Streit zwischen Freien Nationalisten und NPD

Wille braucht Partei

Der Streit zwischen Freien Nationalisten und der NPD eskaliert. Die militanten Neonazis haben den NPD-Landesverband in Schleswig-Holstein übernommen.

Organisierter Wille braucht keine Partei.« Die markige Parole gilt offiziell als Strategie der Freien Nationalisten. Doch Strategie ist nicht alles. Aus Gründen der Taktik betreibt die Führung der Neonazis auch Parteipolitik.

Beim Landesparteitag der schleswig-holsteinischen NPD am 14. Oktober putschte der »organisierte Wille« um das Hamburger Naziduo Christian Worch und Thomas Wulff gegen den Landesvorstand der neonazistischen Partei. Die militanten Nazis demontierten den langjährigen Vorsitzenden Ingo Stawitz und wählten Jürgen Gerg, den Lübecker Anführer der Jungen Nationaldemokraten (JN), zu seinem Nachfolger. Gergs Stellvertreter wurden Jörn Lemke und Peter Borchert, einer der Macher des Nazitreffpunktes Club 88 in Neumünster, sowie Heino Förster, der erst kürzlich aus der Haft entlassen worden war. Förster hatte Anfang der neunziger Jahre einige Neonazis zu einem Brandanschlag angestiftet.

Mit dem gelungenen Putsch sei dem »reaktio-nären Treiben endlich ein deutlicher Schlag versetzt« und der »untätige« Stawitz von den »revolutionären Kräften abgesetzt« worden, jubelte das maßgeblich von Worch geleitete Aktionsbüro Norddeutschland. Dies ist eine offene Kampfansage gegen die NPD-Führung, die nun erst recht auf Legalität und Grundgesetztreue setzt, nachdem die Innenministerkonferenz am letzten Donnerstag in Berlin für einen Verbotsantrag beim Bundesverfassungsgericht votiert hat.

Schon im Frühjahr, am »2. Tag des nationalen Widerstandes« in Passau, waren Worch und der NPD-Bundesanführer Udo Voigt aneinander geraten; die Freien Nationalisten hatten den Alleinvertretungsanspruch der Partei für die »nationale Bewegung« scharf kritisiert. Der NPD-Vorstand beschloss daraufhin, die Parteistrukturen im Norden zu stärken. Aber schon die erste größere NPD-Aktion Anfang Juli in Hamburg scheiterte. Kaum hatten die NPDler ihren Infostand im Stadtteil Altona aufgebaut, wurden sie von Passanten, Anwohnern und Antifas vertrieben. Die Freien Nationalisten kritisierten, dass die NDP »alle Warnungen ortskundiger Kräfte in den Wind geschlagen« und »in unverantwortlicher Weise Nationalisten gefährdet« habe.

Als eine Woche später ein NPD-Marsch gegen »Rotfront-Terror und Multikulti-Banden« ebenfalls wegen Widerstandes abgebrochen werden musste, begann auch innerhalb der NPD eine Debatte über den Umgang mit den Freien Nationalisten.

Noch bevor der Bundesvorstand eine Entscheidung treffen konnte, teilte Worch in einem offenen Brief mit, die Hamburger NPD habe ihm den Landesvorsitz angeboten. Er aber habe den Posten zurückgewiesen: Innerhalb der NPD sei »kein Platz für die Freien Nationalisten«; zu wenig greife die Partei die herrschenden Zustände an. In den Reaktionen des Parteivorstands auf die Verbotsdebatte sieht Worch eine Bestätigung der »feige(n) Politik« der ältesten neonazistischen Partei der Bundesrepublik.

Der Konflikt zwischen der NPD und der militanten Neonazi-Szene schwelt spätestens seit den Verboten der Nationalen Liste (NL) und der Freiheitlichen Deutschen Arbeiterpartei (FAP) 1995. Die NPD hatte sich Anfang der neunziger Jahre unter ihrem damaligen Vorsitzenden Günter Deckert für die ehemaligen Mitglieder der ver-botenen Organisationen geöffnet. Udo Voigt, der 1996 Deckerts Nachfolge antrat, setzte diesen Kurs fort und gab die Parole »von der Wahl- zur Kampfpartei« aus. Der neue Kurs ermöglichte in den meisten Landesverbänden die Regenerierung und Etablierung der NPD, in Norddeutschland aber führte er zu Konflikten. Die Versuche der verbotenen FAP-Struktur um André Goertz, mit der JN-Zeitschrift Einheit und Kampf ein Bindeglied zwischen der NPD und früheren FAP- und NL-Mitgliedern zu schaffen, scheiterte: Die NPD-Führung musste die norddeutsche JN entmachten, deren Zeitschrift wurde eingestellt. Worch ging als Sieger aus dem Machtkampf hervor. 1997 vereinbarten die Freien Nationalisten und die NPD, dass die Partei von der Mobilisierungsfähigkeit der »Freien Kräfte« und ihrer logistischen Struktur profitieren könne, sich aber im Gegenzug aus dem Machtbereich der norddeutschen Neonazis heraushalten solle.

Das Norddeutsche Aktionsbüro versuchte jedoch von Anfang an, diese Vereinbarung zu unterlaufen - die Freien Nationalisten bemängelten die »schwachen Positionen« der Partei, über die auch die »radikalen Parolen nicht hinwegtäuschen dürfen«. Schrittweise drängte Worch die regionalen NPD-Führer im Norden in die Defensive. In Lübeck z.B. übernahm er mit dem Bündnis Rechts die dortige NPD und setzte mit Dieter Kern einen willigen Strohmann ein. Gleichzeitig brachte der Naziterrorist und ehemalige Kader der Wiking-Jugend Manfred Börm die nordniedersächsische NPD auf den Kurs der Freien Nationalisten. Inzwischen fungiert die Partei im Norden fast ausschließlich als Erfüllungsgehilfin des Aktionsbüros und besorgt die »juristische Absicherung« von Nazi-Aufmärschen.

Die Versuche des NPD-Anführers Voigt, die Freien Nationalisten und ihre Kameradschaften als Vorfeldgruppen der NPD zu vereinnahmen, sind inzwischen gründlich gescheitert. Am 30. September trafen sich Freie Nationalisten und unzufriedene NPDler in Thüringen, um den Aufbau einer »Opposition innerhalb der NPD« zu diskutieren. Nun planen die militanten Kader, eigene Strukturen in der NPD und um die NPD herum aufzubauen.

Nach dem Debakel in Schleswig-Holstein hat die Parteiführung einen »organisatorischen Notstand« ausgerufen: Der neue Landesvorstand wurde suspendiert und der Vorsitz dem strammen Parteisoldaten Uwe Schäfer aus Plön kommissarisch übergeben. Die Freien Nationalisten nehmen es jedoch gelassen. Denn Worch und Wulff bestimmen weiterhin in verbotsresistenter Selbstgefälligkeit die Politik der »nationalen Bewegung« in Norddeutschland.