Schlanker entschulden

Der Glanz des ersten Gipfels in Osteuropa kann über das Elend des IWF nicht hinwegtäuschen. In Prag mühen sich seine Geldgeber zu verbergen, dass ihnen die Konzepte abhanden gekommen sind. Und das Geld.

Die Logik der neuen Weltordnung nach dem Zweiten Weltkrieg lieferte ihnen das langlebige Program. 1944, bei der Gründung des Internationalen Währungsfonds (IWF), statteten seine staatlichen Geldgeber die multinationale Institution mit zwei Aufgaben aus - einer offiziellen und einer inoffiziellen. Die führenden Politker der Industrienationen schrieben den IWF-Vätern damals jene Regeln für das Vorgehen auf den globalen Märkten ins Statut, die bis heute fortwirken: Während der letzten 55 Jahre sollte die Institution immer dann in Erscheinung treten, wenn es galt, globale Finanzkrisen zu verhindern oder sie zumindest einzudämmen. Inoffiziell bestand die Aufgabe des Währungsfonds darin, die Länder der Peripherie dem Kapital in den Metropolen gefügig zu halten.

Zehn Jahre nach Ende des Kalten Krieges aber wird die Washingtoner Organisation für beide Missionen kaum noch gebraucht. Das Nachkriegsprogramm hat ausgedient - und in Prag dürften die politischen Repräsentanten kaum Antworten finden auf die Fragen, die die weltweiten ökonomischen Transformationsprozesse seit dem Ende der bipolaren Systemkonkurrenz aufgeworfen haben.

Auch wenn es regionale Finanzkrisen mit globalen Auswirkungen wie in der vergangenen Dekade weiter geben wird, wissen die Währungshüter spätestens seit dem Asien-Crash vor zwei Jahren nicht mehr, wie sie diese bewältigen sollen. Zudem sind die globalen Devisenströme inzwischen weiter angewachsen, sodass die IWF-Staaten die finanziellen Mittel allein gar nicht aufbringen könnten, um einen erneuten Kollaps zu verhindern. Im Falle des nächsten Falles würden die sinkenden Exporterlöse und der damit einhergende Konjunkturrückgang ein Übriges tun, die Industrienationen davon abzuhalten, verstärkt in der Krisenregion zu investieren. Immerhin erscheinen die Finanzsysteme der wichtigsten Geldgeber des IWF so gefestigt, dass Crashs wie der in Südostasien oder die Tequila-Krise in Mexiko 1995/96 in Zukunft kaum auf die Metropolen übergreifen dürften.

Wenn man davon ausgeht, dass der Währungsfonds seine Kredite immer mit der politischen Auflage an die Regierungen im Trikont verknüpfte, optimale Verwertungsbedingungen für die Konzerne der Industrienationen zu garantieren, dann dürfte sich aber auch jene Türöffnerfunktion für die Märkte der Peripherie erübrigt haben, die der IWF seit seiner Gründung innehatte. Nach dem Zusammenbruch des Staatssozialismus beteiligen sich die politischen Eliten fast aller Staaten der so genannten Dritten Welt am Wettbewerb um den Titel des attraktivsten Billiglohnstandorts. Der weltweite Siegeszug des Kapitalismus in den neunziger Jahren beschleunigte diesen Prozess um so mehr, als die sozialistischen Entwicklungsmodelle in der Sowjetunion oder in China endgültig ausgedient hatten.

Vor allem jedoch war es die globale Produktivkraftentwicklung, die verhinderte, dass auch nur eines der armen Länder ökonomisch in die Metropolen nachrücken konnte. Allenfalls gelang der Sprung in den Rang eines Schwellenlandes, während sämtliche Versuche agrarisch ausgerichteter Staaten, nach dem Zweiten Weltkrieg jene Entwicklung nachzuholen, die für die Industrielle Revolution in Westeuropa und Nordamerika prägend war, scheiterten. Auch die von ordoliberalen Theoretikern angeführten Beispiele für eine geglückte nachholende Industrialisierung - wie Südkorea und Taiwan in den sechziger Jahren - widerlegen diese These nicht. Genossen die so genannten Tigerstaaten doch immer den politischen und ökonomischen Rückhalt der USA, die auf diese Weise den Einfluss Chinas und der Sowjetunion begrenzen wollten.

In der Folge der historischen Auflösung dieser Notwendigkeit nach 1989/90 scheint sich auch der Währungsfonds erübrigt zu haben. Und selbst wenn bis jetzt kein westlicher Staatschef die Auflösung des IWF aufs internationale Tablett gebracht hat, so wurde in letzter Zeit immer öfter die Forderung laut, den Fonds zumindest zu verkleinern. Beim Treffen in Prag dürfte es lediglich darum gehen, wie der Fonds umstrukturiert werden muss, um an Ansehen zu gewinnen.

Der Wandel wird zwar kaum so drastisch ausfallen, wie es die Autoren des Meltzer-Reports vorsehen - eines Strategiepapiers des republikanisch dominierten US-Kongresses. Schlanker wird der IWF aussehen, aber den radikalen Stellenabbau, den die amerikanische Rechte fordert, wird es nicht geben. Dafür stehen Japan ein, der zweitgrößte Geldgeber, und Deutschland, das mit Horst Köhler immerhin den Vorsitzenden stellt. Ihm schwebt vor, den IWF stärker auf die makroökonomische Überwachung des Weltfinanzsystems auszurichten - und nur von Fall zu Fall in Krisen zu intervenieren. Ein Konzept, das auch in Prag akzeptabel sein dürfte.

Kleiner wird der IWF so oder so - und das gleich in zweifacher Hinsicht. Zum einen wird der Fonds einige seiner 2 700 Beschäftigten allein deswegen entlassen müssen, weil es ihm selbst an Liquidität mangelt, zum anderen wird die Sparpolitik nicht ohne eine Reduzierung der Kredite auskommen. Selbst wenn die Forderung des Meltzer-Plans, sich aus den armen Ländern völlig zurückzuziehen, keine Mehrheit finden wird, werden die Ausgaben für Projekte auf dem Trikont deutlich eingeschränkt werden. Umso mehr dürfte der IWF künftig bemüht sein, private Gläubiger-Institute zu Krediten für mögliche Krisenregionen zu bewegen - versüßt würde den Geldanlegern das Angebot mit entsprechend hohen Zinsen.

Zwar haben Wirtschaftswissenschaftler und Politiker seit der Asien-Krise immer wieder kritisiert, dass die Investoren in den Boomphasen kräftig Profit machten, in akuten Finanzkrisen aber weiterhin die öffentliche Hand einspringen müsse. Doch mit ihrer Forderung, auch die Profiteure des Booms für die Kosten einer Krise haftbar zu machen, dürften die politischen Repräsentanten des Fonds schon am Widerstand der Konzerne scheitern. Abgesehen davon bestehen kaum Konzepte, wie die Beteiligung kommerzieller Anleger an den finanziellen Folgen eines erneuten Währungscrashs praktisch gestaltet werden sollte.

Und so unverwundbar, wie die privaten Investoren am Ende der Asien-Krise schienen, sind sie letztlich auch nicht. Nach Berechnungen des Instituts of International Finance haben ausländische Aktionäre während der Krisen in Ostasien und Russland bis Ende 1998 allein 240 Milliarden Dollar verloren; bei den Geldinstituten summierte sich der Verlust global auf 60 Milliarden Dollar. Diesen immensen Summen standen 1999 IWF-Kredite in Höhe von 91 Milliarden Dollar gegenüber. Eine Weltordnung wie nach dem Zweiten Weltkrieg lässt sich mit solchen Beträgen im Jahr 2000 nicht mehr auf die Beine stellen.