Mahnmal für die ermordeten Roma

Deutsche Rechnung

Das Mahnmal für die ermordeten Sinti und Roma in Berlin kann gebaut werden. Die Kosten der Erinnerung lohnen.

Kommt nach dem »Judendenkmal« nun auch das »Zigeunerdenkmal»? Die Berliner CDU jedenfalls hat ebenso plötzlich wie unerwartet ihren Widerstand gegen ein Denkmal für die ermordeten Roma aufgegeben. Noch zu Anfang der vergangenen Woche war Romani Rose, der Vorsitzende des Zentralrats deutscher Sinti und Roma, beim Senat mit seiner Forderung nach einem Grundstück in Reichstagsnähe für das Denkmal, abgeblitzt. Uwe Lehmann-Brauns, der kulturpolitische Sprecher der Hauptstadt-CDU, kündigte Widerstand gegen eine »Gedächtnismeile« in der neuen City an. Schon vor Jahren hatte Eberhard Diepgen gewarnt, Berlin dürfe nicht zur »Reuehauptstadt« werden; aus seiner Ablehnung des Holocaust-Denkmals macht er bis heute keinen Hehl - wenn ein Denkmal für die ermordeten Juden gebaut wird, könne schließlich jede »Opfergruppe« Ansprüche auf ein Mahnmal in der Innenstadt anmelden.

Am Freitag nun eine scheinbare Kehrtwendung. Diepgen beschied: »Ich werde mich nicht mit einer Bundesregierung streiten, wenn es einen in der künstlerischen Gestaltung ausdrucksvollen, aber in seinen Dimensionen vertretbaren Hinweis auf die Opfer der Sinti und Roma im Stadtzentrum gibt.« SPD-Stadtentwicklungssenator Peter Strieder hatte am Tag zuvor den israelischen Künstler Dani Karavan mit einem Entwurf beauftragt. Romani Rose konnte auf seiner Pressekonferenz den Erfolg feiern - der von zahlreichen Prominenten, allen voran Simon Wiesenthal, unterschriebene Appell an Diepgen und den Bundestagspräsidenten Wolfgang Thierse, der nur der Anfang einer Unterschriftenaktion werden sollte, tat verblüffende Wirkung. Zumindest wird die Berliner CDU ein zweites Mahnmal nicht mehr blockieren - jedenfalls vorerst nicht. Aber woher kommt der plötzliche Gesinnungswandel?

Die Angst vor einer »Gedächtnismeile«, die von der Topografie des Terrors zum Holocaust-Mahnmal und zu dem Denkmal für die ermordeten Roma (und weitere) zum neuen Jüdischen Museum führen könnte, hatte in den vergangenen Monaten zu einer Diskussion um das Ausmaß des Gedenkens geführt. Hintergrund waren zunächst scheinbar die gestiegenen Kosten: Sowohl der Neubau für die Topografie des Terrors auf dem Gelände des ehemaligen Reichssicherheitshauptamtes als auch die neue Klimaanlage für das Jüdische Museum im Libeskind-Bau und schließlich der geplante Ort der Erinnerung unter dem Denkmal für die ermordeten Juden lassen all diese Projekte wesentlich teurer werden als ursprünglich geplant. Als Bauherr ließ der Berliner SPD-CDU-Senat den Neubau für die Topografie im Frühjahr 2000 stoppen. Merkwürdiger Weise äußerte niemand den Verdacht, dass der Baustopp andere als finanzielle Gründe haben könnte - obwohl Diepgen nicht einmal zur offiziellen Grundsteinlegung fürs Holocaust-Mahnmal erschienen war.

Die Argumentation der Sachzwänge wurde durchweg akzeptiert und damit auch die Fragestellung: Wie viel Gedenken können wir uns leisten? Über die geldwerten Kosten der Erinnerung an die NS-Verbrechen zu sprechen, ist spätestens seit der Debatte um die Entschädigung ehemaliger Zwangsarbeiter »enttabuisiert« worden. Bis dahin war die Erwähnung von Geld in diesem Zusammenhang ein untrügliches Zeichen für mangelndes historisches Bewusstsein. Und anders als bei anderen politischen, moralischen und psychischen Aufwendungen, geht es beim Sachzwang der Erinnerung tatsächlich nicht nur um vorgeschobene Argumente, sondern ganz materiell um die Frage, wie viel Geld Deutschland für etwas aufzubringen bereit ist, das rapide an Wert verliert.

Der Globalhaushalt für die »Sühneschnäppchen« (Hermann L. Gremliza) muss so verteilt werden, dass es sich für die Berliner Republik lohnt. Was lohnend sei und was nicht, darüber wird zur Zeit in Berlin gestritten. Die einen fordern ein Gesamtkonzept staatlichen Erinnerns, das die Gedenkstätten feinsäuberlich nach verschiedenen Aspekten aufteilt - mit der erwünschten Folge, dass der Gesamtzusammenhang des deutschen Menschheitsverbrechens unsichtbar wird. Zugleich wird mit der Globalisierung des Erinnerungshaushalts fortgeführt, was schon bei der Zwangsarbeiter-Entschädigung erfolgreich war, nämlich dass sich die verschiedenen »Opfergruppen« im Kampf um die Erinnerung in Konkurrenz zueinander begeben müssen.

Dass den Roma und Sinti nun auch ein Denkmal zugestanden wird, hat auch damit zu tun, dass sie bei den gerade beendeten Entschädigungsverhandlungen völlig leer ausgegangen sind. Anders als beim Holocaust-Denkmal, sind es hier die Nachfahren der Opfer selbst, die dieses Denkmal fordern, damit die deutsche Gesellschaft auch diese Ermordeten endlich wahrnimmt - und damit auch die fortgesetzte Ausgrenzung nach 1945. Aber welche Folgen ein Gedenken ohne vorherige Auseinandersetzung mit dem Geschehen hat, war erst kürzlich, ebenfalls in der Entschädigungsdebatte zu beobachten: Die Berliner Republik hat es erfolgreich verstanden, »humanitäre Hilfe« zuzusagen ohne die massenhafte Versklavung überhaupt zu thematisieren. Je nachdem, wie der Entwurf schließlich aussieht, steht auch hier zu befürchten, dass das Denkmal für die ermordeten Roma und Sinti ein weiterer Meilenstein der Wiedergutwerdung wird, in der die Ermordung einer halben Million Menschen zur Sinnstiftung für Deutschland gerät - während die im Kosovo verbliebenen Roma unter auch deutscher Aufsicht weiter massakriert werden.

Der Zentralrat der deutschen Sinti und Roma hat den Eklat gewagt und mit der angekündigten Unterschriftenaktion auch international Aufsehen erregt, gerade vor dem Hintergrund, dass der faschistische Terror in Deutschland allein in diesem Jahr schon acht Todesopfer gefordert hat. Dass Diepgen eben deshalb von der Bundesregierung - deren Mitglieder Gerhard Schröder, Joseph Fischer und Michael Naumann sich in den vergangenen Monaten des Öfteren darüber beklagten, wie sehr die deutsche Vergangenheit im Ausland noch lebendig ist - zum Einlenken bewegt werden konnte, lässt diesen Erfolg, zumal nach dem Anschlag von Düsseldorf, allerdings fragwürdig erscheinen: Das aber ist die deutsche Normalität.