Bertelsmann kauft Napster

Abonnier die Rebellen

Bertelsmann kauft die im Netz-Untergrund operierende Musikbörse Napster. Die neue Generation der Raubkopierer hockt schon in den Startlöchern.

Die Netztauschbörse Napster stand bisher für Internet-Rebellentum und digitale Piraterie, verkörperte das David-gegen-Goliath- Modell und spielte New Economy gegen Old Economy aus - all das extrem erfolgreich. Mit dem Outcast-Image könnte es aber bald vorbei sein, denn die Online-Börse zum kostenlosen Herunterladen von Raubkopien soll nach den Plänen von Bertelsmann in einen Abonnenten-Service umgewandelt werden, und Abonnement klingt definitiv nicht nach New Economy, rebellischer Techno-Avantgarde oder Underground.

Es sei ein lukrativer Markt, in den sich der deutsche Unterhaltungskonzern Bertelsmann für einen nach Insiderschätzungen zweistelligen Millionenbetrag einkauft, verkündete Bertelsmann-Chef Thomas Middelhoff am Mittwoch vergangener Woche. Die neu gegründete Bertelsmann eCommerce Group und Napster werden eine strategische Allianz zur Weiterentwicklung von Napster als Filesharing-Programm eingehen, bei der sowohl der User als auch die Musiker zu ihrem Recht kommen sollen, hieß es in der Presseerklärung beider Unternehmen.

Napster solle, um Tantiemenzahlungen gewährleisten zu können, in einen Abo-Service umgewandelt werden. Im Gegenzug kündigte Bertelsmann-Tochter BMG Entertainment (BMG) an, aus dem laufenden Prozess gegen Napster auszusteigen und ihre digitalisierten Musiktitel komplett zur Verfügung zu stellen. Überdies werde Bertelsmann dem Unternehmen einen Kredit in unbekannter Höhe zur »Weiterentwicklung des Geschäftsmodells« zur Verfügung stellen.

Dabei wollte der 19jährige Student Shawn Fenning sich eigentlich nur ein eigenes Musik-Suchprogramm schreiben, weil er mit den bisherigen Netzangeboten unzufrieden war. Kurz nachdem er sein Musikdateitauschprogramm im August 1999 auf der vielbenutzen Website Download.com veröffentlichte, wurde es so populär, dass der Server wegen der starken Nachfrage mehrmals zusammenbrach. Mittlerweile hat das weltweit bekannte Programm Napster über 37 Millionen User und die Firma eine existenzbedrohende Klage der Musikindustrie am Hals, besitzt aber auch die fast uneingeschränkte Sympathie der musikinteressierten jugendlichen Internet-User.

Das wurde nicht zuletzt bei der diesjährigen Verleihung der amerikanischen MTV-Music Awards deutlich, wo Shawn Fenning im extra geborgten Metallica-T-Shirt als Präsentator auftrat und frenetisch gefeiert wurde, während Metallica-Mitglied Lars Ulrich, der Drummer der Band, die als erste ein Gerichtsverfahren gegen Napster angestrengt hatte, ausgebuht wurde. Junge Hacker und talentierte Programmierer, denen das Image der Rebellen und Freiheitskämpfer im Internet anhaftet, haben die alten Idole der Popkultur abgelöst.

In einer Blitzumfrage des Marktforschungsinstituts PC Data Online hatten lediglich 16 Prozent aller Internetbenutzer erklärt, die Schließung von Napster zu befürworten. 57 Prozent gaben dagegen an, jeden Versuch der Kontrolle von Filesharing für unrealistisch zu halten. Und wenn Programme wie Napster für illegal erkärt werden sollten, wollten 25 Prozent der Befragten sie trotzdem weiter benutzen - unter den Napster-Usern sind es sogar 60 Prozent, immerhin zwölf Millionen Menschen.

Napster hat den Sprung auf die Liste der 50 am häufigsten besuchten Websites geschafft. Das ungeheure Medienecho auf den Napster-Prozess hatte nicht nur diesem Pogramm, sondern auch dem gesamten Filesharing zu ungeheurer Popularität verholfen. Selbst wenn Napster verschwände, würden rasch genügend Alternativen im Netz bereit gestellt.

Durch den illegalen Musikhandel im Internet hätten, so der Geschäftsführer von BMG, Thomas Stein, allein deutsche Plattenfirmen im Jahr 1999 einen Verlust von rund 100 Millionen Euro erlitten - wegen Napster. Weltweit stieg der Umsatz der Branche jedoch um rund 1,5 Prozent - trotz Napster. Untersuchungen von Jupiter Communications und Yankelovich Partners zufolge kaufen Teilnehmer von Online-Tauschbörsen wie Napster mit einer um 45 Prozent höheren Wahrscheinlichkeit eher CDs als Menschen, die keine MP3-Files tauschen. Weltweit werden täglich 20 bis 30 Millionen Musiktitel von den Usern heruntergeladen.

Napster jagte den Musikbossen jedoch einen gehörigen Schrecken ein. »Wir werden Napster an der Quelle blockieren. Wir werden es bei Kabelgesellschaften blockieren, wir werden es bei Telefongesellschaften blockieren, wir werden es bei ISPs blockieren. Wir werden es in euren PCs blockieren«, kündigte Steve Heckler, Senior Vice President von Sony Pictures Entertainment, vor einigen Monaten bei einer Konferenz über die Strategien der Musikindustrie gegen Napster und andere File-Tauschprogramme an.

Die entscheidenden Aufbau-Jahre im Internet hat die Musikindustrie verpasst, ob nun aus Ignoranz oder Arroganz. Hätte man sich frühzeitig offensiv mit der schnellen Entwicklung und Verbreitung neuer Audioformate auseinandergesetzt und sofort eigene, preiswerte Angebote im Netz platziert, hätten sich die illegalen Musik-Downloads und Filesharing-Programme sicherlich nicht so rasch ausgebreitet. Das Versäumnis, nicht rechtzeitig beim Online-Konsumverhalten jugendlicher Musikfans mitgewirkt zu haben, wirkte sich vor allem nachteilig aufs Image aus, denn mittlerweile sind die virtuellen Trampelpfade zu Napster, MP3.com und Co. dank massiver Medienunterstützung schon längst zu riesigen Superhighways geworden. Diese Kundenströme zurück zu den eigenen Verwertungsplattformen zu leiten, wird für die Industrie ebenso aufwendig wie teuer werden.

So wird die Musikindustrie, die früher eher mit Begriffen wie Jugendlichkeit und Unkonventionalität in Verbindung gebracht wurde, zunehmend als gestrig betrachtet. Die Financial Times Deutschland attestierte ihr noch vor kurzem eine »störrische Fortschrittsverweigerung«, wie andere Branchen der Old Economy war sie nicht mehr Antreiberin, sondern Getriebene und konnte auf die ständig neuen Vorgaben, die von der Dynamik des Netzes diktiert wurden, bisher nur spät und unzulänglich reagieren.

Die Klagen gegen Napster sollten es nun eigentlich richten. Selbst in der sich rasant entwickelnden Internet-Welt gibt es kaum ein Unternehmen, das so schnell gewachsen ist und derart große mediale Aufmerksamkeit erregte wie Napster. Das sah man bei Bertelsmann genauso und wechselte deshalb die Spur. Napster gefährdet die Musikindustrie nicht, sondern stellt einfach nur eine Ergänzung dar.

Die schon bald jedoch nicht mehr umsonst sein wird. Fünf Dollar werde ein Monatsabo künftig kosten, erklärte Hank Berry von Napster bereits, also deutlich weniger als der Download einer einzigen Musikdatei beim ziemlich erfolglosen Bertelsmann-Service musikdownload24.de.

Die BMG-Konkurrenz - Sony Music, EMI, Time Warner und Universal Music - ist von Bertelsmanns Coup nicht begeistert. Napster aus der Illegalität zu holen, sei zwar »eine gute Idee«, erklärte man. Besser aber wäre es gewesen, vorher Informationen über das Projekt erhalten zu haben. Zum Vorstoß von Thomas Middelhoff, die Klage gegen Napster fallen zu lassen und sich gemeinsam an dem Modell zu beteiligen, gab es keinen Kommentar, »zu theoretisch« seien die bisher vorliegenden Pläne. Wahrscheinlich wollen die verbliebenen Kläger erst einmal das in Kürze erwartete Gerichtsurteil abwarten, von dem sie sich auch grundsätzliche Aussagen über Urheberrechte im Internet versprechen.

Ähnlich skeptisch reagierte auch die Napster-Klientel auf die Übernahme. In den Foren wird das Thema ausgiebig diskutiert, wobei es weniger darum geht, dass Shawn Fenning (»Bevor er alt genug ist, in seiner Heimat offiziell Alkohol kaufen zu dürfen, wird er schon weg vom Fenster sein«) Geld mit seiner Erfindung verdient. Man sieht eher die Gefahr einer weiteren Kommerzialisierung des Internet. »Zurück in den Untergrund. Es gibt jede Menge kostenloser Musik da draußen«, erklären Napster-User wie »Mr. Orsm«.

Alternativen gibt es bereits. Mit einem großen Vorteil: Die neue Generation von Tausch-Programmen nach dem P2P-Prinzip wird sich nicht so schnell und einfach verbieten lassen wie Napster. Seit Anfang des Jahres existiert z.B. mit Gnutella ein Peer-to-peer-Network, das die Verbindungen ausschließlich unter den Teilnehmern herstellt. Die Liste der Musikstücke läuft nicht, wie bei Napster, über einen zentralen und damit angreifbaren Server, stattdesssen schicken sich die Teilnehmer ihren Bestand direkt gegenseitig zu. Eine Kontrolle des Programms ist nicht mehr möglich. Weder ein Gericht noch die Firma Nullsoft, die Gnutella entwickelt hat, könnte das Programm stoppen - jeden einzelnen Anwender zu verfolgen, scheint unmöglich.

Lediglich die bisher noch geringe Zahl von File-Anbietern macht das System angreifbar. Bleibt es dabei, könnten die Musikkonzerne immerhin gegen die wenigen Aktiven vorgehen, wodurch das Angebot unattraktiver würde. Seit der Napster-Übernahme hat sich diese Gefahr jedoch deutlich verringert.