jemand. Die Sportler immerhin sind wieder willkommen in Sydney.