Lexikon des Medien-Kapitalismus

Emanzipation in Disneyland

Der Medienkapitalismus boomt, was macht die kritische Medienforschung? Dieter Prokops neues Lexikon sorgt für einen Überblick.

Bereits im Jahre 1998 wies der nicht unbedingt zu den originellsten Medienforschern zählende Werner Faulstich darauf hin, dass der herrschende Mediendiskurs des letzten Jahrzehnts reichlich verkommen sei und dass seine Protagonisten sich nicht die Spur um die Verständlichkeit und Plausibilität ihrer Argumente scherten. Angesprochen war damit die Riege der Medientheoretiker Bolz, Flusser, Kittler, Rötzer, Virilio u.a., deren frei flottierendes Umherphilosophieren zwischen »digitalen Weltentwürfen« und so genannten »Fluchtgeschwindigkeiten« als Pseudo-Medientheorie noch freundlich umschrieben war.

Betrachtet man die meisten aktuellen Beiträge zum Mediendiskurs, so wird deutlich, dass dieses Geraune um »neue Welten« und »Chancen zur interaktiven Nutzung der Medien« mittlerweile prägend geworden ist. Bedauerlicherweise auch innerhalb der Linken, die seit geraumer Zeit klare analytische Gedanken durch Subversionsstrategien ersetzt hat, die dazu dienen, die Ratlosigkeit ihrer unzulänglichen Politikvorstellungen zu kaschieren. Das hat bekanntlich noch nie gereicht. Es fehlt eine kritisch zugespitzte Thematisierung der vorherrschenden Prozesse im Medienkapitalismus, und momentan führen die Marktstrategen nicht nur materiell, sondern auch geistig die Medienliga an.

Vom Ansatz her hätte das neue Buch des Frankfurter Medienprofessors Dieter Prokop hier Abhilfe schaffen können. »Der Medien-Kapitalismus« behandelt in lexikalischer Form die Felder Politik, Gesellschaft, Wirtschaft, Publikum, Medienprodukte und Medienpraxis. Überzeugend ist Prokop immer dort, wo er statistisches Zahlenmaterial anführt, die Verflechtung der Medienkonzerne analysiert oder wichtige theoretische Grundbegriffe (z.B. Kulturindustrie oder Fetischcharakter) erläutert. Aber bei einer Zustandsbeschreibung wollte Prokop offenbar nicht stehenbleiben. So fließen in das Buch auch theoretische Reflexionen ein, die als fragwürdig zu bezeichnen sind.

Der aus dem Umfeld Adornos kommende Prokop hat sich bereits in seinen ganz frühen Arbeiten »Soziologie des Films« (1970) und »Massenkultur und Spontaneität« (1974) für einen emanzipatorischen Medienansatz stark gemacht, der dem Publikum mehr Kreativität einräumen sollte. Daran hielt er auch in seinen nachfolgenden Untersuchungen fest, nur hatte sich schon 1995, als sein Buch »Medien-Macht und Massen-Wirkung« erschien, die Situation verändert, weil der Zugriff der Medienkonzerne auf die Konsumenten allgemeiner und umfassender geworden war.

Auch im »Lexikon der neuen kritischen Medienforschung« hält Prokop am Ideal des intelligenten Zuschauers fest, wobei er völlig überschätzt, welche Möglichkeiten ein dem Medienmarkt unterworfenes Publikum tatsächlich hat. Sicher, die Angebotspalette ist größer geworden, aber in welchem Rahmen vollzieht sich dieses Angebot? Der Mediennutzer darf vor allem auswählen und zahlen. Ein massenwirksames Medienprodukt selbst herzustellen, ist auch heute nur den wenigsten möglich. Wenn das dann noch gesellschaftlich relevant sein soll, hört es ganz auf. Oder ist das soziale Bewusstsein schon so weit deformiert, dass die Einrichtung einer Porno-Domain im Internet als Medienemanzipation verstanden wird?

Ungeachtet der Medienstruktur, die lediglich die marktkonforme Überbrückung des Sender-Empfänger-Schemas erlaubt, beharrt Prokop darauf, dass das Publikum nicht dumm ist. Was ist dagegen zu sagen? Nichts, solange alle gesellschaftlichen Komponenten mitgedacht werden, die auf den Medienkonsum einwirken. Schon Oskar Negt hatte Anfang der siebziger Jahre betont, im Zentrum einer kritischen Medientheorie stünden eben nicht die Medien. Prokop berücksichtigt das auch, bleibt aber dennoch bei seiner These, obwohl ihm schwant, dass mit ihr nicht alles gesagt sein kann. Er verweist auf das kritische Potenzial des Publikums, auf die Phantasiearbeit der Zuschauer bei der Aneignung populärer Medienprodukte, auf die utopischen Elemente in den Medien-Inszenierungen und auf die von ihm so genannten »populären Universen«, die für die Zuschauer in der Medienwelt Projektionen und Identifikationen mit Wunschbildern bereit halten, die den sozialen Alltag erträglicher machen sollen.

Das ist weder neu noch kritisch, sondern fällt auf den Erkenntnisstand Ernst Blochs zurück, der auch hinter jeder ausstaffierten Adolf-Wohlbrück-Imitation eine Hoffnung auf Besseres aufscheinen sah. Misst man dies indes an den Maßstäben der heute unmodernen, aber längst nicht überholten Ideologiekritik, dann ist Prokops Argumentation ganz und gar unzureichend. Denn in einem emanzipatorischen Sinne soll ja nicht der repressive Alltag erträglicher gemacht, sondern der Blick dafür geschärft werden, dass wenigstens die Vorstellung von einem anderen Leben in der Gesellschaft aufgezeigt werden könnte.

Eine sozialkritische Perspektive dürfte sich nicht auf das momentane Medienangebot und eine kreativ bemäntelte Aufwertung des Publikums beschränken lassen, sondern müsste die Suche nach Alternativen in der Programmgestaltung mitreflektieren. An diesem Punkt scheint Prokop allerdings aufgegeben zu haben. Andernfalls würde der Kritiker des Medienkapitalismus wohl nicht den Inszenierungsgeist von Disneyland als »Utopie« und die »Maschendrahtzaun»-Hatz als »kreatives, sorgloses Spiel« mit den Stereotypen der Unterhaltungsindustrie missdeuten.

Als völlig unzulänglich erweist sich Prokops Kritikansatz, wenn man ihn auf die prekären Produkte der Populärkultur anzuwenden versucht und beispielsweise nach dem Zusammenspiel von rechter Musik und rechter Ideologie fragt (ein Bereich, den Prokop nicht eigens behandelt). Zwar gelingt es ihm, die Schwächen gängiger Theorien der Medienwirkungsforschung (konstruktivistische Ansätze, Use-and-Gratification-Theorie) herauszuarbeiten, andererseits kann er die Leerstellen selbst nicht produktiv besetzen. Über die Auswirkungen von Gewalt in den Medien schreibt Prokop, dass es nicht die gewalttätigen Inszenierungen in den Medien sind, die reale Gewalt in die Gesellschaft induzieren, sondern dass das aggressive gesellschaftliche Umfeld selbst sowohl die Gewalt auf den Straßen als auch die in den Medien produziert.

Das ist durchaus zutreffend. Die Analyse exakt dieses Umfeldes bleibt aber aus. Entsprechend lässig argumentiert Prokop, wenn es um die Wirkung von Werbung geht. Werbung in den Medien wird gesehen und registriert, verursacht jedoch nicht die angestrebte Erhöhung der Kaufaktivität. Das wissen angeblich auch die Werbeunternehmen. Die simplen Grundannahmen der Wirkungsforschung sind damit zwar hinfällig, eine erweiterte gesellschaftliche Perspektive schafft allerdings auch Prokop nicht. Eine Band wie Rammstein bestünde demnach nur aus Attitüde, diente nicht zur Erzeugung eines rockigen Klimas der Vernichtung, in dem alle Nazis von der Nazidiktion befreit werden und gleichzeitig ihren Hass als neutrale Grundstimmung ausgeben können. Dass die medialen Darstellungen von Gewalt vor allem ideologische Konsequenzen haben (Autoritätshörigkeit, Gewöhnung an neue kulturelle Muster, stilistische Vorbildfunktionen u.a.m.) bleibt unberücksichtigt.

Das Fazit der Lektüre ist somit mehr als zwiespältig. Gewiss ist Prokop keiner der Pseudo-Medienphilosophen vom Schlage eines Bolz, aber dem eigenen Anspruch, zur Entwicklung einer neuen kritischen Medienforschung beizutragen, ist er nur sehr bedingt gerecht geworden.

Dieter Prokop: Der Medien-Kapitalismus. Das Lexikon der neuen kritischen Medienforschung. VSA, Hamburg 2000, 360 S., DM 39,80