Thyssens kanadisches Rüstungsprojekt

Andauernd Komplotte

Von der rotgrünen Bundesregierung habe ich rein gar nichts erwartet. Und auch wenn das paradox klingen mag: Irgendwie bin ich trotzdem noch enttäuscht worden.

Ähnlich geht es mir jetzt mit der einstigen CDU/CSU/FDP-Regierung. Dass das alle Halunken waren, das sagte mir sowohl meine sozialistische Vorbildung als auch mein gesunder Menschenverstand. Und doch ist es immer wieder überraschend zu sehen, wie dreist diejenigen, die stets nach Recht und Ordnung schreien, die Interessen ihrer Auftraggeber an Recht und Gesetz vorbei durchdrücken. Freilich hatte ich mir das Regierungsgeschäft im Kapitalismus durchaus komplizierter vorgestellt - etwas dialektischer sozusagen. In Wirklichkeit ist es jedoch ganz einfach: Der eine zahlt und schafft an, der andere regiert.

Man nehme zum Beispiel das Thyssen-Rüstungsprojekt Bear-Head in Kanada. Weil das deutsche Kriegswaffenkontrollgesetz lukrative Geschäfte mit Staaten in Krisengebieten nicht gestattet, entschloss sich der Konzern Mitte der achtziger Jahre, eine Rüstungsfabrik in Kanada zu bauen - auf einer kleinen Halbinsel, die die Form eines Bärenkopfes hat. Kontakte zu Kanadas Regierung waren dank des umtriebigen bayerischen Geschäftsmannes Karlheinz Schreiber schnell geknüpft.

Das Projekt erschien so vielversprechend, dass Thyssen schon am 31. Oktober 1985 mit dem Schreiber-Unternehmen Bitucan eine Provisionsvereinbarung abschloss. Für jedes von ihm vermittelte Rüstungsgeschäft der Bear-Head-Fabrik sollte Schreiber drei Prozent des Nettoverkaufswerts als Provision erhalten. Wie aus den kanadischen Planungsunterlagen hervorgeht, sollte die Fabrik vor allem den vielversprechenden Markt im »mittleren Osten« bedienen - eine Region, die gemeinhin als Krisengebiet im Sinne des Kriegswaffenkontrollgesetzes gilt -, weshalb Schreiber für Geschäfte mit Saudi-Arabien wohl auch eine Sonderklausel aushandelte: zehn Prozent Provision statt drei.

Das Projekt erhielt Unterstützung von höchster Stelle, auf kanadischer und auch auf deutscher Seite. Als Kanzler Helmut Kohl 1988 Kanada einen Besuch abstattete, wurde er vorab von Thyssen und Schreiber mit einem Memorandum gebrieft, dessen erster Satz lautete: »Premierminister Mulroney würde es sehr begrüßen, wenn Bundeskanzler Dr. Kohl ihn auf das Projekt Bear Head Industries in Nova Scotia anspricht als ein von der Bundesregierung positiv beurteiltes Beispiel der interatlantischen Kooperation im Verteidigungssektor.«

Leider wurde Mulroney 1993 abgewählt - das Ende für das Bear-Head-Projekt. Jahre später wurden Korruptionsvorwürfe gegen den ehemaligen kanadischen Premier erhoben: Er habe zusammen mit Schreiber und anderen in einem »andauernden Komplott« Kanada um Millionen Dollar gebracht. Doch die Vorwürfe konnten nicht bewiesen werden.

Auch im Thyssen-Vorstand musste man über das geplatzte Geschäft nicht wirklich traurig sein. Die Bundesregierung hatte das Unternehmen schon 1991 fürstlich entschädigt: mit der großzügigen Genehmigung eines Verkaufs von 36 Fuchs-Spürpanzern mitten ins Krisengebiet nach Saudi-Arabien. 450 Millionen Mark zahlten die Saudis dafür, davon allein 220 Millionen an Schmiergeldern.

Und auch unter der rotgrünen Regierung braucht sich der Rüstungskonzern keine Sorgen zu machen: Schließlich weiß man mit dem SPD-Politiker Helmut Wieczorek einen ausgewiesenen Thyssen-Mann auf seiner Seite. Wieczorek fungierte jahrelang als Geschäftsführer der Thyssen-Tochterfirma Thyssen Engineering. In dieser Eigenschaft setzte er sich bereits 1989 maßgeblich für das Bear-Head-Projekt in Kanada ein. Auf seine Anweisung zahlte Thyssen Engineering von 1989 bis 1991 monatlich 6 000 kanadische Dollar an die Schreiber-Firma Bitucan. Heute ist Wieczorek Vorsitzender des Verteidigungsausschusses des Bundestages.