Privatisierung von Sozialwohnungen

Harlem lässt grüßen

Gefährliche Orte CXII: Die Häuser denen, die drin wohnen - auch gegen deren Willen. Der Berliner Senat will Sozialbauten privatisieren.

So blank geputzt waren die Fassaden südlich des Kottbusser Tors noch nie. Rund um die Admiralstraße gehen zur Zeit die Maler und die Sandstrahlkolonnen ans Werk. Auch am Fehrbelliner Platz im Bezirk Wilmersdorf werden alte Graffiti übertüncht, neue Kampfansagen (»SPD raus!«) weggeschmirgelt. Alles soll bis spätestens Ende des Jahres besenrein sein, so lautet die Ansage für die Gemeinnützige Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft (GSW) - fertig zur Schlüsselübergabe an Käufer X durch den Senat. Die Privatisierung der größten Berliner Wohnungsbaugesellschaft ist beschlossene Sache.

Zunächst geht es um rund 7 000 Wohnungen, um historisch gewachsenes und sozial bedingtes öffentliches Wohnungseigentum, das nun dank Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) und Finanzsenator Peter Kurth (CDU) zum Zweck der Haushaltssanierung verkauft werden kann. Denn immer noch unterscheidet sich Berlin von Großstädten wie Frankfurt am Main oder München: Rund 90 Prozent der Berliner sind Mieter. Insbesondere die GSW, Eigentümerin von 45 000 Wohnungen im West- und 18 000 im Ostteil der Stadt hat hier seit Jahrzehnten die Aufgabe, auch an ökonomisch nicht so belastbare Personen zu vermieten.

Dennoch schreibt der Wohnungsbau-Gigant schwarze Zahlen. Nach dem geplanten Teilverkauf aber wird der Preis wohl früher oder später durch eine Mieterhöhung oder schließlich durch die Umwandlung in Mietereigentum auf die Mieter umgelegt. Zwar existieren hier momentan überwiegend langfristige, mietpreisgebundene Verträge, aber dieser Umstand vermochte auch beim Verkauf der Wohnungsbaugesellschaft Gehag weder Mietsteigerung noch Luxus-Modernisierungen zu verhindern.

Allzuviel Geld dürfte der Verkauf auch gar nicht einbringen. »Gerade wenn man ein großes Unternehmen verkauft«, so Barbara Oesterheld, baupolitische Sprecherin der Grünen, »kriegt man nicht das, was im Einzelverkauf möglich ist. Beim Massenverkauf von 7 000 Wohnungen ist höchstens ein Quadratmeterpreis von 100 bis 300 Mark drin. Beim Einzelverkauf dagegen, wie ihn die Gehag betreibt, werden bis zu 2 000 Mark pro Quadratmeter gezahlt.«

Denkmalgeschützte Objekte wie die Bauten an der Karl-Marx-Allee wurden so veräußert, die Mieter flogen raus. Weitere Privatisierungen werden folgen: Die 1930 gebaute Carl-Legien-Siedlung (Gehag), die Hufeisensiedlung von Bruno Taut, die Friedrich-Ebert-Siedlung (beide GSW). Sie alle zählen zu den herausragenden Entwürfen einer modernen, sachlichen und bedürfinisgerechten Wohnungsbautradition. Weitere verkaufsrelevante Häuser in GSW-Besitz: das Hansaviertel, die sechzig Hochhäuser der Thermometersiedlung, die Baller-Häuser am Kreuzberger Fraenkelufer und einige Altenheime.

Der Entwurf eines Kaufvertrags verspricht zwar Mieterschutz - etwa die Zusicherung, es werde keine Kündigungen wegen Eigenbedarfs geben, in Eigentumswohnungen dürften die Objekte nur umgewandelt werden, wenn die Mieter sie kaufen. Um die Zusagen des Senats zu garantieren, es werde auch keine betriebsbedingten Kündigungen, dafür aber begrenzte Modernisierungsmieten und ein Engagement des Neubesitzers im Wohnungsbau geben, bräuchte es aber mehr als diese Auflagen, die potenzielle Käufer vor allem dazu nutzen werden, den Preis zu drücken. Von einem Mieterbeirat beispielsweise, der bei den Verkaufsverhandlungen die Interessen der Bewohner nachdrücklich vertreten könnte, ist in dem Papier nicht die Rede.

Beim Verkauf der Gehag gab es ähnliche Zusagen, nur hält sich der Neueigentümer nicht daran - geduldet vom Senat, dem immerhin noch ein Viertel der Gesellschaft gehört. Zumindest was die Mehrheitsverhältnisse angeht, soll sich das bei der GSW wiederholen: »Mindestens 74,9 Prozent« sollen veräußert werden. Und das offensichtlich unter ihrem Wert. Bilanzvolumen, Stamm- und Eigenkapital der Gesellschaft seien zu gering angegeben worden, sagt Barbara Oesterheld. So seien zum Beispiel die Grundstücke weit unter ihrem Marktwert veranschlagt worden. Reich wird die Berliner Senatskasse durch den Verkauf also nicht.

Hans-Jörg Duvigneau, amtierender Geschäftsführer der GSW, geht außerdem davon aus, dass die »vom Verkauf zu erwartenden Gelder schon längst ausgegeben« seien. Die nunmehr beschlossene Privatisierung tauchte bereits im Koalitionsvertrag zwischen CDU und SPD auf, damals aber zierten sich die Sozialdemokraten. Bausenator und Parteivorsitzender Strieder, ehemaliger Bezirksbürgermeister von Kreuzberg, tönte damals, die Sozis wollten nicht »für die Drecksarbeit« zuständig sein - sprich: für harte Maßnahmen gegen die eigene Klientel. Im März noch hatte der SPD-Chef vorgeschlagen, die Wohnungen im Sinne der »sozialen Sicherheit der Mieter« an die Bankgesellschaft Berlin zu verkaufen. Aber auch die gehört dem Land, und so wurde der Vorschlag wieder verworfen, weil er nicht genung Geld eingebracht hätte. »Das Spargebot ist inzwischen beinahe eine Zwangsvorstellung«, sagt Gerlinde Schermer, SPD-Politikerin im Bezirksverein Friedrichshain und Kreuzberg, neben Hans-Georg Lorenz die letzte innerparteiliche Gegnerin der Privatisierung.

So wird die alte Besetzer-Forderung »Die Häuser denen, die drin wohnen« auf eine etwas andere Art und Weise umgesetzt. Nach den Vergünstigungen für Hauseigentümer als Teil des Sanierungskonzepts der achtziger Jahre sollen nun aus den Mietern unfreiwillige arme Eigentümer gemacht werden. Auch das von der PDS propagierte Genossenschaftsmodell hilft nur denen, die eine beträchtliche Einlage leisten können - für das Gros der GSW-Mieter eine Illusion. Dagegen wird die Finanzierung des Eigenheimbaus mit günstigen Darlehen von Bund und Land gefördert, kaufwillige GSW-MieterInnen können diese aber nicht in Anspruch nehmen.

Mit dem Abschied vom sozialen Wohnungsbau hat zudem die Vergabe von Sozialwohnungen an finanziell schwächere Bevölkerungsschichten, Alleinerziehende, Arbeitslose oder ausländische Mieter ein Ende - und damit auch ihre preismindernde Wirkung auf den Gesamtmarkt. »Die GSW war generell verpflichtet, einen Anteil sozial schwacher Mieter zu nehmen. Dies sollte auch bei einer Übernahme so bleiben. Sonst wird es heißen: Alle sozial schwachen Mieter ab in die Platte nach Mahrzahn, die sowieso nicht verkäuflich ist. Harlem lässt grüßen«, warnt ÖTV-Betriebsrat Bernd Wittich - Vertreter der über tausend GSW-MitarbeiterInnen, die zumeist auch Mieter sind.

Während noch futuristische Urbanitätskonzepte wie Urban 21 diskutiert werden, kündigt sich in Berlin eine Demontage des sozialen Wohnungsbaus an. Die Proteste der Mieter wurden bislang wenig beachtet. Wenn sie doch wahrgenommen werden, dann negativ: Auf einer Versammlung von GSW-Mietern will die Frankfurter Allgemeine Zeitung gar eine »Stalinorgel der Rethorik« entdeckt und Aufrufe zum »Klassenkampf« vernommen haben.