Volkszählung in den USA

Body Count

Die Volkszählung in den USA teilt die Bevölkerung in »Ethnien und Rassen« ein.

Schwere Tage für Michael Jackson. Dabei hatte er sich so viel Mühe gegeben in den letzten Jahren. Mit chemischen Mitteln die Haut gebleicht, durch Chirugie die Nase verjüngt, die krausen Haare in Form gebracht. So viel Aufwand, so viel Schmerz. Aber da, wo er möchte, darf er sein Kreuz nicht machen: im Kästchen mit der Aufschrift »Weißer«.

Zur Zeit findet in den USA der Census statt, die Volkszählung, die wohl noch einige Wochen andauern wird. Schon im Vorfeld war unter StatistikerInnen heftig diskutiert worden, wie bestimmte Fragen kategorisiert werden könnten. Im Land des missglückten Melting Pots kommt der Einteilung der Bevölkerung in »Rassen« und »Ethnien« eine starke Bedeutung zu. Diese Einteilung der US-amerikanischen Gesellschaft war seit der Gründung der Nation immer wieder den vermeintlichen historischen Veränderungen angepasst worden.

Im Census von 1900 war nur zwischen Weißen und Farbigen unterschieden worden, wobei die zweite Kategorie »African descent only« umfasste. Im Census von 1953 fand sich eine feinere Unterscheidung: »Weiße, Neger und Andere Rassen«, die in »Indianer, Japaner, Chinesen und Alle anderen« unterteilt waren, welche wiederum »Inder, Koreaner, Polynesier und Andere nichtweiße Rassen« umfassten. 1960 wurde im Census definiert: »Personen von gemischten Eltern werden in der Rassen- oder Hautfarbenklassifikation des nichtweißen Elternteils geführt.«

1973 legte eine Bundeskommission eine neue »Rassentaxonomie« fest. Demnach war die Menschheit in zwei »Ethnien« aufgeteilt: eine Gruppe hispanischen und eine nicht-hispanischen Ursprungs; und, darüber hinaus, in vier »Rassen«: Eingeborene (American Indians und Alaska Natives), Asiaten und Bewohner der Pazifikinseln, Schwarze, Weiße. Eine weitere Unterteilung basierte auf den vielen Herkunftsorten, aus denen die Menschen oder ihre Vorfahren irgendwann einmal gekommen waren. So gab es Litauer, Italiener, Schotten usw. Diese Aufteilung wurde 1977 durch die Statistical Policy Directive No. 15, Race and Ethnic Standards for Federal Statistics and Administrative Reporting des Office of Management and Budget bestätigt.

Die Bevölkerung wurde so in Kategorien eingeteilt, die eine eindeutige Zuordnung ermöglichten, jeder und jede bekam einen klar definierten Platz zugewiesen. Für Sonderfälle war die Kategorie Sonstige oder Andere da. Die Kategorien überschnitten sich nicht, es gab keine polnischen Waliser oder Frankoböhmen. Also musste sich jede Person, die ein Aufnahmeformular für eine Klinik, eine Schule oder bei der Polizei ausfüllte, entscheiden, wohin sie gehörte. Bei einem schwedischen Vater und einer griechischen Mutter musste zwischen schwedischer und griechischer Herkunft gewählt werden. Bei der Wahl zwischen Schwarz und Weiß galt allerdings der Grundsatz der One-Drop-Rule, des einzigen Tropfens Blut: Wer auch nur einen schwarzen Vorfahren hatte, galt als Schwarze oder Schwarzer.

Für den Census in diesem Jahr wurde in den zuständigen Behörden und anderen Institutionen noch einmal über die Kategorien diskutiert. Herausgekommen ist eine Änderung der Directive No. 15, da, wie es hieß, die bisherige Einteilung der Bevölkerung der Realität nicht mehr gerecht werde. Seither gibt es fünf »Rassen«: »American Indian or Alaska Native«, »Asian«, »Black or African American«, »Native Hawaiian or Other Pacific Islander« und natürlich »White«. Hinzu kommt wiederum die Kategorie »Andere Rasse«. Und es bleibt bei zwei »Ethnien«: »Hispanic or Latino« und »Not Hispanic or Latino«. Eine kapverdische und eine arabische Ethnie wurden nicht anerkannt.

Auf die Kategorie »multiracial« wurde bewusst verzichtet, obwohl sich nicht wenige Menschen so identifiziert wissen wollten und in Einzelstaaten Gerichtsurteile zur Einführung dieser Bezeichnung erzwangen. Wer einen schwarzen Vater und eine hawaiianische Mutter hat, soll lieber »Zwei oder mehr Rassen« ankreuzen. Die Frage, ob die Teilnehmer des Census zugleich »Hispanic« und »Not Hispanic« sein können, wurde nach längeren Diskussionen negativ beschieden.

Von den Behörden wurde ausdrücklich darauf hingewiesen, dass es sich bei den Kategorien um ein sozial-politisches Konstrukt handele, das nicht anthropologisch, wissenschaftlich, biologisch oder genetisch gedacht sei. »Rasse und Ethnizität« sollten allein für soziale und kulturelle Charakteristika und für die Herkunft der Befragten einstehen. Die Behörden gaben zu, dass ihre Kategorien recht willkürlich und zum Teil auch widersprüchlich seien. In einem Papier des Statistikamtes wird die erwartete Unübersichtlichkeit beschrieben: »Für den Census 2000 existieren 63 mögliche Kombinationen der sechs grundlegenden Basis-Rassen-Kategorien, darunter sechs Kategorien für jene, die genau eine Rasse angeben, und 57 Kategorien für jene, die zwei oder mehr Rassen angeben.«

Diese Abstrusität dient dem modernen Individuum, das sich seiner Identität ebenso wenig gewiss ist wie der der anderen, als Krücke zur Einordnung. Und doch hat die Klassifizierung auch einen materiellen Gehalt. In der stark individualisierten US-amerikanischen Gesellschaft erhält Zugang zu Ressourcen nur, wer sich auf die Zugehörigkeit zu einer Community berufen kann. Vor allem Immigranten, unter ihnen besonders die so genannten Illegalen, bekommen nur dann einen Schlafplatz und einen Job, wenn sie sich einer Gruppe zuordnen. Schließlich sind staatliche Förderprogramme nur für bestimmte »Rassen« vorgesehen. So dient der Census der Verhärtung der (Selbst-) Segmentierung der US-amerikanischen Gesellschaft. Und Michael Jackson muss weiter warten, bis er endlich als Weißer durchgeht.

Die Ergebnisse der Diskussionen der US-amerikanischen StatistikerInnen sind zu finden unter www.census.gov