Republikaner nominieren George W. Bush

Orgie des Hedonismus

Auf dem aufwendig inszenierten Parteitag der Republikaner in Philadelphia hat sich George W. Bush als gemäßigter Konservativer präsentiert.

Im Zwei-Parteien-System der USA kommt es bei Wahlen vor allem darauf an, die Wahlbeteiligung der Stammwähler zu sichern und die Wechselwähler der politischen Mitte für sich zu gewinnen. Diese zweite Zielvorgabe macht es für Demokraten notwendig, sich als Konservative darzustellen. Der voraussichtliche Kandidat der Demokraten, Al Gore, thematisiert daher verstärkt Verbrechensbekämpfung und innere Sicherheit. Der designierte Kandidat der Republikaner, George W. Bush, hat in seiner Zeit als Gouverneur von Texas mit 139 Hinrichtungen sein Hardlinertum bereits zweifelsfrei unter Beweis gestellt und schlägt daher im Präsidentschaftswahlkampf gemäßigtere Töne an. Sein Schlagwort heißt »compassionate conservatism« - Konservatismus mit Herz.

Von Dienstag bis Freitag der vergangenen Woche fand in Philadelphia, Pennsylvania, die National Convention statt, der Bundesparteitag der Grand Old Party. Die 2066 Delegierten kürten Bush einstimmig zum Präsidentschaftskandidaten. In seiner Antrittsrede erklärte Bush allen, die es hören wollten, was er unter »compassionate conservatism« versteht. Er habe ein Jugendgefängnis in Marlin, Texas, besucht. »Ein zorniger, misstrauischer, fünfzehn Jahre alter Junge schaute mir in die Augen und stellte mir die Frage: Was halten Sie von mir?« Die Delegierten waren beeindruckt. Die Antwort auf die Frage des Gefängnisinsassen blieb Bush bis zum Ende seiner Rede schuldig.

Bush will das Sozialversicherungssystem reparieren; es stehe kurz vor dem Ende. Die Clinton-Administration habe in acht Jahren trotz wachsender Probleme nichts zur Stärkung des Systems unternommen. Was will Bush ändern? »Keine Änderungen, keine Abzüge, no way«, erklärte er den Rentnern. Privatisieren will Bush Teilbereiche des Systems aber doch: »Arbeiter sollen selbst entscheiden können, was sie mit ihrem Geld machen wollen.« William Clintons Vorschlag, Teile des in den nächsten Jahren zu erwartenden gigantischen Haushaltsüberschusses der öffentlichen Rentenversicherung zuzuführen, mochten sich die Republikaner, die im Kongress die Mehrheit stellen, nicht anschließen - Bush ging in seiner Rede nicht auf den Plan ein.

Im Hinblick auf das Gesundheitsvorsorgeprogramm Medicare war Bushs einzig konkreter Vorschlag einer, den Clinton seit zwei Jahren bei jeder Gelegenheit vorträgt, der aber von den Republikanern im Kongress regelmäßig blockiert wird: Der Staat soll sich an den Kosten für verschreibungspflichtige Medikamente für ältere Menschen beteiligen. Kurz: Bush hat, abgesehen von leicht abzuschmetternden Vorwürfen und moralinsauren Anspielungen auf die Skandale Clintons, nichts gesagt. Allerdings kann man ihm deswegen auch kaum einen Vorwurf machen. Der amtierende Präsident Clinton hatte die Wahlen 1992 und 1996 mit einem Programm gewonnen, dem gemäßigte Republikaner ohne Schwierigkeiten hätten zustimmen können - der wirtschafts- und sozialpolitische Teil bestand schließlich weitgehend aus Umformulierungen klassisch republikanischer Forderungen.

Unter der Regierung Clinton haben die USA einen wirtschaftlichen Aufschwung erlebt, der von vielen mit dem Wort »unglaublich« belegt wird. Die Arbeitslosenquote fiel nach offiziellen Zahlen von 7,5 Prozent auf nahezu Null, und das Haushaltsdefizit von 270 Milliarden Dollar, das die Clinton-Administration von Bush senior geerbt hatte, wird sich mittelfristig in einen Überschuss verwandeln. Den sozialen Frieden konnte die Clinton-Administration trotz ihrer Deregulierungspolitik mit marginalen Zugeständnissen an die Unterschichten sicherstellen, zum Beispiel durch einen gesetzlich gesicherten, zwölfwöchigen, unbezahlten Mutterschaftsurlaub. Bush kann sich also durch eine Selbstdarstellung als gemäßigter Republikaner kaum von den Demokraten abheben - Clinton und Gore sind bereits perfekte gemäßigte Republikaner.

Auch Bushs außenpolitische Forderungen beschränken sich auf Leerformeln. Er will die »Führungsrolle der USA in der Welt wiederherstellen«. Hiermit kann der als außenpolitisch völlig unerfahren geltende Texaner gegenüber den in den letzten Jahren außenpolitisch sehr erfolgreichen Demokraten kaum punkten. Bushs konkrete Forderungen nach einer Erhöhung des Militärbudgets und dem Aufbau eines Raketenabwehrsystems sind zwar nicht unpopulär, aber in der alles entscheidenden politischen Mitte auch keine Garantie für einen Wahlsieg.

In den Umfragen liegt Bush junior derzeit trotzdem vor Gore. Der Texaner konnte, nachdem Clinton den Wählern erfolgreich klassisch republikanische Politik als Reform verkauft hat und die Republikaner damit weit nach rechts trieb, jetzt seinerseits auf dem Territorium der Demokraten wildern. Drei ihrer klassischen Programmpunkte - Medicare, Bildungsreform und Stärkung der Sozialversicherung - hat er bereits übernommen.

Spektakulärer ist sein Versuch, sich auf dem Gebiet der Minderheitenpolitik zu profilieren - durch einen überraschend hohen Anteil schwarzer und hispano-amerikanischer RednerInnen auf dem Parteitag und wiederum mittels leerer Formeln wie der vom »Niederreißen der Mauer des Vorurteils, die zu viele Menschen von der Teilhabe am amerikanischen Traum ausschließt«.

Wirklich debattiert wurde auf dem Parteitag nicht. Bereits im März stand Bush wegen seines großen Vorsprungs im Vorwahlkampf als Kandidat fest. Bush musste sich gegen niemanden mehr durchsetzen und ließ sich entsprechend feiern. Ein älterer Delegierter bezeichnete den Parteitag gegenüber der Washington Post als »größte hedonistische Orgie in der Geschichte der Politik« - ein »Marathon von Rock- und Blueskonzerten, Golf- und Angelturnieren, Yacht-Kreuzfahrten und Einkaufsausflügen«, so die Zeitung. Drei Jahre lang hatte sich die Stadt Philadelphia auf die National Convention der Republikaner vorbereitet. Es wurden 4 000 neue Hotelzimmer gebaut, um dem Ansturm von Delegierten, Parteimitgliedern, Lobbyisten und 15 000 Journalisten gerecht zu werden.

Die andere Seite der Vorbereitungen betraf die Sicherheitskräfte der Stadt. Schon früh hatten verschiedene Organisationen zu Protesten gegen den Parteitag aufgerufen, und die Polizei der Stadt hatte sich entsprechend vorbereitet. Es wurde nicht der angekündigte »größte Protest gegen eine National Convention in der Geschichte der USA«, doch immerhin einige zehntausend Aktivisten trafen in Philadelphia zusammen. Obdachlose, Gewerkschafter, Maoisten, Zapatisten aus Mexiko, der so genannte Schwarze Block und sogar einige fundamentalistische Christen protestierten gegen den Parteitag. Die Koordination übernahm das eigens gegründete R2K network (Republikaner-2000-Netzwerk).

Die wichtigsten Themen waren die Scheinheiligkeit der politischen Parteien, die Todesstrafe und der industrielle Gefängnis-Komplex sowie die Tatsache, dass der ökonomische Aufschwung viele Menschen marginalisiert. Auf einem Transparent hieß es: »35 Millionen Amerikaner leben in Armut«. Die gesellschaftliche Gruppe der »working poor«, so die Kritik, werde immer größer, ohne dass Regierung oder Opposition ernsthaft etwas dagegen unternehmen würden.

Ihren Höhepunkt hatten die Proteste am Dienstag letzter Woche, als die Demonstranten Teile der Innenstadt lahm legten und die Polizei versuchte, die Blockaden aufzulösen. Nach Angaben der Polizei gab es 282 Festnahmen an diesem Tag; während der ganzen Woche waren es 390. Gegen alle Festgenommenen wird Anklage erhoben; gegen die meisten wegen Ordnungswidrigkeiten, gegen 65 wegen Straftaten. In Pennsylvania gibt es allerdings Ordnungswidrigkeiten, für die bis zu fünf Jahre Haft und 10 000 Dollar Geldstrafe verhängt werden können.

Für Police Comissioner John F. Timoney aus Philadelphia war die Sache nach den Protesten in Seattle und Washington D.C. klar: »Wir sind die dritte oder vierte Stadt, die leidet«, zitierte ihn die Zeitung The Inquirer. »Ich denke, dass es (...) einen Kader aus, wenn man so will, kriminellen Verschwörern gibt«, die sich damit beschäftigten, »Chaos zu veranstalten, Eigentum zu beschädigen, Gewalt zu verursachen« in Städten, in denen Großveranstaltungen stattfinden. Zum nächsten Ereignis wird schon mobilisiert: Vom 14. bis 17. August soll in Los Angeles die National Convention der Demokraten stattfinden.