»Alles was zählt« von Georg M. Oswald

Thomas Schwarz ist nicht zu fassen

Die Welt des Geldes ist böse, drinnen und draußen: »Alles was zählt«, der neue Roman von Georg M. Oswald.
Von

So viel Aufregung. Nun hat also auch die junge deutsche Literatur ihren Streit. Der Frontverlauf geht etwa so: Da gibt es die Gruppe von Jungliteraten um Christian Kracht, Benjamin von Stuckrad-Barre und Florian Illies, die in der Affirmation des Bestehenden ihr Heil suchen, wobei sie wahrscheinlich selbst nicht so genau wissen, ob das noch einen Beigeschmack von Subversion haben soll, wenn sie die Welt prima finden oder ob sie die Welt so wie sie ist, wirklich voll und ganz bejahen.

Dann gibt es den einsamen Supermann Maxim Biller, für den das alles Schlappschwanz-Literatur ist, weil sie von keinerlei moralischer Haltung getragen werde. Das verkündete er vor einigen Monaten auf einem Kongress und ließ seine Rede in der Zeit abdrucken. Und es gibt Georg M. Oswald, dem sich in den kommenden Monaten wahrscheinlich noch ein paar weitere an die Seite stellen werden. Oswald findet, dass weder der starke Mann noch die Popliteraten recht haben. Er fordert, Literatur müsse »die Oberfläche unserer Gegenwart mit kaltem, kritischem Blick« erkunden. Damit hat er beim Literaturwettbewerb in Klagenfurt schon für Aufregung gesorgt, dann in der taz einen programmatischen Text nachgereicht, und nun gibt es auch einen neuen Roman: »Alles was zählt«. Das ist natürlich das Geld und alles, was man damit kaufen kann.

Thomas Schwarz arbeitet in einer Bank. Nicht am Schalter und auch nicht in der Investment-Abteilung: Thomas Schwarz ist Vize-Chef von »Abwicklung und Verwertung«. Er treibt die Schulden bei Leuten ein, die alle Termine haben verstreichen lassen und deren Besitz nun gepfändet wird.

Kein schöner Beruf, aber irgendjemand muss es machen, und Schwarz macht es sogar gerne. Leuten, die nichts taugen und sich nicht an die Spielregeln halten, den Besitz abnehmen. Bis er eines Tages eine unlösbare Aufgabe vorgesetzt bekommt. Einen der Jobs, die in der Bank seit Jahren hin und her geschoben werden und die zu bekommen bedeutet, dass man bei den Vorgesetzten auf der Abschussliste steht. So ist es auch, Schwarz wird hinausgemobbt und gefeuert. Ende erster Teil. Ende »Drinnen«.

Seine Freundin zieht aus, sein Gehalt wird nicht mehr überwiesen, Thomas Schwarz geht es nicht besonders gut. Er ist »draußen«. Doch er lernt zwielichtige Gesellen kennen, die mit illegalen Medikamenten handeln und er wird deren Berater, nicht zuletzt deshalb, weil die Verbrecher Ärger mit seiner alten Bank haben. Dafür bekommt er eine Menge Geld. Dann soll ein großer Deal über die Bühne gehen, und Schwarz versucht schlauer zu sein als alle anderen, schlauer als die Gangster und als sein ehemaliger Arbeitgeber.

Die Welt ist böse, sie wird vom Geld regiert, jeder ist sich selbst der nächste, Banken und mafiöse Organisationen unterscheiden sich nicht in ihren Methoden, sondern nur darin, dass ihre Tätigkeiten einmal erlaubt und ein andermal verboten sind. Okay. Und weiter?

Glückliche Beziehungen gibt es nicht, Beziehungen handeln vor allem von Status und davon, sich gegenseitig Halt zu geben im Kampf um Macht. Sobald das nicht mehr der Fall ist, sobald dieser Kampf verloren zu gehen droht, funktionieren auch die Beziehungen nicht mehr. Was dann funktioniert, ist Prostitution, aber so großartig anders als eine normale Zweierbeziehung ist das auch nicht, nur etwas ehrlicher, weil für beide Seiten klar ist, was gespielt wird und keine Gefühle ausgetauscht werden, für die nicht bezahlt wurde.

Dass der Held mit seinem ergaunerten Geldkoffer am Ende des Buchs nach Monaco fährt, um am Roulette-Tisch alles auf eine Zahl zu setzen, soll dem ganzen Elend noch eins draufsetzen: Kasino-Kapitalismus nennt der Spiegel das Gesellschaftssystem ja auch mitunter und da passt ein Aufenthalt in Monaco natürlich ins Bild. So verkommen sind wir alle - drinnen oder draußen, überall. Handlungsoption? Keine. Aussichten? Finster.

So sieht sie also aus, die Welt nach dem Ende der Systemkritik, wie Oswald sie in der taz nennt, eine Welt die nur noch Affirmation kennt und jede Subversion als systemimmanent geschluckt hat. So soll es also aussehen, wenn der kalte und kritische Blick genau hinschaut. Und? Schlimm? Nicht wirklich. Zwar zieht Oswald, als gelungene Beispiele dessen, was ihm literarisch vorschwebt, Michel Houllebecq und Bret Easton Ellis heran, aber wenn es um die glatten Oberflächen und die Lehre des Lebens in der Geldwelt geht, stand eher »9 1/2 Wochen« Pate als »American Psycho«.

Damit ist »Alles was zählt« fast beispielhaft für das Elend der neuen deutschen Jungliteratur. Die Ausgangsbedingungen sind so günstig wie selten, die Verlage kaufen alles ein, was irgendwie versprechend ist und drucken es, die Leser kaufen alles, was annonciert wird, und lesen es. Doch das Risiko des groß angelegten Scheiterns, das Risiko in dieser Hausse deutschsprachiger Literatur tatsächlich etwas Neues zu generieren, Dinge zusammenzuwerfen, die gemeinhin als nicht zusammengehörig gedacht werden, sich der wilden Transgression hinzugeben, gegenwärtiges nicht nur als neu zu benennen, sondern auch formal anders abzubilden - dieses Risiko geht niemand ein. Auch Oswald nicht. »Alles was zählt« ist einfach die geradeaus erzählte Geschichte eines Gesichts, das man vielleicht in der U-Bahn vor sich hat, oder das an einem vorbeirauscht, wenn man an einer Ampel steht. Konventionell und gut geschrieben. Nicht viel kritischer als ein Leitartikel in der Zeit oder kälter als das Porträt eines Bankangestellten in der Süddeutschen. Und das ist dann doch nicht allzu viel.

Georg M. Oswald: Alles was zählt, Hanser Verlag, München 2000, 200 Seiten, DM 34