Venezolaner bestätigen ihren Präsidenten Chavéz

Mehr Kaffee, weniger Kapital

Nach seiner Bestätigung im Amt setzt Venezuelas Präsident Hugo Chávez weiter auf Populismus. Für den einstigen Putsch-Anführer ist der Neoliberalismus ein »Weg zur Hölle«.

Falls Hugo Chávez als Präsident bestätigt wird, ist ein Militärputsch ziemlich wahrscheinlich; sollte sein einstiger Verbündeter und jetziger Gegenspieler Francisco Arias die Wahl gewinnen, wird es zum Aufstand der armen Bevölkerung kommen. Mit wem immer man in Venezuela vor der zunächst auf den 28. Mai terminierten Wahl sprach und wie immer die Prognosen auch lauteten, meistens wurde das Gespenst eines Bürgerkrieges an die Wand gemalt. Ohne Zweifel polarisiert der 46jährige frühere Fallschirmspringer-Offizier mit dem roten Barett seine Landsleute. Umstritten ist er auch in den USA und Europa. Hier haftet ihm das Stigma des »Linkspopulisten« an - was immer das sein mag. Nun hat Venezuela gewählt, und Chávez wurde nach 18monatiger Amtszeit mit 56 Prozent der Stimmen im Amt bestätigt.

An die Wand gemalt wurden in den reicheren Stadtvierteln von Caracas während des Wahlkampfes auch Sprüche wie diese: »No segundo Cuba« oder »Chávez loco« (verrückt). In den »barrios marginales«, den Armenvierteln, die wie Krähennester in den Bergen rund um die Hauptstadt liegen, und auf dem Land überwiegt die Sympathie für den Präsidenten. Hier kommen seine markigen Sprüche von den »puercos chirriandos« - den kreischenden Unternehmerschweinen - an. Als Chávez im Frühjahr zu mehr Verteilungsgerechtigkeit aufrief, kam es zu spontanen Landbesetzungen. Den Neoliberalismus geißelt er als »la camino infierno« - den Weg zur Hölle. Mit seinem Anti-Amerikanismus rennt er offene Türen ein; die Menschen verübeln den USA noch immer, dass sie sich zunächst am Erdölboom bereicherten und nach den goldenen Zeiten zurückzogen.

Von den 24 Millionen Venezolanern waren etwa 11,5 Millionen wahlberechtigt. Knapp 60 Prozent gingen tatsächlich zur Wahl und übertrafen damit die Erwartungen an die Wahlbeteiligung - in Prognosen waren 48 Prozent genannt worden. Wählen kann in Venezuela nur, wer im Besitz eines Personalausweises ist - das schließt beispielsweise die »illegal« in den Elendsvierteln wohnende arme Bevölkerung aus. Betroffen ist auch die indianische Ureinwohnerschaft - die Ind'genas, die freilich nur etwa zwei Prozent der Bevölkerung ausmachen -, die sich vielfach weigert, das Dokument aus politischen Gründen anzunehmen.

Erstmals waren die Mitglieder der Streitkräfte wahlberechtigt, und erstmals seit 1958 waren die beiden großen Parteien unwichtig. Chávez' Widersacher Arias erreichte rund 35 Prozent. Bei der jetzigen Wahlentscheidung spielt auch die jüngere Geschichte Venezuelas eine Rolle. Nach dem Sturz von Diktator Pérez Jiménez im Jahre 1958 wechselten sich Sozialdemokraten (AD) und Christdemokraten (Copei) an der Regierung ab und teilten sich 40 Jahre die Macht. Das trug zum Ruf Venezuelas bei, eine der stabilsten Demokratien auf dem südamerikanischen Subkontinent zu sein.

Allerdings galt das Land auch als korrupt. Venezuela hat die größten Erdölvorkommen außerhalb der arabischen Welt. Der Profit der staatlichen Ölgesellschaft PdVSA (Petr-los de Venezuela) kam freilich nicht der Bevölkerung zugute, sondern wanderte in die USA und in die Taschen weniger Politiker und Industrieller. Der Erdölboom hat dazu geführt, dass andere Industriezweige vernachlässigt wurden. Auch die Landflucht ist im Zusammenhang mit dem petrochemischen Sektor zu sehen. Heute leben 90 Prozent der Gesamtbevölkerung eng gedrängt in den Städten - vornehmlich in der Küstenregion, wo die Erdölindustrie ansässig ist.

Dank der reichlich fließenden Petrodollars bildete sich eine kleine Mittelschicht heraus. Mit dem Verfall der Erdölpreise zu Beginn der achtziger Jahre und einer drastischen Abwertung des Bolivar im Verhältnis zum US-Dollar am 18. Februar 1983 machte der Spruch »la fiesta termin-« die Runde - das Fest war vorbei. Als dann auch noch Präsident Carlos Andrés Pérez den Forderungen des Internationalen Währungsfonds (IWF) nachkam und zur Sanierung der Staatsfinanzen ein Sparprogramm auflegte, kam es zu heftigen Unruhen in der armen Bevölkerung. Die Krise fand ihren Höhepunkt am 4. Februar 1992, als das aus Zivilisten und Militärs bestehende Bündnis Movimiento Revolucionario Bolivariano einen Putsch wagte, der niedergeschlagen wurde. Anführer der Putschisten: Hugo Chávez und Francisco Arias.

Chávez kam ins Gefängnis, und in der Folgezeit wurde Pérez bei landesweiten Demonstrationen zum Rücktritt aufgefordert. Im Mai 1993 klagte ihn die Staatsanwaltschaft wegen Veruntreuung von Staatsgeldern an und suspendierte ihn vom Amt. Wahlgewinner im Dezember 1993 war der damals 77jährige Rafael Caldera, der das Bündnis Convergencia Nacional anführte, in dem sich kleine Basisgruppen, abtrünnigen Copei-Leute, die PCV (Kommunisten) und die MAS (Linkssozialisten) zusammenschlossen. Chávez wurde begnadigt. Mit der Agenda Venezuela reihte sich Caldera ab 1996 bei den Neoliberalen ein und erfüllte mit der Freigabe der Wechselkurse, mit Zins- und Steuererhöhungen, Privatisierungen und Subventionsabbau Forderungen des IWF. Für die arme Bevölkerung bedeutete das eine weitere Verschlechterung der Lage. Teodoro Petkoff, Calderas Planungsminister, räumte damals ein, dass etwa 80 Prozent der venezolanischen Bevölkerung in sozialer Not leben, woran sich bis heute nichts geändert hat.

Unter Führung von Chávez' MVR (Bewegung Fünfte Republik) gewann im Dezember 1998 das Bündnis Polo Patri-tico die Wahl. Zunächst rief der neue Präsident die Repœblica Bolivariana de Venezuela (Bolivarische Republik) aus, was ihm den Spott einbrachte, er sei wohl so etwas wie die Reinkarnation des Volkshelden Sim-n Bolivar, der vor 170 Jahren die nördlichen Länder Südamerikas zur Unabhängigkeit führte. Was genau Chávez unter der »friedlichen bolivarischen Revolution« versteht, muss die nahe Zukunft zeigen. Bisher setzte er eher durch Symbolik Akzente. So wird beispielsweise allen Schulkindern täglich ein halber Liter Milch zugesichert. Für Gewerbetreibende im größeren Stil wurde der Strompreis heraufgesetzt, um so den »Stromklau« in den Elendsquartieren zu kompensieren.

Weiter ließ Chávez eine neue Verfassung erarbeiten, die im Dezember 1999 durch ein Referendum bestätigt wurde. Der Zwei-Kammern-Kongress wurde zur Nationalversammlung umgebaut, und die Gouverneure der 23 Bundesstaaten verloren einen Teil ihrer Autonomie. Die ungeschriebene Präambel der Verfassung lautet: »Alle Macht dem Präsidenten!« Die 165 Parlamentsabgeordneten genießen keine Immunität mehr. Der oberste Gerichtshof muss sich demnächst demokratisch wählen lassen. Weitgehende Rechte bekamen die Ind'genas. In den Bundesstaaten Amazonas, Bolivar und Apure - sie machen mehr als die Hälfte der Landesfläche aus - dürfen sie über ihr Land frei verfügen. Missionaren ist es per Gesetz verboten, gegen den Willen der Ind'genas in diese Gebiete einzudringen. Das unkontrollierte Schürfen nach Gold und Diamanten in den Schutzgebieten soll gestoppt werden.

Umgebaut wird derzeit die staatliche Erdölgesellschaft PdVSA, die Chávez als »Staat im Staate« bezeichnet. Etwa 200 Manager mussten gehen, und mehr als 2 000 verließen den Konzern »freiwillig«. Die restliche Industrie - Kupfer, Kohle, Eisen - liegt weitgehend brach. Viele Unternehmen haben ihre Produktion eingestellt, da sie abwarten wollten, wie die Wahl ausgeht. Etwa acht Milliarden US-Dollar wurden in den letzten Monaten aus dem Land gebracht.

Nun soll durch den zügigen Wiederaufbau der Textil- und Nahrungsmittelindustrie die derzeitige Erwerbslosenquote von 15 Prozent gesenkt werden. Auch die Reanimation der Landwirtschaft steht an. Mit dem Anbau und der Verarbeitung von Zucker, Kaffee, Tabak und Mais kann lediglich die Hälfte des Eigenbedarfs gedeckt werden. Der Erfolg der Wirtschaftspolitik wird sich auch daran messen, ob es gelingt, die Inflationsrate von 20 Prozent in den Griff zu bekommen. Es wird sich zeigen, ob Chávez die Hoffnung der armen Bevölkerung erfüllt. Die Financial Times Deutschland titelte nach der Wahl: »Bittere Schlappe für Venezuelas Establishment.« Vielleicht ist das Fest für die Wohlhabenden in Venezuela tatsächlich zu Ende. Der benachteiligte Teil der Bevölkerung aber jubelt: »La fiesta empeza« - das Fest beginnt.