Informationstechnologien in China

Gewinne ohne Kontrollverlust

Die chinesische Regierung will die Informationstechnologien fördern, aber ihr ideologisches Monopol nicht aufgeben.

Wer in China einen Internet-Anschluss besitzt oder sein Geld in der Informationsbranche verdient, dürfte am Montag letzter Woche die Abendnachrichten des chinesischen Fernsehens aufmerksam verfolgt haben. »Wir sollten die gewaltige Macht der Informationstechnologie grundlegend anerkennen und ihre Entwicklung kräftig fördern«, sagte der chinesische Staatspräsident Jiang Zemin zur Eröffnung einer Computer-Konferenz in Peking, über die das Fernsehen berichtete. »Die virtuelle Realität wird die Produktion, das Lernen und Leben der Menschen grundlegend verändern.« Damit ist nun offiziell, was für chinesische Computer-Unternehmer und ausländische Investoren seit längerem gilt: China ist im Dotcom-Fieber.

Bislang waren viele Internet-Nutzer von der Netzpolitik Chinas verunsichert. Genauso groß wie das Wachstum des Internet war auch das Misstrauen der chinesischen Behörden gegen die neue Technik. Wie rasant das Internet in China wächst, zeigt die steigende Zahl der Internet-Anschlüsse. Innerhalb eines Jahres hat sie sich auf 16,9 Millionen vervierfacht. Die chinesische Regierung versucht seit einiger Zeit, auf diese Entwicklung zu reagieren. Immer wieder werden einzelne, teilweise radikale Maßnahmen bekannt gegeben und die »reaktionären, abergläubischen und pornografischen« Inhalte des Netzes verurteilt. Aus diesem Grund befürchteten viele, dass der Internet-Boom nur von kurzer Dauer sein könnte. Nun hat sich Jiang Zemin nachdrücklich für die Förderung und Nutzung des Internets in China ausgesprochen: »Die Verschmelzung von traditioneller Wirtschaft und Informationstechnologie wird der Motor für die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft im 21. Jahrhundert sein.«

Bestehen bleibt allerdings das grundsätzliche Dilemma, in dem sich die chinesische Regierung befindet. Ähnlich wie in anderen Staaten will und kann sie nicht auf das wirtschaftliche Potenzial der neuen Informationstechnologien verzichten. Gleichzeitig soll aber das staatliche Informationsmonopol nicht aufgeweicht werden. Wie stark die Furcht vor der subversiven Nutzung des Internets ist, war vor wenigen Wochen in einem Leitartikel der chinesischen Volkszeitung zu lesen: »Feindliche Kräfte im In- und Ausland scheuen keinen Aufwand, dieses Schlachtfeld zu nutzen, um uns zu infiltrieren.« Ein »ideologischer Krieg« sei im Internet zu führen, forderte das Blatt seine Leser auf.

Mehrere Dissidenten bekamen die Auswirkungen dieses Cyberkrieges schon zu spüren. So wurde Anfang August die erste pro-demokratische Website in China geschlossen. Im so genannten Neuen Kulturforum waren Artikel und Essays zu finden, die Chinas soziale und politische Probleme anprangerten. Wegen des »scharfen und regierungskritischen Inhalts« musste der Internet-Provider die Seiten aus dem Netz nehmen, erklärte Li Tao von der Million Internet Company. Nach den Organisatoren des Forums wird derzeit gefahndet, berichtet die Menschenrechtsorganisation Human Rights in China. Bereits seit einigen Wochen in Haft ist der chinesische Computerunternehmer Huang Qi. Er veröffentlichte auf seiner Website Artikel über das Massaker von 1989 auf dem Platz des himmlischen Friedens; unter anderem den Brief einer Mutter, in welchem sie die Polizei anklagt, ihren Sohn zu Tode geprügelt zu haben. Huang Qi erwartet eine Anklage wegen Subversion.

Um solche Vorfälle in Zukunft zu verhindern, hat China eine Reihe von Regeln und Maßnahmen erlassen. So startet die chinesische Regierung eine ideologische Gegenoffensive im Netz. Online-Medien sollen gestärkt und populäre Nachrichtenportale entwickelt werden. Dabei geht es darum, »ein gutes internationales Bild von China zu kreieren«, wie die Volkszeitung berichtete. Um auf dem ideologischen Schlachtfeld Internet zu bestehen, wurden in den letzten Wochen Online-Redaktionen aus dem Boden gestampft. Viele chinesische Zeitungen sind bereits im Internet. Zusätzlich haben sich staatliche Medien zusammengeschlossen, um Nachrichtenportale aufzubauen.

Großes Vertrauen in die Gegenoffensive scheinen die Machthaber in Peking allerdings nicht zu haben. Wohl zu Recht: Kommerzielle und damit weniger stark kontrollierte und zensierte Websites sind in China beliebter als staatliche. So werden gleichzeitig die Zensur- und Kontrollmöglichkeiten der Behörden verstärkt. Schon jetzt sind viele ausländische Websites in China nicht zugänglich. Der Zugang zu ausländischen Medien wie beispielsweise BBC-online oder die Asien-Seiten von Yahoo wird immer wieder blockiert. Wer in China die Seiten von Menschenrechtsgruppen oder tibetanischen Exilanten aufrufen möchte, wird ebenfalls enttäuscht. Diese Filter sollen nun zusätzlich verbessert werden.

Chinesische Provider wurden verpflichtet, die Behörden mit Informationen über Webseiten mit »reaktionärem Material« zu versorgen. Zudem dürfen Webfirmen keine selbst recherchierten oder aus dem Ausland stammenden Nachrichten verwenden. Sie sind zukünftig auf Informationen der staatlichen Medien angewiesen. Überwacht werden die Zensurmaßnahmen von eigens dafür geschaffenen Polizeieinheiten. In 20 Regionen Chinas will die Polizei Sondereinheiten gründen, die das Internet nach unerwünschten Inhalten und Sicherheitslücken durchsuchen sollen, meldete die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua.

Dass die chinesische Regierung den Kampf um das Informationsmonopol gewinnen wird, kann allerdings bezweifelt werden. »Menschen nutzen das Internet, um Ideen und Informationen auszutauschen. Das ist ein historischer Trend, der nicht blockiert oder umgedreht werden kann«, meinen etwa die Betreiber des Neuen Kulturforums. So wird es den chinesischen Behörden auch kaum möglich sein, sämtliche Chats und Foren zu überwachen. Zumindest eine teilweise von staatlicher Kontrolle und Organisation unabhängige Öffentlichkeit wird Peking zulassen müssen. Auch das Filtern aller missliebigen Websites ist schwierig. Ähnlich wie Musik- und Filmindustrie wird auch die chinesische Regierung feststellen, dass Informationen im Internet nicht zu unterdrücken sind. Genauso wenig wie Copyright und Kopierschutz vor Diebstahl schützen, kann der Zugang zu ausländischen Websites verhindert werden: Kein Filter ist perfekt.

Doch ob die Angst der chinesischen Regierung vor den subversiven Umtrieben im Netz überhaupt berechtigt ist, bleibt fraglich. Denn wer in China das Internet nutzt, ist meist wohlhabend, jung, gut gebildet und hat gute Karriereaussichten im neuen China und somit nur geringes Interesse an subversiver Betätigung.