FPÖ-Prozesse gegen Intellektuelle in Österreich

Klagenflut in Klagenfurt

Jörg Haider und die FPÖ gehen verschärft gegen intellektuelle Kritiker vor. Zuletzt wurde der Wissenschaftler Anton Pelinka verurteilt.

Ist er nun ein Nazi, ein Faschist, ein Rechtsextremist, ein Förderer des Nazismus, einer, der bestimmte Seiten des Nazismus salonfähig macht oder nicht? Falsche Antworten auf diese Fragen könnten die richtigen sein, richtige die falschen. Denn die Wahrheit hat ihren Preis.

Jörg Haider hat über seinen Anwalt, Dieter Böhmdorfer, eine Reihe von Privatklagen gegen Wissenschaftler und Publizisten eingereicht, die nun unter ministerieller Aufsicht des FPÖ-Justizministers Dieter Böhmdorfer ihren »freiheitlichen« Gang gehen.

Erstes Opfer ist der Innsbrucker Politologe Anton Pelinka. »Haider hat in seiner Karriere immer wieder Aussagen gemacht, die als Verharmlosung des Nationalsozialismus zu werten sind«, meinte Pelinka in einem Interview mit dem italienischen Fernsehen im Mai letzten Jahres. »Er hat einmal die Vernichtungslager Straflager genannt. Insgesamt ist Haider verantwortlich für eine neue Salonfähigkeit nationalsozialistischer Positionen und bestimmter nationalsozialistischer Äußerungen.«

Dafür wurde er am 11. Mai von einem Wiener Gericht zu einer Strafe von 60 000 Schilling (4 360 Euro) verurteilt. Auch die Prozesskosten musste er übernehmen.

Gegen Pelinka ist ein weiteres Verfahren anhängig. CNN sendete am 27. September des vergangenen Jahres ein Interview mit dem Wissenschaftler, das Haider missfiel. Hier sagte er über den erfolgreichen Dressman des völkischen Nationalismus: »Comparing immigrants to parasites is what the Nazis did regarding to the Jews. I don't claim that Haider is thinking that he will build an Auschwitz death camp somewhere for immigrants, but he is using the same prejudices, the same sentiments as the Nazis to win popular acceptance exploiting xenophobian racism«.

Nun ist es nichts Neues, dass Haider überaus feinfühlig auf Kritik reagiert und fast serienmäßig Prozesse anstrengt. Zur Zeit prozessiert der informelle Anführer der FPÖ nicht nur gegen Pelinka: Auch Wolfgang Neugebauer vom Dokumentationsarchiv des österreichischen Widerstandes, Hans Rascher und das Magazin Profil sowie Ariel Muzicant, der Präsident der Israelitischen Kultusgemeinde zu Wien, sind inzwischen mit Klagen von Haider konfrontiert. Bereits verurteilt wurde der Verein Sozialistischer Jugend, der Haider »Nähe zur Tradition des Faschismus« vorgeworfen hatte.

Geld spielt für den reichsten Politiker des Landes, der einen NS-Profiteur beerbte, dabei keine Rolle. Vor Jahren spottete ein Kritiker, »nur besonders eifrige Journalisten« führten noch Buch über Gerichtsverfahren. Nach dem Regierungseintritt der FPÖ und dem Einzug des Haider-Anwalts ins Justizministerium bekommen die anstehenden Verfahren eine neue Qualität.

Schon in der bisherigen kritischen Literatur über Haider bestimmte allergrößte Vorsicht den Ton - das vielbeschworene »freie Wort« lag bereits an der kurzen Leine. Zuweilen erwecken Texte den Eindruck, die Autorinnen oder Autoren hangelten sich eher krampfhaft denn intellektuell einsichtig an Formulierungen entlang, die bereits juristisch Bestand hatten.

Eine Anmerkung, zu der sich eine Autorin genötigt sah, spricht Bände: »An dieser Stelle muß aufgrund juristischer Erfahrung mit aller Deutlichkeit festgestellt werden, daß mit dem Begriff Rechtsextremismus keinerlei Diffamierung oder Beleidigung von Personen verbunden ist, insbesondere wird damit niemandem der Vorwurf einer 'verächtlichen Gesinnung' im Sinne von Paragraf 111 StGB gemacht. Weder Verlag noch Autorin setzten Rechtsextremismus mit Nationalsozialismus, Neofaschismus oder Neonazismus gleich.«

Die Konsequenz ist, dass wissenschaftliche Fragen der Terminologie letzten Endes hauptsächlich im Hinblick auf ihre juristische Bestandsfähigkeit diskutiert werden. Allein dies führt schon auf die Leimrute der Extremismusforschung. Das ist keine Kritik an den Autorinnen und Autoren, darum sind die Zitate anonymisiert, sondern an den Zuständen, die diese Vorsichtsmaßnahmen nahelegen.

Mit der jetzigen Prozesswelle könnten, wenn die Gerichte »freiheitlich« spuren, Forschung und Publizistik in Österreich an die Kette gelegt werden. Das spürt die Opposition, und so regt sich langsam Protest. Anfang Juni veröffentlichte die Plattform »Universität und Demokratie« den Aufruf »Meinungs- und Wissenschaftsfreiheit in Gefahr in Österreich«. Er richtet sich gegen »Klagen vor Strafgerichten, die Aussagen über den Charakter der FPÖ unterbinden sollen, die den Konsens der historischen, sozial- und sprachwissenschaftlichen Forschung artikulieren«. Dieses Vorgehen verstoße »eklatant gegen das Demokratiegebot der Bundesverfassung und die Präambel der Regierungserklärung vom Februar 2000. Wir verurteilen schärfstens alle Versuche einer Kriminalisierung politischer und wissenschaftlicher Kritik«, heißt es in dem Aufruf.

An der Universität Klagenfurt brachten mehrere Lehrende eine Unterschriftenliste in Umlauf. Die Unterzeichner des knappen Textes bekunden, dass sie die inkriminierte Aussage Pelinkas »für wissenschaftlich gerechtfertigt« halten. Nicht unwahrscheinlich, dass Haider nun zu Privatklagen in Serienproduktion übergeht, eine Klagenflut in Klagenfurt.

Auch in den USA meldeten sich 35 WissenschaftlerInnen, darunter Seyla Benhabib, Geoff Eley, Charles Maier und Andrei S. Markovits, mit einem offenen Brief an den österreichischen Bundespräsidenten Thomas Klestil zu Wort. Ausgehend von einem Grundverständnis der politischen Kultur, nach dem Politiker im Amt generell auf Prozesse als Mittel der politischen Auseinandersetzung verzichten sollten, bittet man Klestil, »von der moralischen Autorität« seines »Amtes Gebrauch zu machen, um nicht nur Pelinka in Schutz zu nehmen, sondern auch um einen möglichst breiten Spielraum für politische Kritik an Inhabern öffentlicher Ämter zu schaffen und zu bewahren«. Auf diese zaghafte Bitte ließ Klestil lediglich verlauten, er lehne es ab, Urteile unabhängiger Gerichte zu kommentieren.

Entschiedener zur Sache geht ein Appell, der Anfang Juni in Le Monde erschien. Der Aufruf wurde von Jacques LeRider initiiert und von akademisch einflussreichen französischen Germanisten und Österreich-Spezialisten unterzeichnet. Die WissenschaftlerInnen stellen sich ausdrücklich hinter Pelinka. Dieser habe »nur die reine Wahrheit zum Ausdruck gebracht, ohne jede Übertreibung. Die Unterzeichner des vorliegenden Textes werden ihrerseits nicht anders über Herrn Haider sprechen.« Das Urteil gegen Pelinka sei eine »Schande für die österreichische Rechtsprechung, die einen desaströsen Justizirrtum begangen hat« und eine »Schande für eine Gesellschaft«.

»Österreich, das heute Anton Pelinka verurteilt, verurteilt sich selbst«, meinen die Unterzeichner und wenden sich konsequent dem Thema »Sanktionen« zu: Man wolle »die impertinenten Propagandisten nicht mehr hören, die ausländische Intellektuelle einladen, den Vorhang zu heben und den 'Sanktionen', wie man gemeinhin das Einfrieren der bilateralen Beziehungen mit Österreich nennt, ein Ende zu machen.« Das geht ans Eingemachte, denn auch die größte parlamentarische Oppositionskraft jammert über die Sanktionen. So betonte der neue SPÖ-Chef Alfred Gusenbauer zwar gegenüber dem SPD-Blatt Die Neue Gesellschaft/ Frankfurter Hefte, »dass für die außenpolitische Isolation Österreichs einzig und allein die jetzige Regierung verantwortlich« sei. Er fügte aber gleich an, es sei »ohne Zweifel kontraproduktiv, wenn von Seiten einzelner EU-Staaten (...) die Kooperation von Wissenschaftlern eingeschränkt« werde.

Kritische Resonanz fand die Verurteilung Pelinkas auch in Schweden durch ein Statement des Verbandes Studieförbudet Näringsliv och Samhälle. Nur aus Deutschland sind bisher keine öffentlichen Reaktionen bekannt. Als wäre es hierzulande irrelevant, wenn man künftig über Haider gerade mal noch sagen dürfte, der Dressman sei braun gebrannt.