Der Helmholtz-Platz

Der Bauzaun muss weg

Gefährliche Orte CXVI: Nur einen Steinwurf vom Kollwitzplatz entfernt, entwickelt sich die Gegend um den bislang vernachlässigten Helmholtzplatz zum neuen In-Kiez von Prenzlauer Berg.

Der Rasen ist neu angesät, noch zerteilen keine Trampelpfade das frische Grün. Und auch das Spielschiff im großen Sandmeer ist völlig verwaist. Die einzigen, die das Gras betreten dürfen, sind die Arbeiter der Gartenbaufirma. Denn nach monatelangen Verzögerungen ist der Umbau des Helmholtzplatzes immer noch nicht beendet - auch wenn zum Herbstanfang endgültig Schluss sein soll mit den Arbeiten am geografischen und sozialen Mittelpunkt des gleichnamigen Sanierungsgebietes.

Der einzige öffentliche Platz im Wohngebiet zwischen Schönhauser und Prenzlauer Allee, zwischen Danziger Straße und dem Berliner S-Bahn-Innenstadtring, war den ganzen Sommer über nicht benutzbar, weil er schon zum wiederholten Mal umgestaltet wurde.

Zugemüllte Straßen, offener Drogen- und Alkoholkonsum und schnorrende Punks waren die Gründe, die den Senat vor eineinhalb Jahren dazu veranlassten, hier - wie in 14 weiteren Vierteln - ein so genanntes Quartiersmanagement einzurichten. Verglichen mit dem südlich angrenzenden Sanierungsgebiet Kollwitzplatz geht es der Gegend um den Helmholtzplatz auch wirklich nicht gut. Viele derer, die sich die Mieten in der luxussanierten Gegend um den Kollwitzplatz nicht mehr leisten konnten - im Schnitt verlässt die Hälfte der Mieter ein modernisiertes Haus -, sind in den letzten Jahren hierhin gezogen. Die Sanierung im LSD-Viertel - benannt nach den parallel auf die Danziger zulaufenden Lychener, Schliemann- und Dunckerstraße - lief die letzten Jahre über schleppend an. Billiger Wohnraum war deshalb länger zu haben.

Das sieht man, wenn man über den Helmholtzplatz läuft. Während Punks in geselliger Runde beieinander sitzen und ihre Hunde laufen lassen und die Arbeitslosen in Ruhe ihr Schultheiss süffeln, wollen Eltern ihre Kinder eigentlich nur ohne Glasscherben im Sandkasten buddeln lassen. Um die divergierenden Nutzungsansprüche unter einen Hut zu bringen, hatten die Quartiersmanager die übliche Lösung parat. Eine aufwendige Umgestaltung sollte es richten, obwohl der Platz erst ein Jahr zuvor umgebaut worden war.

Doch davon ließen sich die Stadtplaner nicht beirren. Vor ziemlich genau zwölf Monaten wurde mit den Arbeiten am ersten Bauabschnitt begonnen, die aber schon im November 1999 abgebrochen werden mussten, weil man auf Munitionsreste aus den letzten Kriegstagen gestoßen war. Die Bauarbeiten ruhten für fünf Monate, während die Altlasten unter einer mit Totenköpfen bedruckten Plane auf ihren Abtransport warteten. Statt sich um die weiteren Arbeiten am Platz zu kümmern, stritten Senat und Bezirk darüber, wer die 170 000 Mark teure Entsorgung übernehmen sollte.

So wurden die beiden Platzhälften auch nicht - wie ursprünglich geplant - nacheinander, sondern seit Frühsommer dieses Jahres gleichzeitig saniert. Die Fläche war den ganzen Sommer lang eine eingezäunte Baustelle, lediglich eine der traditionellen Trinker-Ecken blieb vom Zaun ausgespart.

Denn Alternativen zum Helmholtzplatz gibt es im Kiez kaum. Zwar wurde der alte Friedhof der Freireligiösen Gemeinde zwischen Lychener Straße und Pappelallee zum - preisgekrönten - öffentlichen Park umgestaltet, um das eklatante Grünflächendefizit in dem eng bebauten Gründerzeitquartier wenigstens etwas zu mildern. Die Bevölkerung überrannte die kleine Grünfläche auch förmlich - in diesem Jahr jedoch so sehr, dass sich die Gemeinde gezwungen sah, den Zugang von der Lychener Straße zu sperren. Nachts bleibt der Friedhofspark mittlerweile ganz geschlossen, weil er, wie es heißt, zum Drogenumschlagplatz und Treffpunkt für alkoholische Exzesse von Jugendlichen geworden sei.

Während es Randgruppen aller Art immer schwerer gemacht wird, zieht es in letzter Zeit auch die Besserbetuchten ins LSD-Viertel. Die Cocktail-Bar-Dichte erreicht langsam die Ausmaße südlich der Danziger Straße. »Hier entwickelt sich ein zweiter Kollwitzplatz«, meint ein Anwohner. An sonnigen Tagen sind die Bürgersteige rund um den Helmholtzplatz mit Tischen und Stühlen vollgestellt - besonders auf den Sonnenseiten von Lychener und Raumerstraße. Und nach Sonnenuntergang zieht es eine weitere Klientel ins Viertel: Die Kundschaft der Sushi-Bars, Lounges und Trattorien will stilvoll ein Häppchen zu sich nehmen.

Wie vor Jahren schon am Kollwitzplatz reagieren die Anwohner allergisch auf den Kneipenlärm. Auf Initiative der Betroffenenvertretung schlossen die Wirte rund um den Helmholtzplatz mit den Mietern jetzt eine »Agenda der Übereinkunft«. So sollen die Gäste nach 22 Uhr in den Schankvorgärten zu leisem Verhalten ermahnt werden. Ein relativ aussichtsloses Unterfangen: Denn dass am Kollwitzplatz - dort wurde vor drei Jahren eine ähnliche Regelung vereinbart - kaum noch Anwohnerklagen zu hören sind, liegt eher an der Resignation der Mieter. Man hat sich halt damit abgefunden. Nur in der ehemals besetzten Lychener Straße 60 hat man die Lehren aus der Kneipenlärm-Diskussion gezogen. Dort finden jetzt regelmäßig Kopfhörer-Diskos statt - garantiert geräuscharm und ohne Belästigung der Anwohner.

Dass andere ihre Lehren ziehen, ist nicht zu erkennen. Obwohl das Beispiel Kollwitzplatz eigentlich gezeigt hat, was bei »sozialer Stadterneuerung« so alles schief gehen kann, werden die alten Fehler wiederholt. Die Erfahrungen der Betroffenenvertretung werden ignoriert, statt dessen lädt man ein ums andere Mal zu so genannten Quartierskonferenzen, um dort die Bedürfnisse der Bewohner kennenzulernen. Doch die kennen inzwischen den Charakter solcher Veranstaltungen: »Eine Weichspüler-Konferenz, die medienwirksam Bewohnerbeteiligung vorgaukelt und versucht, Probleme und Konflikte in 'Chancen und Potenziale' umzudefinieren, ist mit uns nicht zu machen«, lautet nur einer der Kommentare. Daran werden auch städtische Sozialpläne und Mietobergrenzen wenig ändern. Denn den Stadtherren dürfte ohnehin eher an einem zweiten Kollwitzplatz gelegen sein.