»Die totale Therapie«

Gurus killen!

Killt die Gurus! Blixa Bargeld und Sophie Rois sind bar jeder Vernunft. In Christian Froschs »Die totale Therapie« quälen sie sich als Probanden eines Echtzeit-Experiments.

Eigentlich ist Dr. Roman Romero ganz nett. Ein kleines Kinnbärtchen, dunkles Gewand, eine sympathische Stimme. Alles wohltemperiert und subtil moduliert, das perfekte Transfermedium für esoterisch-therapeutische Botschaften. Ein bisschen Scientology, ein Hauch Bhagwan, abgemischt mit etwas Fersehprediger-Suggestion und einer Idee Alister Crowley im Abgang. Süffig das Ganze.

Ausgerechnet Klangweltenzertrümmerer Blixa Bargeld spielt hier den Spirit-Anbieter mit Gespür für den gepflegten Kammerton der Neunziger. Ein Leitfossil, könnte man sagen. Jedenfalls einer, dem man es abnähme, wenn er sagen würde, er sei dabei gewesen, damals, als es nicht allein um Nabelschau im therapeutischen Plenum gegangen sei, sondern auch mal um radikale politische Veränderung und selbstverständlich um die neue industrielle Musik.

Während einer Video-Botschaft, die sich an die gläubige Schar der Shirvia-Anhänger richtet, lässt Regisseur Christian Frosch die geistigen Väter des Personenkults und der Massenmanipulation in schillernden Farben im Bildhintergrund durchlaufen. Die kanonisierten Bilder der Mächtigen, der Diktatoren, der Idole und furchtbaren Verführer. Versatzstücke der Geschichte und Endorphin-Träger im Musikvideo-Takt, die Mondlandung und Mao, Stalin, Nixon, Einstein, Marilyn, Gorbatschow, Jesus, Gaddafi und der Maximo L'der. Tanz den Mussolini, aber vergiss das breathing nicht, lautet die Maxime.

Oder mit den Worten Romeros: »Du bist Teil des Problems und Teil der Lösung.« Es geht also um das Machbare. Wozu gesellschaftspolitische Veränderungskonzepte bemühen, wenn Roman zum »Abenteuer Ich« einlädt?

Neun Teilnehmer machen sich in Christian Froschs Film auf in ein Landhaus, gelegen in »einer der schönsten Naturlandschaften« irgendwo drunten, wo sich die niederösterreichischen Füchse Gute Nacht sagen. Beziehungsprobleme, Midlife-Crisis, Karriereknicks und Allergien treiben die Leute zum ultimativen und nicht eben billigen Therapeuten, dessen Psychotherapie ganz verlässlich in Psychoterror umzuschlagen beginnt. Macht kaputt, was euch kaputt macht - und plötzlich ist der Guru tot.

Bis zum Geht-nicht-Mehr treibt der Regisseur sein sarkastisches Spiel mit Trash und Splatter, Klischees und Symbolen und lässt die Situation schleunigst eskalieren. Irgendwann später sitzen alle, gruppiert als pittoreske Jünger beim frugalen »Abendmahl« auf der grünen Wiese, und noch später wird eine arme Sau gekreuzigt. Schließlich wird die Yellow Press dann auch wissen: »Sie suchten sich selbst und fanden den Tod.«

Vorerst geht es aber nur um Wellness für die geplagte Seele. Nach einer Woche mit Ur-Schreien und Tree-Hugging im Mahlstrom des Selbsterfahrungs-Kollektivs dreht auch der Besonnenste allmählich ab. »Papi, Papi, schau mich an!« wimmert die herbe Karriere-Physikerin Annegien (Eva van Heijnignen), die korpulente Ostmutti mit Eheproblemen (Walfriede Schmitt ) ist einfach nur traurig, während der »kleine Günter« (Haymon Maria Büttinger) eigentlich den Vati verhauen will, aber nur das Übungskissen trifft. Psychodrama extrem - und plötzlich spritzt Blut auf den Laminatboden.

Dabei vermittelt der über zwei Stunden lange Film, der als Doku-Projekt begann, ein Echtzeit-Gefühl, als müsse jede der im Plenum der »Gesichtsbaracken« ausgetragenen Exerzitien der Lächerlichkeit real miterlitten werden. Frosch inszeniert trickreich die Materialermüdung der Gruppe und entwickelt nebenbei eine einleuchtende Erklärung für die Gruppenselbstmorde in hermetischen Sektiererkreisen: »Es gibt nicht nur den Willen zur Macht, sondern auch den Willen zur Ohnmacht.« Da ist es ein kleiner gedanklicher Schritt von der erzwungenen Selbstanklage stalinistischer Schauprozesse zur modernen Praxis der analytischen Selbstgeißelung.

In nur 28 Tagen wurde der Film in einem leer stehenden Haus in Niederösterreich abgedreht, die Konturierung der einzelnen Figuren basiert auf exzessiver Proben- und Improvisationsarbeit. Der semidokumentarische Big-Brother-Ansatz ist im fertigen Film kaum zu übersehen. Angesichts der überzeichneten Darstellung der amokartigen Gruppenprozesse und der arg geplagten Probanden nimmt es kaum Wunder, dass der Film das Publikum auf den Festivals spaltete. Manche sahen persönliche Erfahrungen denunziert, andere konnten sich auf die zahlreichen ironischen Verweise einlassen.

Nur dass Sophie Rois als Hedwig am Schluss auch noch dran glauben muss, ist dem Regisseur schwer zu verzeihen. Wer konnte auch ahnen, dass ausgerechnet die einzige wirkliche Irre an Bord, Hedwigs verhuschte Schwester Gabi (Ursula Ofner), heimlich die Messer wetzt.

»Die totale Therapie«, D/Ö 1998. R: Christian Frosch. Start: 24. August