Der Globalisierungsgegner

Voodoo an der Schleuse

Gegner gibt es viele. Flughafengegner etwa, Atomkraftgegner oder Genmedizingegner. Die drei letztgenannten ähneln sich darin, dass sie die Ansicht teilen, bestimmte Innovationen seien überflüssig und schädlich. Ihr erster Bezugspunkt ist dabei immer das Bestehende. Die Welt, wie sie ist, wollen sie befreien von Flugverkehr, Atomkraftwerken und Genmedizin. Sobald ihnen die Frage gestellt wird, wie denn die Bedürfnisse der Menschheit ohne neue Startbahnen, Wiederaufbereitungsanlagen oder Gentechnik befriedigt werden können, entwickeln sie alternative Mobilitätskonzepte, alternative Energiekonzepte oder alternative Gesundheitskonzepte.

Vor einigen Jahren ist unter all den Gegnern von irgendetwas eine neue Figur aufgetaucht, der Globalisierungsgegner. Auch er kämpft gegen eine Innovation, nämlich gegen die Globalisierung. Wenn er aus einem entwickelten Land kommt, bezieht sich der Globalisierungsgegner auf das bisher Bestehende. Gegen die Deregulierung der Waren- und Arbeitsmärkte, gegen den Spekulationskapitalismus und gegen die daraus entstehende Massenarmut setzt er auf soziale Marktwirtschaft. Zu deren Rettung entwickelt er Visionen: Kontrolle der Finanzmärkte, Spekulationssteuern, Protektionismus etc.

Der Globalierungsgegner ist beliebt. Umfragen ergaben, dass jeder zweite US-Amerikaner mit den Protesten gegen den WTO-Gipfel in Seattle sympathisierte. Selbst der Präsident der Weltbank äußerte jetzt, seine Institution sehe die in Prag erwarteten Demonstrationen gegen die Folgen der Globalisierung nicht nur negativ. Schließlich würden diese Aktionen das öffentliche Bewusstsein von den schlechten Seiten der Globalisierung heben. Und in den Medien kommen Globalisierungsgegner, soweit sie halbwegs gewaltlos handeln, ohnehin glänzend weg. Sie haben ein abenteuerliches Outfit, sind - zumeist - multikulturell orientiert, turnen mit professioneller Ausrüstung auf Baukränen und an Hochhausfassaden herum und bedienen Handys, Laptops und Internet-Equipment so souverän wie Börsenbroker.

New-Economy-Attribute wie Kreativität, Flexibilität, Phantasie und Professionalität bilden aber nur die von den Medien lustvoll illustrierte Oberfläche einer tieferen Verwandtschaft, die einen Großteil der westlichen Globalisierungsgegner in den Prozess einbindet, den sie kritisieren. Wesentlich wichtiger ist eine informelle, aber sehr grundsätzliche Übereinkunft zwischen den Betreibern und den Gegnern der Globalisierung. Im Gegensatz zum Startbahngegner steht der Globalisierungsgegner vor dem Problem, dass er nicht gegen eine Sache, sondern gegen etwas viel Komplizierteres kämpft, gegen einen undurchsichtigen, fast schon gespenstischen Prozess, den nach eigener Auskunft nicht einmal die Affirmations-Profis aus der Wirtschaftwissenschaft erklären können.

Damit die Globalisierung trozdem etwas wird, das man anfassen kann, haben sich ihre Gegner fast ausnahmslos jenem Unfug verschrieben, der in der Zeit letzte Woche noch einmal idealtypisch formuliert wurde: »Deshalb ist die Behauptung falsch, Globalisierung sei etwas, das über die Menschen komme wie eine Sturmflut. Die Schleusen zu öffnen war eine Entscheidung der Schleusenwärter. Das sind die Regierungen, das sind die WTO, der IWF, die Weltbank, die Davos-Menschen. Sie entschieden sich dafür, weil es eine Theorie gibt, wonach die Globalisierung etwas Gutes ist.«

Dies, von den meisten Globalisierungsgegnern mit negativen Vorzeichen verinnerlicht, macht den Protest zum Voodoo-Zauber. Man bastelt sich ein Bild vom Feind. Dieses gründet in der Illusion, die von IWF, Weltbank und Regierungschefs exekutierten Sauereien seien Katzbuckelei vor den überzogenen Ansprüchen der Geldbesitzer. Über Alternativen und die Bewahrung des Bewährten werde nicht nachgedacht. Wer in diesem Sinne die aktuell gültigen Imperative der Kapitalverwertung, die Globalisierung eben, schlicht auf eine willkürliche und hinterhältige Innovation der Abzockerei reduziert, könnte ebensogut Tribunale gegen das Wetter abhalten. Alle leiden darunter, und keiner versteht es.