Therapeutisches Klonen in GB

Dein Klon ist immer für dich da

Großbritannien will das so genannte therapeutische Klonen legalisieren: Genetisch identische Embryonen sollen das Rohmaterial für Organzüchtungen liefern.

Labour macht den Anfang. Als erster Staat will Großbritannien das Klonen menschlicher Embryonen erlauben. Nach einer monatelangen Debatte empfahl ein Komitee aus führenden britischen Gen-Forschern und Medizinern letzte Woche, das Klonen von Embryonen zum Zwecke der Stammzellgewinnung zuzulassen. Die Regierung von Anthony Blair schloss sich dem Votum an und will im September die Abgeordneten des Unterhauses ohne Fraktionszwang über ein neues Gesetz abstimmen lassen.

Ein bis zu zwei Wochen alter Embryo wird in Großbritannien nicht als »menschliches Lebewesen«, sondern als »menschliches Leben« (»human life« statt »human being«) betrachtet, das beforscht werden darf. Wurde in Großbritannien bislang nur an Embryonen experimentiert, die »übrig geblieben« waren, wenn bei künstlichen Befruchtungen unbeabsichtigt Mehrlinge erzeugt wurden, sollen Embryonen nun eigens zum ausschließlichen Zweck ihrer Ausschlachtung hergestellt werden. Der neue Gesetzesentwurf sieht vor, das »therapeutische Klonen« zu legalisieren, während das »reproduktive Klonen« weiterhin verboten bleiben soll. Dabei unterscheiden sich therapeutisches und reproduktives Klonen nicht prinzipiell, das Klonierungsverfahren ist dasselbe. Im Gegensatz zum reproduktiven Klonen wird bei einem zum Zweck der Organzüchtung hergestellten Embryo mit der Entnahme der Stammzellen allerdings der Prozess der Menschwerdung vorzeitig abgebrochen.

Beim »therapeutischen Klonen« wird eine beliebige Zelle des Patienten in eine entkernte Eizelle eingesetzt, die dann zu einem Embryo heranwächst. Dann werden dem Embryo Stammzellen entnommen - das sind noch nicht spezialisierte Zellen, die sich zu verschiedenen menschlichen Gewebetypen entwickeln können. Sie sollen im Labor dazu angeregt werden, sich zu Gehirn-, Haut-, Herz-, Nieren- oder anderen Zellen zu entwickeln. Das macht sie für die biomedizinische Industrie so attraktiv. Das so gezüchtete Gewebe soll für Transplantationen verwendet werden, Kranke sollen mit körpereigenen Zellen aus dem embryonalen »Ersatzteillager« behandelt werden - ein Billionenmarkt.

Die Öffentlichkeit wird mit solchen Heilsversprechungen geködert - als »Einstiegsdroge für alles Weitere« bezeichnete die Kulturwissenschaftlerin Gerburg Treusch-Dieter einmal die dem Reagenzglas entwichene Hoffnung auf »Heilung und Therapie«. Allein in deutschen Tageszeitungen wurden Alzheimer, Krebs, Schlaganfall, Diabetes, Parkinson, Multiple Sklerose, Wirbelsäulen-, Herz-, Stoffwechsel- und Hautkrankheiten sowie Querschnittslähmungen genannt, die sich in Zukunft mit Stammzellen behandeln ließen. Da der Patient Organspender und Empfänger in einem wäre, die gezüchteten Stammzellen also mit dem Spender genetisch identisch wären, blieben außerdem Abstoßungsreaktionen aus, wie sie von herkömmlichen Transplantationen bekannt sind.

Strategisch geschickt bestätigten US-Forscher gleichzeitig mit dem britischen Vorstoß die Infektionsgefahr durch Viren bei Xenotransplantationen - Organ-Transplantationen von Tieren zu Menschen. Das mit dem Klon-Schaf »Dolly« bekannt gewordene Edinburgher Roslin-Institut gab am selben Tag bekannt, es werde nicht weiter an gentechnisch veränderten Schweinen forschen. Der die Forschungen finanzierende US-Konzern Geron hatte sich aus der Xenotransplantationsforschung zurückgezogen - die Gefahr tödlicher Viren sei zu groß.

Klonierte menschliche Stammzellen erscheinen lukrativer. Ebenfalls letzte Woche gab die australische Firma Stem Cell Sciences bekannt, die Züchtung von Nerven- und Muskelzellen aus geklonten embryonalen Stammzellen von Mäusen habe funktioniert. Sie hätten nach der Transplantation zum Aufbau von Leber, Lunge und Niere beigetragen. Dasselbe Unternehmen hatte vor einem halben Jahr vom Europäischen Patentamt »irrtümlich« ein Patent auf das Klonen von Menschen erhalten.

Als der US-Reproduktionsmediziner Jerry Hall 1993 erstmals menschliche Embryonen klonte, wurde er für verrückt erklärt. Bis zum geklonten Menschen schien es nicht mehr weit zu sein. Da das Klonen eines vollständigen Menschen auch heute noch auf Ablehnung stößt, wird zunächst die Klonierung seiner organischen Einzelteile vorangetrieben. Der Versuch, Organe zu züchten, entspricht der uralten naturwissenschaftlichen Praxis, Untersuchungsobjekte zu zerlegen, sie nicht im Ganzen, sondern nur in Teilen zu untersuchen. Dabei bleibt offen, ob jedes Organ geklont werden soll, z.B. Gehirngewebe. Schließlich wird das Gehirn in den Neurowissenschaften als Sitz des eigentlich Menschlichen, des Charakters und der Identität, angesehen. Ein geklontes Gehirn käme in dieser Logik dem »reproduktiven Klonen« sehr nahe.

Die Entscheidung der britischen Regierung löste eine Debatte über den Machbarkeitsrausch der medizinischen Forschung aus. Die Einschätzungen der Stammzellen-Forschung reichen vom »Jungbrunnen für verbrauchte Organe« bis zum »technologischen Kannibalismus«. Der vatikanische Bioethik-Bischof Elio Sgreccia, der bereits eine befruchtete Eizelle als menschliches Wesen ansieht, verglich die Freigabe des Klonens sogar mit den medizinischen Experimenten der Nationalsozialisten.

Viele KritikerInnen befürchten eine Art Domino-Effekt, auch »slippery slope« genannt: Im internationalen Wettbewerb um die Standorte des erwarteten Billionengeschäfts Reproduktionstechnologie könnten sich weitere Länder entschließen, dem britischen Beispiel zu folgen und sich durch eine möglichst permissive Gesetzgebung einen Vorteil verschaffen.

Auf europäischer Ebene ist das Thema im Gegensatz zur Gen-Patentierung bislang noch nicht geregelt. In den USA soll noch in diesem Sommer entschieden werden, ob Experimente mit embryonalen Stammzellen, die bisher nur privaten Firmen - wie Geron - gestattet sind, staatlich finanziert werden sollen.

In Deutschland stößt das Votum des Blair-Kabinetts derzeit noch auf Ablehnung. Gesundheitsministerin Andrea Fischer, Justizministerin Herta Däubler-Gmelin und Forschungsstaatssekretär Wolf-Michael Catenhusen sprachen sich gegen das »therapeutische Klonen« aus. Das Embryonenschutzgesetz von 1990, das zur Zeit überarbeitet wird, stelle dieses Verfahren unter Strafe, da ein eigentlich lebensfähiger Embryo durch die Entnahme der Stammzellen zu fremden Zwecken hergestellt und vernichtet werde. Aus diesem Grund sei die Bezeichnung »therapeutisches Klonen« irreführend, vielmehr müsste von »verbrauchender Embryonenforschung« gesprochen werden, schrieb der Tübinger Moraltheologe Dietmar Mieth in der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Er gab außerdem zu bedenken, dass »jede der erforschten Methoden (...) später einmal das Menschenzüchten erleichtern« werde.

Während sich der Vorsitzende der Deutschen Gesellschaft für Zell- und Gewebezüchtung, Wolfgang Müller-Klieser, für die Zulassung des »therapeutischen Klonens« auch in Deutschland aussprach, favorisieren es deutsche Genforscher wie Jens Reich vom Max-Delbrück-Zentrum für molekulare Medizin und der Präsident der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) Ernst-Ludwig Winnacker derzeit, anstatt der Klonierung embryonaler Stammzellen solche zu nutzen, die etwa im Rückenmark auch bei Erwachsenen vorkommen. In Zukunft werde man aus den Zellen der Patienten selbst Gewebe züchten können. Die DFG startet nächstes Jahr ein entsprechendes Schwerpunktprogramm, das sich embryonalen und adulten Stammzellen widmen soll.