Peter Lords und Nick Parks »Chicken Run«

Revolution, Baby!

Je bedeutungsloser die sozialen Utopien des vergangenen Jahrhunderts in der Realität erscheinen, um so mehr gewinnt die Ästhetisierung des Widerstands an Bedeutung. Auf der Kinoleinwand werden jene Motive von kollektiver Selbstbestimmung und Emanzipation zum Kassenschlager, die mit der Wirklichkeit als nicht mehr vereinbar erklärt werden. Gerade ihre Visualisierung ist es, die in »Chicken Run«, einem monumentalen Revolutionsepos aus der Welt der Knetmasse, eine Beobachtung zweiter Ordnung ermöglicht: Es herrscht klare Sicht auf den Charme des politischen Umsturzes.

»Chicken Run« behandelt den Kampf gekneteter und geknechteter Hühner um Befreiung aus einer Legebatterie. In der stacheldrahtbewehrten Hühnerfarm des profitgierigen Ehepaares Tweedy findet das Prinzip der Nutzenmaximierung auf Kosten Dritter zu sich selbst. Die Produktivität entscheidet über die Existenzberechtigung: Das Huhn Edwina, das keine Eier zum Frühstück beiträgt, endet als Abendessen.

Die Henne Ginger will diesen Verhältnissen entkommen. Eifrig agitiert sie bei ihren Leidensgenossinnen für den Ausbruch, geht es ihr doch nicht nur um individuelles Entkommen, sondern um die Rettung aller. Auf Verständnis stößt sie bei der Mehrheit freilich nicht: Was, wenn kein Bauer mehr für einen sorgt und regelmäßig das Körnerfutter bereitstellt? Verzweifelt versucht sie trotzdem, das Kollektiv zur Flucht zu bewegen. Erste Ausbruchsversuche enden für Ginger in einem gerade einmal hühnergroßen, abgedunkelten Metallverschlag. Kollektive Planungssitzungen in der Legebaracke Nr. 17, dem Zentrum der Revolutionäre, illustrieren jene Schwierigkeiten, die eine Selbstorganisation jenseits von hierarchischen Lösungen mit sich bringt. Aufgescheuchte Hühner gackern durcheinander und können erst durch das autoritäre Auftreten des Hahnes Fowler zur Räson gebracht werden.

Die entscheidende Wendung des Films aber wird durch den Hahn Rocky herbeigeführt. Rocky verkörpert zunächst die Identifikation mit jenen Verhältnissen, deren Grausamkeit als naturgegeben betrachtet wird, solange man nicht selbst unter ihnen zu leiden hat. Erst im Angesicht der eigenen Bedrohung muss sich Rocky dazu entschließen, den Erniedrigten und Beleidigten beizustehen. Rockys Beitrag zur Revolte besteht vor allem darin, auch in Zeiten der Unfreiheit dem hedonistischen Prinzip zu seinem Recht zu verhelfen, indem er den Hühnerstall in eine Disco verwandelt und damit den Hennen erst jenes Lebensgefühl nahe bringt, für das es sich zu kämpfen lohnt: die Möglichkeit zur Realisierung von Möglichkeiten.

Anders als etwa in George Orwells »Farm der Tiere« endet die Rebellion in »Chicken Run« nicht mit der Reproduktion von Herrschaft durch die vormals Unterdrückten, sondern in einem paradiesisch verklärten Ende der Geschichte. Dass dieses Ziel auch unter den Bedingungen eines relativen Wohlstandes nicht vergessen werden sollte, macht niemand deutlicher als das etwas einfältige Huhn Babs, das, dem Beil der bestialischen Mrs. Tweedy gerade entronnen, das entscheidende Motiv für die Revolte auf den Punkt bringt: »Mein Leben ist vor meinem geistigen Auge an mir vorüber gezogen. Es war unheimlich langweilig.«

»Chicken Run«. GB 2000. R.: Peter Lord und Nick Park. Ist bereits angelaufen.