Protest und Repression in Bolivien

Banzer vor der Blockade

Auf die sozialen Proteste im ganzen Land reagiert Boliviens Regierung mit Ratlosigkeit und Repression.

Kugel für Kugel« werden die Koka-Bauern im bolivianischen Tiefland Vergeltung üben, wenn das Militär nicht aufhört, die Straßenblockaden der Cocaleros anzugreifen. So heißt es zumindest in einem Ultimatum, das die Koka-Produzenten vergangene Woche der Regierung stellten. Ihre Hauptforderung: Die auf Druck der USA beschlossenen Pläne zur Vernichtung von Kokaplantagen sollen zurückgenommen, die Planungen für drei neue Militärbasen im Tiefland eingestellt werden.

Heftige Konfrontationen mit dem Militär, mit riesigen Steinen und Bäumen blockierte Straßen und Massenveranstaltungen bestimmen seit Mitte September das öffentliche Leben in Bolivien. In La Paz, Cochabamba, Oruro und anderen Distrikten blockieren Landarbeiter, Kokabauern und Lehrer die Hauptverkehrsstraßen des Landes. Polizei und Militär bekämpfen die Demonstranten mit Tränengas, Gummigeschossen und scharfer Munition. Ungefähr zehn Menschen sind bei den Auseinandersetzungen bislang ums Leben gekommen, Dutzende wurden verletzt. 13 Lehrer sind verhaftet worden und sollen als Verursacher des Chaos vor Gericht gestellt werden.

Die bolivianische Presse spricht von einem landesweiten Zustand der Paralyse; die Opposition hält den Präsidenten Hugo Banzer, der das Land schon 1972 bis 1978 als Diktator regierte, für regierungsunfähig. Seit über einem Jahr wächst die Unzufriedenheit in der Bevölkerung, Streiks mehren sich. Bereits im April hatte es heftige Ausschreitungen und Straßenblockaden gegeben, nun sind die Konflikte zur größten Krise Boliviens seit dem Ende der Militärregierungen 1982 angewachsen.

Cochabamba, die drittgrößte Stadt des Landes, ist seit Mitte September isoliert. Lebensmittel werden knapp; die Preise sind enorm gestiegen. Agrarprodukte verfaulen, weil die Verkehrsnetze zusammengebrochen sind, die Bauern beklagen hohe Verluste. In allen Busbahnhöfen des Landes stehen die Überlandbusse still; tausende Passagiere sitzen ohne Geld und Essen fest. Der Minister für Wirtschaftliche Entwicklung, José Luis Lupo, rechnet vor, dass die Streiks und Blockaden bisher Verluste von mindestens 100 Millionen US-Dollar verursacht haben.

Am Anfang der Unruhewelle stand vor etwa drei Wochen die Blockade der Straße Cochabamba-Santa Cruz durch die Koka-Bauern. Kurz darauf organisierte die Lehrervereinigung einen bei Redaktionsschluss noch immer anhaltenden landesweiten Lehrerstreik und Demonstrationen, womit eine Erhöhung der Lehrer-Einkommen um 50 Prozent erreicht werden sollte.

Die Stimmung griff auf andere Bereiche der Gesellschaft über, und es formierten sich im ganzen Land an unterschiedlichen Stellen soziale Bewegungen. In Cochabamba und an anderen Orten flammte der Protest gegen die Verteuerung des Wassers erneut auf; die Bauern fordern die Rücknahme der neoliberalen Gesetzesgrundlagen und verleihen dieser Forderung mit zahlreichen Straßenblockaden Nachdruck; Studenten der #Bergarbeiter-Universität »20. Jahrhundert« verlangen die Teilhabe am Budget der Universität in der nahegelegenen Stadt Potosi; Kleinschuldner fordern Umschuldung und Schuldenerlass und haben alle größeren Banken in Cochabamba gezwungen, für einen Tag zu schließen; die Mitarbeiter der staatlichen Krankenkasse protestieren gegen die geplante Privatisierung.

Nach drei Wochen, in denen sich in weiten Bereichen der Gesellschaft der Unmut über die bestehenden Verhältnisse gesteigert hat, sieht es nicht so aus, als ob die Proteste nun abklingen würden. Sowohl die Konföderationen der städtischen und ländlichen Lehrer als auch die Zusammenschlüsse der Bauern haben angekündigt, die Blockaden auf unbestimmte Zeit fortzuführen und zu intensivieren. Obwohl viele Bauern vor den Militäreinsätzen in die Berge geflohen sind, werden die Blockaden aufrechterhalten. Der Bürgermeister der Landgemeinde Parotani, Jaime Heredia, kündigte gegenüber der Internet-Zeitung Rebelión an, die Blockaden selbst »unter Beschuss« nicht aufzugeben.

Die Regierung setzt auf Härte gegen die Demonstranten. Banzers Kabinett kündigte an, mehr Unordnung im Land werde nicht geduldet und beschloss ein Vorgehen mit »harter Hand«. Offiziell heißt es, die Ursache der Probleme im Hochland sei die Armut, während die Störaktionen im Tiefland von den Drogenkartellen organisiert würden, da sie sich gegen die geplante Vernichtung von Kokafeldern richten.

Wie gewohnt zeigt die Regierung in Zeiten der Krise damit ihre Loyalität zu den USA. Deren Botschafter in Bolivien, Manuel Rocha, drohte mit Sanktionen für den Fall, dass Bolivien die gesetzten Ziele zur Drogenbekämpfung und zur Vernichtung der Kokafelder nicht erfüllen sollte. Allerdings sind die rigiden militärischen Aktionen das Einzige, was auf Seiten des Staates noch funktioniert. Gegenüber den entschlossenen Positionen der Demonstranten erscheint die Regierung machtlos.

Vergangene Woche verkündete die Regierung einige Vorhaben, die zur Verbesserung der sozialen Lage der Bevölkerung und zur Förderung der Wirtschaft beitragen sollen. Dass die Pläne, die dem klassischen wirtschaftsliberalen Maßnahmenkatalog entnommen sind, etwas bewirken, ist jedoch unwahrscheinlich. Von einer geplanten Senkung der Mehrwertsteuer erhofft sich die Regierung ein Ankurbeln der nationalen Produktion und des Verbrauchs. Der Erziehungsminister kündigte zwar Verhandlungen mit den Lehrern des Landes an, drohte allerdings gleichzeitig mit der Entlassungen all jener, die nicht wieder zur Arbeit gehen. Der Bau der Militärbasen im Tiefland wurde vorübergehend ausgesetzt.

Hugo Banzers Regierung, die vor drei Jahren mit dem Versprechen angetreten war, die Armut zu mildern, hat in der Folge einen strikten neoliberalen Kurs verfolgt. Und ihr neues Krisenpaket hat seinen Wert auch schon eingebüßt, noch bevor es in Kraft getreten ist, große Teile der Bevölkerung betrachten Banzers Politik als reine Kosmetik.

Während der Konflikt im April hauptsächlich in der Privatisierung der Trinkwasserversorgung und der damit verbundenen Tariferhöhung begründet war, sind die aktuellen Ereignisse ein Konglomerat aus unterschiedlichen sektoralen Mobilisierungen, von denen jede durch ebenso sektorale Bedürfnisse motiviert ist. Vor einem halben Jahr konnte Banzer die Gemüter beruhigen, indem er teilweise auf die Forderungen einging und vor allem die Wasserprivatisierung punktuell zurücknahm.

Mit einer solchen Taktik wird er kaum noch einmal Erfolg haben. Im Kanon der Forderungen aller sektoralen Bewegungen wird der Ruf nach Banzers Rücktritt und nach Neuwahlen immer stärker. Auf Seiten der sehr heterogenen und anfangs dezentralen sozialen Bewegungen zeichnet sich indes Geschlossenheit ab. Zuerst solidarisierten sich die Cocaleros mit den Forderungen der Lehrer; mittlerweile existiert ein Zusammenschluss aus Koka-Produzenten, Bauern und Lehrern, der nur zum Dialog mit der Regierung bereit ist, wenn alle Forderungen en bloc verhandelt werden.

Prognosen über die zukünftige Entwicklung fallen schwer. Der Großteil der bolivianischen Linken diskutiert, ob die unabhängig voneinander aufkommenden Proteste, die sehr eng an die Grundbedürfnisse geknüpft sind, ein Zeichen dafür sind, dass das neoliberale Projekt mit seinen Deregulierungen und Privatisierungen an die Grenzen dessen gestoßen ist, was die Bevölkerung verkraften kann. Offenbar fällt es der Regierung immer schwerer, der meist ländlichen Bevölkerung immer mehr Entbehrungen aufzuzwingen - zumal als Mittel dazu bislang nur eine gemäßigte Repression und der demokratische Schein eines gesellschaftlichen Konsenses zur Verfügung stehen.

An Perspektiven mangelt es auf allen Seiten. Die Regierung versteht nicht mehr, was vor sich geht, es gibt allerdings bisher keine aussichtsreiche Alternative zu Banzer. Die sozialen Bewegungen wissen zwar genau, was sie nicht wollen, weiter gehende politische Konzepte fehlen jedoch auch hier. Allen ist klar, dass Veränderungen unvermeidbar sind. Vor dem Hintergrund der aktuellen Entwicklungen lassen die Erfahrungen mit dem so genannten Populismus in Venezuela, Peru und Ecuador jedoch ahnen, wohin es gehen könnte.

Web-Links: www.rebelion.org