Kurzgeschichten von Petra Lüschow

Fight Club mit Aussicht

In den Kurzgeschichten von Petra Lüschow proben die Frauen den postfeministischen Aufstand.

Das Setting in der Höhenlage eines Wolkenkratzers wirkt comic-haft. Flores und Antiflores, die beiden Hauptfiguren der Titelstory von Petra Lüschows gleichnamigem Erzählband, beginnen einen harmlosen Sommertag in ihrer Wohnung im 150. Stock. Allerdings nimmt Antiflores schnell die Fäden in die Hand und verwickelt die Beteiligten in eine Porno- und Crimestory sehr vielschichtiger Art: »ðKNALLPENGÐ, sagt sie lässig und macht eine schlaffe Handbewegung, und auf Kommando kollabiert ein Müllmann: Ein echter Fall von flüssigem Schleimschlag. Flores schreit ðOh neinÐ, und schlägt die Hände über dem Kopf zusammen. Antiflores aber hängt sich schwindelfrei aus dem hundertfünfzigsten Stock. Sie läßt ihren Hals ausfahren, den Arschspalt ihrer Brüste wippen, sie öffnet die Arme bis da unten. Sie inhaliert den Anblick des auf dem Asphalt aufgeschlagenen Müllmanns, der wie betacarotinfarbenes Eigelb zerläuft. Ein grellblitzender Unfallwagen schießt automatisch um die Ecke, und schreiende Leute sind sowieso dutzendweise zur Stelle: Oh, sie ist so verdammt böse.«

Ja, Antiflores ist böse, und gut ist ihre Antagonistin Flores nur für eine kleine Weile. Da flirtet sie noch mit Ralph, dem Filmstudenten, und stellt Mutmaßungen über diesen Mann an: »Ist er also einer dieser Typen, die unheimlich auf skurrile Stories um einen echt durchgeknallten Helden stehen, der allen in den Arsch tritt, durch seinen Übermut in Gefahr gerät, seine neue Freundin leidenschaftlich böse vögelt, weil das eben zu den dunklen Seiten des Lebens dazugehört (...)?«

Leider äußert Ralph bald darauf Filmpläne dieser Art, und dummerweise lässt er sich auch darauf ein, mit beiden Freundinnen in seinem alten blauen Opel Kadett zu einem See zu fahren. Was dann passiert, ist nicht nur eine Reaktion der Frauen auf seine albernen Jungsattitüden oder die Rache dafür, dass »alle hundert Ralphglubschundgrabschaugen« immer wieder mal »wie wild über Antiflores' Brüste fahren«. Nein, Flores und Antiflores gehen aufs Ganze. So wird Ralph nach einem kurzen Schwimmversuch erst von Antiflores, dann von Flores kräftig mit einem klitscheroten Dildo rangenommen - gegen seinen Willen, unter Einsatz von Gewalt und mit folgendem Begleittext von Flores:

»ðIch weiß, daß du uns für Radikalfeministinnen hältstÐ, behauptet sie und hechelt in Ralphs Ohr, während Antiflores lustvoll seine Locken zerwühlt: ðDu hast dich aber geirrt. Du hast eben noch nie Radikalfeministinnen getroffen, du armes Würstchen, sonst wüßtest du, daß wir keine sind. Weißt du, wir sind nicht mal so feministisch wie Thelma und Louise. Die kennst du ja. Die sind doch sogar ganz nett, aber das weißt du ja selber, die würden dich niemals ohne deine Einwilligung ficken. Eher würden sie selbst die Beine öffnen, damit du es selbst für sie tust. Na ja, du kennst dich ja mit Filmen aus.«

Natürlich wird Ralph die Geschichte später als cooles Abenteuer verkaufen, bei dem er »wirklich Spaß gehabt hat«, und weil die Story so abgefahren ist, liefert sie ihm gleich den Plot für seinen Abschlussfilm - der Beginn seiner geplanten cineastischen Karriere. Die kurzfristig verschobenen Machtverhältnisse in Genderland sind damit wieder in ihre gesellschaftliche Normalposition gerastet. Ohnehin stellt sich am Ende heraus, dass alles nur ein schwüler Traum zweier Freundinnen am Morgen eines heißen Tages im 150. Stock eines Wolkenkratzers war.

Petra Lüschow inszeniert den Traum als Versuchsanordnung zu einem Thema, an dem sich bereits viele Autorinnen erprobt haben: Wie kann die männliche Definitionsmacht über Lust und Gewalt gebrochen werden?

Elfriede Jelinek versucht in »Lust« weiblichen Ohnmachtsszenarien mit Hilfe von Versatzstücken aus der Zeitschriften- und Filmwelt beizukommen. Sie steigert diese derartig ins Unerträgliche, dass die dahinter liegende Ideologie irgendwann den Text zu sprengen beginnt. Trotzdem bleibt der Roman gänzlich pessimistisch, was die Möglichkeit einer Auflösung der Machtverhältnisse angeht. Kathy Acker verfolgte in ihren Büchern nicht weniger obsessiv die umgekehrte Strategie und propagierte anarchistischen, ekstatischen Sex als Mittel weiblicher Befreiung. Männer gehen bei ihr nicht weniger lustvoll oder sadistisch mit Frauen um als umgekehrt. Allerdings verzichtet sie in ihren Texten nicht auf Assoziationen an die männliche Tradition de Sadescher Bildproduktion.

Die Geschichten von Petra Lüschow bedienen sich bei beiden Aurorinnen, der Erzählansatz liegt irgendwo zwischen Jelinek und Acker. Allerdings verweigern sich die Texte dem linearen Erkenntnisinteresse an der Frage, ob sich die Verhältnisse tatsächlich umkehren lassen. Vor allem geht es in den Erzählungen um die medial bedienten Muster der patriarchal geprägten Gesellschaft. Deshalb lässt die Autorin in der Wohnung über Flores und Antiflores den nierenkranken Nachbarn Robert für seinen Einsatz im Remake von »Taxi Driver« trainieren. Oder lässt Lizzy, die Protagonistin der Story »Psychopatenbulette«, am Ende ihres von Verfolgungswahn zerfetzten Tages mit dem aus dem Fernseher springenden Denis Hopper aus »Blue Velvet« kämpfen.

Petra Lüschow arbeitet als Drehbuchautorin, und man merkt das den Geschichten, ihren Sujets und ihrer Dramaturgie deutlich an. Eingeschrieben ist diesen Texten das Wissen, dass der durchschnittliche Hollywood-Thriller deshalb funktioniert, weil er auf die Inszenierung weiblicher Ohnmachtsgefühle setzt.

Nicht in allen Texten bekommen die Figuren die gleichen Chancen, die »Flores und Antiflores« zugestanden werden, nämlich Machtkonstellationen auf verschiedenen Ebenen sichtbar zu machen, sie zu durchkreuzen, aufzumischen, um dann das Feld zu räumen, ohne dass geklärt wäre, ob sich damit etwas geändert hat. Einige Stories enden pessimistisch im Sinne Jelineks. Geschichten wie »Haut« oder »Mutterspiele« sind präzise Protokolle der Vernichtung durch elterliche Gewalt und Missbrauch, die ziemlich nahe gehen. Dabei behauptet die Autorin an keiner Stelle, authentische Geschichten zu schreiben; sie befreit die Leser immer wieder aus der direkten Identifikation mit dem Erzählten, bietet mögliche Variationen des weiteren Verlaufs an oder überlegt, welches Wort »jetzt in keinem Fall fehlen darf«.

Diese Mehrdeutigkeit findet sich auch in den Fotos von Marion Wildhaber wieder, die die Texte begleiten. Keine Ahnung, ob die Schnauze des Esels auf dem Eingangsbild zubeißt oder lacht. Keine Ahnung, ob der Esel ein Pferd ist oder ein Gnu. Trauen kann man weder den Bildern noch den Worten.

Petra Lüschow: Flores und Antiflores. Druckhaus Galrev, Berlin 2000, 111 S., DM 25