EU-Ost-Erweiterung

Der große Preis

Die Polen kommen. Glaubt man dem jährlichen Fortschrittsbericht, den die EU-Kommission diese Woche vorlegt, steht das Land kurz vor der Aufnahme in die Union. Der zuständige EU-Kommissar Günter Verheugen selbst hatte Ende Oktober in Warschau die gute Nachricht angekündigt. Die wirtschaftliche Bilanz sei beeindruckend, erklärte er, und auch die Angleichung der Rechtsnormen an die EU-Standards komme gut voran. Obwohl die Umstellung der Landwirtschaft nach wie vor große Probleme bereite, bezeichnete Verheugen einen baldigen Beitritt Polens als »durchaus realistisch«. Die Verhandlungen über eine Integration könnten schon in zwei Jahren abgeschlossen sein, eine Aufnahme sei bereits 2003 möglich.

Verheugens Aussagen stießen vor allem bei den südwestlichen EU-Mitgliedsstaaten auf große Skepsis - sie halten seine Einschätzung für zu optimistisch. Insbesondere der Agrarmarkt stellt die Union vor große Schwierigkeiten. Schon jetzt umfassen die Ausgaben für Agrarsubventionen fast die Hälfte des gesamten EU-Haushaltes, eine Erweiterung würde auf Kosten der bisherigen Empfänger-Länder gehen. Kein Wunder also, dass dort die Bereitschaft, die schnelle Integration Polens zu unterstützen, sich in Grenzen hält. In Frankreich sind Umfragen zufolge nur 25 Prozent der Bevölkerung für eine baldige Aufnahme des Landes. Auch Spanien ist alles andere als begeistert.

Umgekehrt ist ein rascher Beitritt für die polnische Regierung überaus wichtig. Ein Fünftel der Bevölkerung lebt von der Landwirtschaft. Von den zwei Millionen Agrarbetrieben, die in Polen existieren, produzieren die meisten jedoch nur für den polnischen Eigenbedarf. Nach Schätzungen der Regierung in Warschau hat daher höchstens ein Drittel der Betriebe überhaupt eine Chance, nach dem EU-Beitritt des Landes wirtschaftlich zu überleben.

Je offensichtlicher die Konsequenzen des Beitrittes werden, desto mehr schwindet dessen Akzeptanz. Nach der anfänglichen Europa-Euphorie sinkt die öffentliche Zustimmung kontinuierlich. Nur noch knapp die Hälfte aller Polen unterstützt mittlerweile die Integration. Am Ende der Verhandlungen mit der EU steht aber eine Volksbefragung, die nach Meinung des Außenministers Wladyslaw Bartoszewski spätestens 2002 stattfinden soll. Für die polnische Regierung sind die Verhandlungen mit Brüssel daher ein Wettlauf mit der Zeit.

Wer hingegen vom Beitritt auf jeden Fall profitieren wird, ist jetzt schon klar. Denn Polen ist bereits faktisch in die Union integriert. Mit seinen 40 Millionen Konsumenten ist das Land nach den USA, Japan und der Schweiz viertgrößter Handelspartner der EU. Und innerhalb der Union liegt Deutschland mit einem Handelsanteil von rund 80 Prozent weit vor allen anderen Mitgliedsstaaten. Die Berliner Regierung hat also gute Gründe, den Beitritt politisch zu forcieren - schließlich wird Deutschland wie kein anderes Land davon profitieren.

Wann der Beitritt nun tatsächlich erfolgen soll, wird voraussichtlich Anfang Dezember auf dem EU-Gipfel in Nizza entschieden. Und dort wird der Streit über die Ost-Erweiterung vor allem zwischen Deutschland und Frankreich ausgetragen werden. Polen wird einen großen Preis für die politische Unterstützung seines Beitritts zu zahlen haben. Es wird sich endgültig in die politische Abhängigkeit von seinem ungeliebten Nachbarn begeben müssen.