Arbeitskampf im Call-Center

I just called to say: You're fired

Gefährliche Orte CXIII: Berlin ist die Hauptstadt der Call-Center. Vor allem StudentInnen sind für den Job am Hörer geeignet - solange sie keine Forderungen stellen.

Etwas Ärger haben wir schon erwartet«, erzählt Maike Blumfeld*, »doch mit einer solchen Reaktion hat niemand gerechnet.« Mehr als zwei Jahre arbeitete die 23jährige Politikstudentin in einem Berliner Call-Center: Telefonistin auf Teilzeitbasis, ohne schriftlichen Arbeitsvertrag, im Schichtsystem, für 15 Mark pro Stunde.

Jetzt müssen sich Blumfeld und 15 weitere KollegInnen nach einer neuen Einkommensquelle umsehen. Mitte Juli wurde ihnen von der AudioService GmbH, einer Tochterfirma des Berliner Kleinanzeigen-Blattes Zweite Hand, fristlos gekündigt. Sie hatten sich über die schlechter werdenden Arbeitsbedingungen beklagt und Forderungen gestellt.

Anlass für ihr Aufbegehren war ein neu eingeführter Passus auf den seit Jahren benutzten Lohnabrechnungsbögen. Seit Juli müssen die Angestellten, wollen sie ihren Lohn erhalten, folgende Klausel unterschreiben: »Das befristete Arbeitsverhältnis beginnt mit der für den jeweiligen Tag angegebenen 'Beginn Uhrzeit' und endet automatisch mit der angegebenen Beendigungszeit, ohne dass es einer Kündigung bedarf.« Wer die Unterschrift verweigert, kann gehen.

Schriftliche unbefristete Arbeitsverträge, Lohnfortzahlung im Krankheitsfall, bezahlten Urlaub und Kündigungsschutz forderten die TelefonistInnen. Zudem wollten sie eine Lohnerhöhung von derzeit 15 auf 18 Mark pro Stunde sowie die Einführung von Wochenend- und Nachtzuschlägen erreichen. »Bei unserer Forderung haben wir den Stundensatz anderer Berliner Call-Center zum Maßstab genommen«, so Sven Gruber*, der ebenfalls entlassen wurde. »Dieser Katalog war ein Verhandlungsangebot«, betont er.

Insgesamt 30 Call-Center-Agents, so die offizielle Berufsbezeichnung, unterzeichneten den Brief an die Geschäftsführung. Deren Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. »Am Tag darauf wurde uns gekündigt. Unter Aufsicht mussten wir unsere Sachen packen, wurden zum Ausgang begleitet und erhielten Hausverbot«, erzählt Blumfeld. Dieselbe Erfahrung machten auch drei weitere Agents, die dem Geschäftsführer von AudioService, Markus Broschk, Tage später einen von 17 MitarbeiterInnen unterzeichneten Protestbrief überreichten. Die Agents hätten auf ihren Abrechnungsbögen Passagen gestrichen, begründete die Geschäftsführung mündlich die fristlosen Entlassungen. Auf den schriftlichen Kündigungen ist gar kein Grund angegeben.

Verhandlungen oder schriftliche Arbeitsverträge sind in der boomenden Call-Center-Branche gar nicht angesagt. Ebensowenig die Organisierung und Mitbestimmung der ArbeitnehmerInnen. Derzeit existieren in Berlin rund 60 Call-Center, bundesweit arbeiten etwa 120 000 Menschen als Agents. Im europäischen Vergleich belegt Deutschland damit den zweiten Platz - hinter Großbritannien. Dort werden, wie der Generaldirektor des US-amerikanischen Call-Center-Unternehmens Sitel UK, Paul Cresswell, schätzt, in zwei Jahren mehr Menschen in Call-Centern arbeiten, als in der gesamten Schwerindustrie.

Grund für diese Entwicklung ist der Trend zum »Outsourcing«, also die Auslagerung von Arbeitsbereichen wie beispielsweise Kundenservice, Kundenwerbung und Vertriebsoptimierung. Ziel ist die Kostensenkung, Resultat die Gründung neuer, tarifungebundener Unternehmen. Mittlerweile konkurrieren die Bundesländer um die Ansiedlung neuer Call-Center.

Die Einschränkung von Arbeitnehmerrechten und der Abbau von Sozialstandards werden dabei nicht nur billigend in Kauf genommen. Sie sind vielmehr der entscheidende Faktor im Standort-Wettbewerb. Eine unbürokratische Genehmigung von Sonn- und Feiertagsarbeit oder gar eine generelle Freistellung von Genehmigungsverfahren, Lohnkostenzuschüsse bis zu 50 Prozent, der Hinweis auf einen regional schwachen Arbeitsmarkt oder einen Universitätsstandort - all das sind Garanten für ein niedriges Lohnniveau. Der Boom der Call-Center ist nichts anderes als die Abschaffung tariflich gesicherter Vollzeitarbeitsplätze zu Gunsten ungesicherter Niedriglohnarbeit. Dies wirkt sich aufs Beschäftigten-Profil aus. Zwar finden sich alle nur denkbaren Berufsgruppen im Call-Center wieder, ein Großteil der Agents aber ist weiblich, etwa 65 Prozent aller TelefonistInnen sind jünger als 32 Jahre.

Gerade StudentInnen sind gern gesehen. Zum einen, weil sie billige Arbeitskräfte sind. Zum anderen, weil Arbeitszeitregelung und Firmenideologie der meisten Call-Center auf junge, dynamische Menschen zugeschnitten sind. Die meisten Unternehmen sind sieben Tage pro Woche und 24 Stunden am Tag erreichbar. Also wird im Vielschichtsystem zwischen vier und sechs Stunden gearbeitet. Flexible Zeiteinteilung und die Möglichkeit, den Job jederzeit hinschmeißen zu können, kommen dem Bedürfnis vieler StudentInnen nach »Unabhängigkeit« entgegen.

Darüber hinaus suggeriert das in der Branche übliche »Du« das Gefühl, zur Familie Firma dazuzugehören. Doch was auf den ersten Blick wie ein Alternativ-Betrieb sentimentaler Alt-68er aussieht, ist die bewusste Strategie zur Schaffung einer Corporate Identity.

Gleichzeitig ermöglicht die moderne Telekommunikationstechnik den Unternehmern umfassende Kontrolle. ACD-Telefonanlagen registrieren die Dauer eines Calls, die Zeit zwischen Klingeln und Antwort, die Anzahl der angenommenen oder weitergeleiteten Calls, die Zahl der Anrufer in der Warteschleife, die Nachbearbeitungszeiten und die Pausenzeiten.

Während die hohe Frequenz von Anrufen und ständig wechselnde GesprächspartnerInnen ein Höchstmaß an Konzentration erfordern, sind die Agents von der Monotonie der Arbeitsabläufe unterfordert. Nicht ohne Grund werden Call-Center mittlerweile als Kommunikationsfabriken und Agents als moderne FließbandarbeiterInnen bezeichnet. Dennoch fällt es Angestellten und Gewerkschaften bisher schwer einzugreifen. Nicht selten enden die Arbeitsverhältnisse wie bei der AudioService GmbH. Betriebsräte gibt es nur in Ausnahmefällen; Schichtsysteme und die hohe Fluktuation der Beschäftigten behindern die Entstehung sozialer Kontakte, die jedoch die Basis für Protestbereitschaft und Organisierung bilden.

Blumfeld, Gruber und ihre Berliner KollegInnen zumindest wollen ihre Entlassung nicht hinnehmen. Sie haben Klage wegen unzulässiger Kündigung eingereicht und wollen künftig Selbstorganisation und Protest in der Branche fördern. Seit einigen Wochen existiert in Berlin eine Initiative von Agents verschiedener Call-Center. Sie will die KollegInnen über ihre Rechte aufklären.

Die Betreiber der Telefonfabriken sehen dem gelassen entgegen. StudentInnen gibt es in der Hauptstadt viele, und die Initiative hängt bisher fast ungehört in der Warteschleife.

* Namen von der Redaktion geändert.
Infos unter: www.callcenteroffensive.de