Nach dem IWF-Gipfel von Prag

Der Sturm nach dem Sturm

Nach dem Treffen von Weltbank und Währungsfonds gehen die tschechischen Behörden jetzt gegen die Organisatoren der Proteste vor.

Einen Tag früher als geplant ging die Tagung des Internationalen Währungsfonds (IWF) und der Weltbank vergangenen Donnerstag zu Ende. Mit den heftigen Protesten habe das vorzeitige Ende nichts zu tun, beteuerte der deutsche IWF-Chef Horst Köhler auf der Abschluss-Pressekonferenz. Die Delegierten hätten die Tagesordnung nur »schneller als geplant« abgearbeitet.

Die ungewöhnliche Eile wird allerdings kaum allein mit dem Arbeitseifer der rund 18 000 Delegierten zu erklären sein. Nach Angaben von NGO-Vertretern, die an dem offiziellen Gipfel teilnahmen, war zumindest zu Beginn der Tagung »keine ernsthafte Arbeit möglich«. Und auch ein Sprecher des tschechischen Aktionsbündnisses Initiative gegen die ökonomische Globalisierung (Inpeg), die die Aktionen gegen das Treffen organisiert hatten, bezeichnete das frühe Ende der Tagung »als Resultat der massiven Proteste«, die während des gesamten Gipfels angedauert haben.

Nach dem für sie erfolgreichen Verlauf der Aktionstage sind die Organisatoren jetzt vor allem mit den harten staatlichen Reaktionen konfrontiert. Als Köhler auf der Pressekonferenz noch versuchte, eine positive Bilanz zu präsentieren, wurden zur selben Zeit die Teilnehmer einer Sitzblockade vor dem Innenministerium von Hundertschaften der Polizei weggetragen. Sie hatten »Freiheit für alle Verhafteten« gefordert und die Methoden auf den Polizeiwachen angeprangert. Auch in Bern, Berlin, Toronto, Moskau und anderen Städten kam es zu Solidaritätsaktionen vor den tschechischen Botschaften und Konsulaten.

Während der Aktionstage waren insgesamt 859 Demonstranten verhaftet und zum Teil misshandelt worden. Inpeg berichtet über zahlreiche Menschenrechtsverletztungen in den Gefängnissen. Den Inhaftierten wurden häufig Wasser, Lebensmittel und Schlaf verweigert, viele berichteten nach ihrer Entlassung, dass sie von den Beamten geschlagen worden seien. »Frauen wurden gezwungen, sich vor männlichen Beamten zu entkleiden. Verletzten wurde jegliche medizinische Hilfe verwehrt«, erklärte beispielsweise Paul Rosenthal aus Seattle, der zwei Tage in einer Zelle der Ausländerbehörde verbringen musste. Die Zustände in den Gefängnissen und auf den Polizeistationen seien beängstigend.

Eine Einschätzung, die auch der Prager Ermittlungsausschuss teilt. So berichtet er in einer Presserklärung, dass sich derzeit eine österreichische Demonstrantin mit gebrochenem Bein und Hüftknochen im Krankenhaus befinde - die Polizei gab an, dass sie während eines Verhörs aus dem Fenster gefallen sei. Bis zu 30 Personen wurden in vier Quadratmeter großen Zellen untergebracht, im Gefängnis Olanska wurden 30 Personen gezwungen, unter freiem Himmel zu schlafen. Man habe sich auf zahlreiche Verhaftungen vorbereitet »und alle Kapazitäten dafür geschaffen«, erklärte lapidar eine Polizeisprecherin am vergangenen Mittwoch und erhielt dabei Rückendeckung von offizieller Seite. »Wir zeigen, dass wir fähig sind, so etwas zu organisieren«, hatte sich der tschechische Finanzminister Pavel Martli nach der Tagung gebrüstet.

In den von Journalisten und Anwälten abgeschirmten Polizeistationen holte die Polizei anscheinend nach, was ihnen auf der Straße wegen der zahlreichen TV-Teams nicht immer möglich war. Insbesondere am Dienstag vergangener Woche, zu Beginn der Tagung, hatten sich etwa 15 000 Aktivisten aus aller Welt zum Teil heftige Straßenschlachten mit der Polizei geliefert.

Die Demonstration wurde dabei von einem breiten Spektrum getragen: von internationalen Netzwerken wie Peoples Global Action, Attac oder Earth First bis hin zu Gewerkschaften und Traditionskommunisten. Schottische Anti-Gentech-Aktivisten waren ebenso anzutreffen wie russische Anti-Atom-Gruppen oder die britische Menschenrechtsorganisation Jubilee 2000. Aus Tschechien beteiligten sich vor allem Umwelt-Initiativen und anarchistische Gruppen an den Aktionen. Besonders auffallend waren die etwa 1 000 italienischen Aktivisten, die sich mit Gummireifen, Ballons, Schlauchbooten, Helmen und Schildern auf die Aktion vorbereitet hatten.

Um die teils sehr verschiedenen politischen Positionen der Teilnehmer ebenso zu berücksichtigen wie deren Bereitschaft, sich auf eine Konfrontation mit der Polizei einzulassen, hatte man sich bereits im Voraus auf unterschiedliche Blöcke während der Demonstration geeinigt. Kurz vor Mittag gelang es, trotz eines ausdrücklichen Verbotes der tschechischen Behörden, den Marsch in Richtung Karlsplatz zu beginnen. Auf drei verschiedenen Routen zog die Demonstration zum Kongresszentrum, wo sie wenig später von der Polizei aufgehalten wurde. Anschließend kam es zu ersten Auseinandersetzungen. Pflastersteine und Molotow-Cocktails flogen, die Sondereinheiten antworteten mit Tränengas, Pepperspray, Wasserwerfern und Schlagstöcken.

Am Nachmittag waren sämtliche Straßen zum Kongressgebäude blockiert. Die Polizei reagierte auf die Blockade, indem sie die U-Bahn für die Öffentlichkeit sperrte, um die Kongress-Teilnehmer mit der Metro in die Innenstadt zu geleiten. Das Abendprogramm fiel dennoch ins Wasser, denn die Oper war bereits von Demonstranten umzingelt.

Am selben Abend bewegte sich ein spontaner Zug in Richtung Innenstadt. Auf dem zentral gelegenen Wenzelsplatz wurden die Scheiben einiger Bankfilialen, Fastfoodketten und Autohäuser zerstört. Mit großem Aufgebot und unter dem Einsatz von Tränengas und Wasserwerfern löste die Polizei die Demonstration schließlich auf.

Die zerstörten Scheiben vom Wenzelsplatz veranlassten die Medien am folgenden Tag zu Titeln wie »Krieg in Prag«. Die Boulevard-Zeitung Blesk verglich das Verhalten der Demonstranten sogar mit dem der Serben im Kosovo. Und auch die Bevölkerung reagierte aggressiv auf die Demonstranten, die Solidaritätsaktionen für die Gefangenen organisieren wollten.

Nachdem die meisten Teilnehmer bereits abgereist waren, umstellten am vergangenen Freitag Beamte das Inpeg-Infocenter und notierten die Personalien aller Anwesenden. »Es geht ihnen darum, möglichst viele Daten zu sammeln, um diese missliebigen Personen in Zukunft zu verfolgen«, so ein Inpeg-Vertreter gegenüber Jungle World. Am Tag zuvor war bereits das alternative Tagungszentrum von Inpeg, ein altes Fabrikgelände, von der Polizei geräumt worden.

Vor allem die Organisatoren sind von der Repression betroffen.»Sie bewachen unsere Wohnungen, ständig ist uns ein Zivilbeamter auf den Fersen. Sie verunsichern unsere Familienangehörigen, nehmen mehrmals am Tag Kontrollen vor, verhaften Freunde, ohne juristisch legitimiert zu sein«, erklärte eine tschechische Aktivistin.

Den willkürlichen Maßnahmen der Polizei stand auch auch das Beobachterteam machtlos gegenüber. Das Team war vor den Aktionstagen gebildet worden, um Übergriffe zu dokumentieren. »Wir können zwar die Dienstnummern der Polizisten notieren«, sagte ein Beobachter, »aber Auswirkungen wird das später keine haben.«