Erika Feyerabend, Gentechnologie-Kritikerin

»Keine Frage der Ethik«

Nach der Entschlüsselung des menschlichen Erbgutes durch Craig Venters US-Unternehmen Celera Genomics und das international geförderte Human Genom Project (Hugo) im Sommer ist der Streit um die Rechte an den humanen Gensequenzen voll entbrannt. Vergangene Woche billigte das Bundeskabinett den Entwurf eines Biopatentgesetzes, das die Patentierung von Genen und Naturstoffen regeln soll. Patente zum Klonen menschlicher Lebewesen werden damit zwar ausgeschlossen, die ensprechende, von der Bundesregierung mit dem Entwurf umgesetzte EU-Richtlinie jedoch lässt Spielräume offen. Erika Feyerabend ist Journalistin und im deutsch-niederländischen Forum zur Beobachtung der Biowissenschaften/Bio-Skop e.V tätig.

Hat die Entschlüsselung des Erbguts wirklich den epochalen Sprung ins biotechnologische Zeitalter gebracht, wie nun überall behauptet wird?

Zweifelsohne wird die Biotechnologie die Leittechnologie des 21.Jahrhunderts sein, sie ist es ja jetzt schon. Ich denke aber, dass der qualitative Sprung weniger darin besteht, genetische Ursachen von Erkrankungen erkennen zu können, sondern in der Freisetzung wirtschaftlicher Potenziale. Der SPD-Genexperte im Bundestag etwa, Wolf-Michael Catenhusen, hat direkt nach der Verkündung der Entschlüsselung eine 70prozentige Erhöhung des Forschungsetats für deutsche Biotech-Unternehmen angekündigt.

Die sozialen und politischen Konsequenzen der Humangenetik sind bereits heute absehbar. Wird die genetische Risikoanalyse künftig zur Bedingung werden - etwa beim Abschluss einer Lebensversicherung?

Tendenzen, soziale Ausschlussverfahren an molekulargenetische Analysen zu koppeln, gibt es seit längerem. Sie sind nicht unmittelbar verbunden mit der Entschlüsselung des menschlichen Genoms, sondern beziehen sich eher darauf, ob beispielsweise ein bestimmtes Individuum schneller erkrankt als der Bevölkerungsdurchschnitt. Die Entwicklung solcher gendiagnostischer Verfahren - der so genannten Gentests - steht im Mittelpunkt der Forschung. Es ist klar, dass sie die Risiken erst schaffen, gegen die man sich dann versichern muss.

Nachdem die britische Regierung im September grünes Licht für das so genannte therapeutische Klonen gegeben hat, ist auch in der Bundesrepublik eine Debatte über Chancen und Risiken dieses Verfahrens entbrannt. Werden in Zukunft Organe und Körperteile tatsächlich künstlich hergestellt werden können?

Dass ganze Organe nachgezüchtet werden könnten, ist eine Allmachtsphantasie der Wissenschaftler, die gerade erst mit embryonalem Gewebe und Stammzellen zu experimentieren begonnen haben - und immer noch recht wenig darüber wissen. Wie schon bei der Entschlüsselung des menschlichen Genoms wird behauptet, mit der genetischen Ursachenerklärung von Erkrankungen perspektivisch sämtliche Zivilisationskrankheiten heilen zu können. Nicht zuletzt um die erhaltenen Forschungsgelder zu legitimieren, werden therapeutische Erfolge in unbekannter Zukunft in Aussicht gestellt. Das reicht schon, um Kritik von der gesellschaftlichen Agenda zu verbannen.

Für wahrscheinlicher halte ich es, dass die Herstellung von Geweben in Labors verstärkt wird, wobei nicht entscheidend ist, dass diese Schwerstkranken eingepflanzt werden müssen. Entscheidend ist vielmehr, dass der Embryo zu einer Art biomedizinischem Produktionsmittel erklärt wird - das heißt zu einer Substanz von eigenem Wert. Das ist der epochale Sprung. Denn mit dem Focus auf die Stammzellen verstärkt sich natürlich auch die Orientierung auf den Embryo als Mittel zum Zweck therapeutischer Verfahren.

In Deutschland verhindert das Embryonenschutzgesetz die Herstellung von Embryonen zu anderen Zwecken als dem der Fortpflanzung. Sorgen die neuen Verfahren und die damit verbundenen Gewinnaussichten dafür, dass diese und andere restriktive Bestimmungen in absehbarer Zeit fallen werden?

Ich bin davon überzeugt, dass das Embryonenschutzgesetz sich nicht halten lässt. Eine Initiative für ein so genanntes Fortpflanzungsmedizingesetz gibt es ja schon - was ein Indiz dafür ist, dass das im europäischen Vergleich relativ restriktive Embryonenschutzgesetz aufgeweicht werden soll. Bei diesem Gesetz geht es zum einen um die Frage, ob embryonale Stammzellen für die Gewebeproduktion genutzt werden können und zum anderen darum, ob bestimmte genetische Diagnoseverfahren an diesem außerkörperlich hergestellten Embryo zulässig sind. All diese Punkte werden im Fortpflanzungsmedizingesetz nicht ganz offen und ohne Reglementierung zugelassen, sondern stehen unter einem so genannten Arzt- oder Wissenschaftlervorbehalt.

Sie haben immer wieder von der politischen Ökonomie des genetischen Codes gesprochen. Wie funktioniert diese Verwertung des menschlichen Körpers?

Die Voraussetzungen, um so etwas wie genetische Information überhaupt herstellen zu können, liegen in der Körpersubstanz selbst - also im Blut und im Gewebe. Und dort findet auch die Wertschöpfung statt. Der Körper stellt ebenso den Rohstoff wie das Produktionsmittel dar. Die entscheidende Frage ist: Wann liegen die Voraussetzungen vor, Gewebe- und Blutsubstanzen zu entnehmen, um damit später private Profite erwirtschaften zu können? Und wem gehört die genetische Information?

Welche Rolle spielt dabei das Eigentum an den menschlichen Körpersubstanzen?

Das Patentrecht besagt, dass Gene ihre Bedeutung erst durch Isolierungsverfahren erlangen, das heißt, mit Informationen ausgestattet werden. Erst dann gilt das Gen als hergestellt. Deshalb können auch nur Forscher und Firmen das Gen besitzen, der aber, der sozusagen die Substanz geliefert hat, nie.

Worin unterscheiden sich die Argumente fortschrittlicher Technologiekritiker von denen so genannter Lebensschützer?

Das ist schwer zu beantworten, weil schon die Frage davon ausgeht, dass sich die Argumentationen substanziell voneinander unterscheiden. Linke wie Rechte aber gehen sehr moralisch an die Sache heran. Was dadurch nicht erfasst wird, ist, dass es durch gendiagnostische Verfahren möglich wird, eine Bevölkerungspolitik zu organisieren, die auf die Zuschreibung biologischer Merkmale hinausläuft. Daran schließen sich immer bestimmte soziale Ausschlussverfahren an. Das Problem dabei ist nicht, ob das nun gut oder schlecht ist, sondern die Art und Weise, wie Biotechnologie die sozialen Verhältnisse verändern wird. Entscheidend ist, dass sich Institutionen rund um den Embryo herausbilden - und die Märkte sozusagen entlang der Körper von Frauen organisiert werden. Das ist keine Frage der Ethik, sondern eine von Politik und Ökonomie.

Der US-Wissenschaftskritiker Jeremy Rifkin rechnet mit einer »kundenorientierten Eugenik«. Sehen auch Sie die Gefahr einer Klassengesellschaft, die gespalten ist in reiche, genoptimierte und arme, quasi natürliche Exemplare?

Ich denke auch, dass wir es bereits jetzt mit einer neuen Form von Eugenik zu tun haben. Keiner staatlich verordneten zwar, die auf die Aufwertung einer so genannten Rasse oder eines Volkskörpers abzielt. Rifkins Begriff von der »kundenorientierten Eugenik«, der besagt, dass künftig die Möglichkeit besteht, ein Kind mit besseren biologischen oder genetischen Voraussetzungen zu bekommen, bringt das Neue schon ganz gut auf den Punkt: Es geht um so etwas wie eine konstengünstigere Solidargemeinschaft, die dann einfach weniger Ressourcen im Bereich der Krankenversorgung oder der Pflege aufwenden muss. Das ist etwas ganz anderes als die »alte Eugenik«. Auch der Nachweis von so genannten Zivilisationserkrankungen kann dann erbracht werden. Von einer Zweiklassen-Gesellschaft zu reden, wie Rifkin, halte ich aber für übertrieben. Damit werden die Möglichkeiten, die in der Genomforschung liegen, total überhöht. Die genetische Ausbeutung des Menschen geht eher leise vonstatten - mitten in den etablierten, anerkannten Strukturen des Gesundheitswesens.