»Sieben Hügel«

Can u feel it?!

So sieht die Zukunft aus: Roboter können Politikergattinnen Blumen überreichen, aber keinen Fußball spielen. Ein Gang über die Monsterausstellung »Sieben Hügel« im Berliner Martin-Gropius-Bau.

»Sieben Hügel« zu besuchen. Von Besuchermassen, wie sie Ende Mai in die aufwendigste Kultur- und Wissenschaftsschau strebten, die Berlin je gesehen hat, ist jedenfalls nichts mehr zu spüren. Das ist schön. So kann man sich alles noch mal und in Ruhe angucken.

Zur Erinnerung: »7 Hügel!« Millenniumsausstellung! »Panorama des Wissens, dargeboten mit den entfesselten Suggestivkräften multimedialer Ausstellungstechnik« (Spiegel). 28 Millionen Mark verballert, 2 000 Objekte aus aller Welt und allen Zeiten von unzähligen Experten zusammengetragen; »es wird der Wissensstand der Epoche veranschaulicht« (Spiegel) - vom kleinen Atom zum großen Weltall und dem, was dahinter liegen mag. Gott ist auch dabei! Was heißt Gott - natürlich alle relevanten Götter.

Kunst begleitet die ausgestellten Dinge, und wo der größte Erdschlot, der je aus der Tiefsee (2 000 Meter!) geborgen wurde, steht, darf auch Max Beckmanns »Landschaft mit Vesuv« nicht fehlen.

Alles ist sauber gegliedert in sieben Abteilungen: Kern, Weltraum, Dschungel, Zivilisation, Wissen, Glauben und Träume. Allerdings ist der Fachbereich Philosophie und Geisteswissenschaften etwas unterrepräsentiert, wie auch die Welt der Sexualität. Und die Welt des Sports. Den Klassenkampf hat man auch nicht berücksichtigt. Dafür wurde die Eingangshalle von dem britischen Filmarchitekten Ken Adam gestaltet und sieht auch dementsprechend aus. Nicht schlecht natürlich, aber eben doch wie eine sehr aufwendige, um Realismus bemühte Kulisse. Ein Eindruck, der durch das berühmteste Objekt der Ausstellung, den japanischen Hochleistungsroboter P3, der damals der Gattin des Regierenden Diepgen so charmant einen Blumenstrauß überreicht hatte, sehr verstärkt wurde. P3 ging dann nach ein paar Wochen wieder, weil auch andernorts die Politikergattinen nach Blumensträußen verlangten.

Draußen ist es heiß; drinnen angenehm kühl; die Touristen wirken wie immer sympathisch und wissbegierig. Auch deshalb sind Monumental-Ausstellungsbesuche empfehlenswert. Im Eingangsbereich hängen die Kritiken aus. Schöne Worte von Spiegel, Focus und Süddeutscher Zeitung. Nur die Zeit fehlte. Die hatte die »Millenniumsausstellung« (Spiegel) schön und sauber verrissen: synkretistische Beliebigkeit, lieblose Präsentation (ohne Erläuterung hänge da nicht nur ein Beispiel indianischer Knotenschrift aus vorkolumbianischer Zeit), intellektuelle Dürftigkeit usw.

Es ließe sich noch einiges ergänzen. Beim ersten Besuch erfüllte mich die gleichgültige Vermassung der Dinge mit tiefem Abscheu. Menschheitszeugnisse, heilige Gegenstände schienen mir zu Illustrationszwecken missbraucht worden zu sein. Das ist die Arroganz des Geldes, die alles Mögliche nach Berlin gekarrt hatte, um es mit allem Möglichen zu verbinden. Gekaufte Gelehrte schrieben zusammenfassende Sätze, die auch nicht anders klangen als eine Nike-Reklame oder so: »Der Kopf ist in der Welt, und die Welt ist im Kopf«, heißt es auf der ersten Ausstellungstafel. »Wie dies zusammenhängen soll, war stets ein Thema der Philosophie. Im 21. Jahrhundert aber wird es zu einer Zukunftsfrage der Menschheit, der sich weltweit Forschergruppen widmen. Schon 1989 rief der US-Kongress ein Jahrzehnt der Hirnforschung aus - eine Decade of the Brain. Von neuen Visualisierungstechniken erhofft man sich im wahrsten Sinne des Wortes bessere Einblicke ins Denken. Seitdem erscheinen graue Zellen äußerst farbenfroh auf den Computermonitoren.« Prima.

Davor gab es, wenn ich mich recht erinnere, das US-Jahrzehnt der Rauschgiftbekämpfung, und zur Zeit leben wir in der von der UN ausgerufenen »International Decade of Natural Desaster Reduction«. Rauchen soll man bekanntlich auch weniger.

Am Eingang der »Sieben Hügel« gibt es Kopfhörer. Da kann man bestimmt die größten Hits hören. Wie im ICE, stellt man sich vor. In der ICE-Hitparade ist zur Zeit Alex mit »Ich will nur Dich« der große Renner. Die Besucher mit den Kopfhörern scheinen zu wippen und gucken dabei einem Legobauroboter zu und warten auf die vier AIBO-Roboterhunde - ein weiteres Highlight der Ausstellung. Die spielen dann dreimal am Tag Fußball. Das ist sehr niedlich und süß. Wie der kleine Hund da nicht weiß, wohin er laufen soll und dann umkippt und seine Beine von sich streckt, mit Kopf und Schwanz wackelt und so unsicher herumtapst wie die anderen. Sie finden den Ball nicht, und ein Langhaariger nimmt alle paar Minuten einen der herumirrenden Maschinenhunde aus dem Spielfeld und stellt ihn wieder hin, damit das Fußballspiel weitergehen kann.

Was heißt Fußballspiel? Ein Trauerspiel ist das doch eher! Von Zusammenspiel oder auch nur dem Ansatz eines Dribblings keine Rede! Bekanntlich verwendete man für die ersten Fußballspiele die Schädel erbeuteter Feinde. Die Trepanationsgerätefür die Schädelchirurgie kommen auch ganz gut. Noch besser: Schädel bei der Kopfjad erbeutet, mit seitlicher Öffnung, durch die das Hirn entnommen wurde. Memento Mori! Grusel, grusel!

Paar Meter weiter liefert ein Seismometer seismographische Zeichnungen, die belegen, dass sich auch der Martin-Gropius-Bau ab und zu ein bisschen bewegt. Jetzt natürlich weniger als im Mai; jetzt sind ja nicht mehr so viele Besucher da. Die Seismographien sind in einem sehr angenehmen Rot gehalten, das auch ein wenig ins Orange spielt, und das Foucaultsche Pendel, das auch alle nasenlang neu justiert werden muss, beweist ein weiteres Mal, dass die Erde sich dreht.

Eigentlich ist es ganz schön, durch die Ausstellung zu gehen, wenn man sie wie einen Jahrmarkt betrachtet oder einen unterhaltsamen Parcours, wenn man ihren irgendwie totalitären Edutainment-Anspruch vergisst und sich alles eher wie ein Sechsjähriger anguckt. Dann steht man starrend vor der Großraumdiffusionsnebelkammer und hat schon wieder vergessen, wozu das gut sein soll. Man kann jedenfalls schön draufstarren; wie auf eine Lavalampe, nur besser. Das kriegt dann so was voll Spaciges; ganz viele Teilchen, die sich so 3D-mäßig herumtreiben, kleine Eruptionen - ganz geil.

Ich sage nur: Großraumdiffusionsnebelkammer. Behascht würde die Großraumdiffusionsnebelkammer möglicherweise noch besser kommen. Verkauft eure Lavalampen, Aquarien, Fernseher, verschenkt euer Kaminfeuervideo und besorgt euch schöne Großraumdiffusionsnebelkammern. Das ist meine Freundin! Das ist mein Auto! Das ist meine Yacht! Und das ist meine Großraumdiffusionsnebelkammer!!!

Irgendwo sind Reagenzgläser mit dem Erbmaterial irgendwelcher Lebewesen aufgereiht. Ein Strichcode steht unter jedem Reagenzglas. Man soll sich dann am Kreuzen versuchen. Orang-Utan mit Hund geht nicht. Lernen, lernen, popernen: 2 000 Arten leben auf einem Dschungelbaum. Auf zwei Bildschirmen kann man beobachten, was die Tiger im Berliner und Leipziger Zoo gerade so machen. Es gibt eine komplizierte Maschine, mit der man aus dem Material diverser Radiosender eigene Sounds bauen kann.

Kinder navigieren sich mit Joysticks durch drei mal vier Meter große Rekonstruktionen des Heidelberger Schlosses oder durch die Verwirrbilder von M.C. Escher oder durch ein Theater mit Besucherkulisse. Kann man mit den Joysticks auch schießen? Nö. Schade! Dann steht man Aug in Aug vor der Göttin Kali und drückt da und dort und sieht esoterische Bilder. Das soll nun die eigene Zukunft sein.

Ein paar Meter weiter lässt man einen Handscanner über seinen Körper gleiten. »Ihre Körperdaten werden verwendet, um diese digitalen Kreaturen zu erzeugen.« Diese digitalen Kreaturen sehen so ähnlich aus wie die der Diffusionsnebelkammer, nur eben bunter, spaciger, und außerdem verbinden sie sich miteinander.

Die Computerspiele im Raum für Computerspiele sind stets umlagert. Musik kommt von da und dort, und das schicke Weltraumspielzeug aus den Sechzigern. Die schönen kleinen Alienfiguren hat die Berliner Künstlerin Bettina Allamoda hergestellt. Das Marsgestein ist Milliarden Jahre alt.

Die letzten Welträtsel werden einem prägnant am Computer erläutert. Hätte man sich für das schöne Geld nicht eventuell auch echte dunkle Materie besorgen können? Und apropos: Wo geht's denn hier zum Urknall?

»Sieben Hügel«. Martin-Gropius-Bau, Berlin. Bis 29. Oktober