Bubi Scholz ist tot

Bubi und Louis

Der Boxer Bubi Scholz ist in der vergangenen Woche gestorben. Und wenige Jahre vor ihm starb der französische Philosoph Louis Althusser.

Beide haben Gemeinsamkeiten. Erstens: Sowohl Althusser als auch Scholz prägten zu ihrer - sportlich formuliert - aktiven Zeit den großen Teil einer Generation. Althusser demonstrierte, dass Marxismus mehr und analytisch tiefgehender ist als die Vorstellung einer Verschwörung von böser Basis gegen sich fügenden Überbau. Bubi Scholz zeigte, dass Boxen mehr ist als bloßes Drauf- und Weghauen, dass es etwas mit Eleganz und Intelligenz und auch mit Show zu tun hat.

Zweitens: Beide waren in ihrem jeweiligen Genre überaus erfolgreich, wenngleich der ganz große Hieb ausblieb. Scholz verlor 1962 einen Halbschwergewichts-WM-Kampf, und Althusser blieb dauernder Ruhm, etwa als Urheber einer allseits anerkannten marxistischen Staats- und Gesellschaftstheorie, verwehrt.

Drittens: Sowohl Scholz als auch Althusser haben in den achtziger Jahren ihre Ehefrauen umgebracht: Althusser hatte 1980 einen Blackout, als er seine Frau Hélène beim abendlichen Massieren erwürgte. Bubi Scholz schoss 1984 im volltrunkenen Zustand mit einem Gewehr durch die Tür der Toilette, in der sich seine Frau Helga gerade aufhielt.

Viertens: Sowohl Scholz als auch Althusser wurden nicht wegen Mordes verurteilt. Althusser wurde für den Rest seines Lebens in eine psychiatrische Anstalt gesperrt, wo er an einem posthum veröffentlichten Manuskript arbeitete, in dem er mit seinen eigenen Analysekriterien zu ergründen suchte, wie es zu dieser Tat kommen konnte. Scholz wurde wegen fahrlässiger Tötung zu drei Jahren Haft verurteilt, unternahm zwei Selbstmordversuche, litt am Schluss sowohl an der Alzheimerkrankheit als auch an Depressionen.

Doch einen interessanten Unterschied zwischen Scholz und Althusser gibt es: Während die Öffentlichkeit das theoretische Werk des Philosophen neu interpretierte, blieben ähnliche Befunde über den Stil des Boxers Scholz nach seiner Mordtat weitgehend aus.

Gerade Althussers Entwurf eines »theoretischen Antihumanismus«, wonach nicht der subjektive Wille den Menschen zur Tat treibe, sondern er Agent der gesellschaftlichen Strukturen sei, wurde verworfen - für den Mord an seiner Frau war schließlich der Philosoph selbst verantwortlich.

Von Louis Althusser erfuhr man nach seiner Tat und vor allem nach seinem Tod einiges: Dass er angeblich gar nicht so belesen gewesen sei, wie er selbst den Anschein erwecken wollte, dass er sich vor allem mittels einfacher Tricks des wissenschaftlichen Bluffs in der scientific community behauptete und dass seine Innovation der marxistischen Diskussion eigentlich nur Stückwerk gewesen sei.

Scholz aber blieb in allen Nachrufen weiter der elegante und intelligente Konterboxer, das Idol der westdeutschen Nachkriegsrepublik.

Woher rührt die unterschiedliche Wahrnehmung?

Althusser galt (zu Unrecht) als Repräsentant einer vom Parteikommunismus unabhängigen Linken, die am Ende scheitert; seine Frau Hélène jedoch (ebenfalls zu Unrecht) als Repräsentantin des Parteikommunismus, von dem Louis nicht loskam. Bubi Scholz galt als Held des deutschen Wirtschaftswunders, Scholz' seine Helga als Repräsentantin des bundesdeutschen Jetsets, das Bubi nie ganz akzeptiert hatte.