Der Rassismus der Neuen Mitte

Liberalismus und Terror

Regierungsprogramme und »gesamtdeutsche Bürgerinitiativen« gegen Rechts werden nichts helfen, so lange die Schläger sich als Vollstrecker eines Programms sehen können, das nationale Normalität heißt.

Ausgerechnet jener Mann, der seine Privatsphäre restlos der Öffentlichkeit auslieferte, verweigert ihr nun seine politische Unterstützung: Angesichts der entpolitisierten Debatte um den völkischen Terror in Deutschland ist die Absage des Big-Brother-Stars Zlatko Trpkovski an die Kampagne der »gesamtdeutschen Bürgerinitiative« gegen rechte Gewalt ein genuin politisches Statement. Was herrscht, ist nämlich Krieg - und keine multikulturelle Beziehungskrise, wie das derzeitige Geschwafel von Humanität und Toleranz nahelegt. Ein heimlicher, ja widerlich intimer Bürgerkrieg, der seit einem Jahrzehnt unbemerkt wütet.

Das neue Deutschland entstand in Rostock und Hoyerswerda. Dort setzte ein eilfertiger Mob die bürgerliche Definition der Schicksalsgemeinschaft aller Deutschen durch rassistische Vertreibung beflissen in die Tat um. Dabei erwiesen sich die rechten Milizen als Handlanger jener bürgerlichen Nationalisten, die Deutschland in den neunziger Jahren regierten. Auch in der rot-grünen Ära überbieten sich die Rechten in devoter Erfüllung der Regierungsvorgaben. Es hilft daher auch wenig, wenn Bundeskanzler Gerhard Schröder jetzt von seiner Finca auf Mallorca aus ankündigt, sich nach dem Urlaub der Eindämmung des Rechtsradikalismus in Ostdeutschland zu widmen. Wird Schröder doch auf seiner angekündigten Ostdeutschland-Reise genau jene Rechtsradikalen bekämpfen müssen, die sein eigenes Diktum, Deutschland solle wieder ein »normales« Land mit nationalen Interessen werden - sprich, die Nazivergangenheit entrümpeln -, als Freibrief aufgefasst haben dürften, jene »Normalität« in Eigeninitiative durchzusetzen. Die erste große Offensive jener Bürgergesellschaft, von der Politiker der Neuen Mitte so gerne schwärmen, waren die gänzlich selbstorganisierten Zusammenrottungen der Völkischen, die die von Schröder ausgerufene »Normalität« auf eigene Faust realisierten.

Der Terror hat heute jedoch einen anderen Hintergrund als vor zehn Jahren. Rassismus besteht aus Ressentiment plus Rentabilitätserwägung. In nationalem Übermut konzentrierten sich die Konservativen in den neunziger Jahren auf die Beförderung des Ressentiments - vor allem gegen Flüchtlinge und Migranten. Dabei gingen sie allerdings so weit, dass deren Ausbeutung erheblich erschwert wurde. Selbst CSU-Funktionäre fingen an, über eben jenen Mangel an Billiglöhnern in ihren Hotelküchen zu lamentieren, den sie durch Massenabschiebungen selbst verursacht hatten. Rassismus wurde zum kostspieligen Vergnügen. Rot-Grün hingegen forciert den Rentabilitätsaspekt und betont die Ausnutzbarkeit der Einwanderer. Hier preschte die Regierung allerdings mit der Green-Card-Regelung so weit vor, dass sich nunmehr der völkische Pöbel beleidigt fühlte und die rassistische Balance selbsttätig wieder herzustellen versucht. Gegenwärtig übernimmt also der Mob das Ressentiment und die Elite die Rendite. Frei nach dem Motto: getrennt schlagen, vereint diskriminieren.

Die politische Solidarität mit den Verfolgten fällt traditionell schwach aus. Die Ursache dafür ist nicht zuletzt das Fehlen eines Klassenbegriffs im Kontext der Globalisierung: Es ist maßgeblich die rassistische Ideologie, welche die Formation neuer ethnisierter Klassen ermöglicht und deren Ausbeutung erleichtert. Die Situation muss daher nicht nur vor dem Hintergrund des nationalsozialistischen Genozids analysiert werden, sondern als Konsequenz der Dialektik der Globalisierung. Seit Jahren weisen Theoretiker wie Slavoj Zizek darauf hin, dass die verschiedenen fundamentalistischen und rassistischen Nationalismen in ganz Europa nicht etwa Gegenbewegungen zum globalen Kapitalismus darstellen, sondern dessen rechte Hand. Neoliberale Vereinheitlichung bringt demnach nationalistische und rassistische Polarisierung hervor. Der Osten ist so der westlichere Westen, jener Ort, an dem die heimliche Wahrheit des Liberalismus symptomatisch zu Tage tritt. Die Laisser-faire-Politik der Liberalen wird von ihren angeblichen Gegnern nämlich ganz konsequent als Freibrief für ungehemmten darwinistischen Konkurrenzkampf interpretiert. Die unsichtbare Hand des Marktes übersetzt sich ins Faustrecht des Mobs.

Auch wenn die Interessen von Elite und Mob sich zuweilen widersprechen - in der Umsetzung rassistischer Ideologie ergänzen sich beide prächtig. Die neue globale Weltordnung und lokale faschistoide Fundamentalismen sind somit nur zwei Seiten derselben Medaille. Die hiesigen Völkischen müssen daher als höhnische Karikaturen der neoliberalen Utopien der Neuen Mitte begriffen werden und als deren konsequente Vollstrecker. Was sie seit Jahren brutal exekutieren, ist nichts anderes als die eigentliche Botschaft des derzeit überall verbreiteten Toleranzgefasels. Dessen Tenor ist, dass blanker Mord wohl etwas überzogen sei und den Standort schädige. Den Verfolgten wird großzügig ein Lebensrecht zuerkannt. Die öffentliche Diskussion über den Terror gleicht einem römischen Zirkusspektakel. Die Zuschauer heben den Daumen zu Gunsten jener, die unten in der Arena abgeschlachtet werden. Was hier als liberale Gunst erscheint, wird von den Mörderbanden lediglich negiert. Sie senken einfach den Daumen. Was dabei gleich bleibt, ist die ungeheure Anmaßung, den Verfolgten direkt ins Gesicht zu sagen: Euer Leben hängt von unserer Willkür ab.

Genau das ist der Kern der humanitären Ideologie, deren Beschwörung der Menschenrechte im Klartext besagt, dass diese immer erst dann geschützt werden, wenn es im nationalen Interesse liegt. Dieses humanitär verbrämte nationale Interesse wurde als Legitimation des Nato-Krieges gegen Jugoslawien verwandt, genauso wie es jetzt innerhalb der eigenen Grenzen zu Gunsten des Wirtschaftsstandorts Deutschland aufgerufen wird. Sobald es opportun erscheint, besinnt man sich auf die Menschenrechte und setzt im Namen universaler Moral partikulare Interessen durch.

Der Menschenrechtsopportunismus verhehle jedoch die totale Rechtlosigkeit jener, die sich aufs Menschenrecht berufen müssten, schreibt Hannah Arendt. Wer nichts als Menschenrechte habe, sei faktisch vogelfrei. Terror und Humanismus gehen somit Hand in Hand. In der Öffentlichkeit erscheinen deren Objekte als sprachlose Opfer einer schicksalhaft naturalisierten Gewalt. Und es ist diese humanitäre Depolitisierung eines zehn Jahre währenden Terrors, die an der gegenwärtigen Debatte so widerlich erscheint.

Das humanitäre Toleranzgerede basiert auf einer unerträglichen Privatheit, dem Drang zum rührseligen Bekenntnis zu inneren oder gar menschlichen Werten - nicht aber zu politischer Gleichheit. Das Gegenstück zu diesem Terror des Intimen ist die Intimität des Terrors, die den Alltag der Verfolgten bestimmt. Ein Terror der Unsichtbarkeit und des Schweigens, der seit Jahren im Verborgenen tobt, und das Verdrängte der exzessiven und exhibitionistischen Bekenntnisse zu Humanität und Toleranz abgibt. Es kann daher nicht darum gehen, distanzlos in das Talkshow-Toleranzgeschwafel einzustimmen. Auf der Agenda steht die politische Emanzipation der Rassifizierten statt ihrer larmoyanten Instrumentalisierung.