Konflikte nach Wahlfälschung

Zahn um Zahn

Seitdem auf Sansibar wieder ein Mehrparteiensystem eingeführt wurde, reproduzieren sich alte Konflikte.
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Die Vermutung, dass Mitglieder der Wahlkommission gemeinsam mit der Polizei konspirativ die Verteilung von Wahlmateralien gestört haben könnten, ist schockierend.« Der Leitartikler der regierungsoffiziellen Daily News war wohl der einzige, der wirklich überrascht war. Als am vergangenen Sonntag in gut einem Drittel der Wahlbezirke auf den Inseln Sansibars die Wahlscheine mit Verspätung oder gar nicht eintrafen, bestätigten sich die Befürchtungen sowohl der Opposition als auch der internationalen Wahlbeobachter: Die regierende Partei der Revolution (CCM) hat wieder alle Mittel eingesetzt, um an der Macht zu bleiben. Die EU-Beobachter nannten den Wahlgang eine »Schande«.

Als die Wahlkommission ZEC am späten Sonntagabend ihr »Versagen« eingestehen musste, verlangte Mohamed Ali Yusuf von der oppositionellen Bürgerlichen Vereinigten Front (CUF), dass »eine Übergangsregierung aus allen Parteien eingesetzt wird, bis neue Wahlen abgehalten werden«. Er kündigte an, dass die von der ZEC angekündigten Nachwahlen am Sonntag von seiner Partei boykottiert würden.

Bei Unruhen am Tag nach der Wahl wurde eine unbekannte Zahl von Menschen verletzt, nachdem Polizeikräfte mit Tränengas und scharfer Munition auf Oppositionsanhänger geschossen hatten. Unbestätigte Berichte der CUF sprachen auch von einem Toten. Mindestens 79 Personen wurden verhaftet. Der sansibarische Historiker Abdul Sheriff berichtete: »Sansibar sieht aus wie ein besetztes Gebiet. Wo auch immer man ist, überall sind Polizeikontingente in voller Riot-Montur.«

Bereits 1995 hatte die CCM die Ergebnisse der ersten Mehrparteienwahlen seit der Unabhängigkeit nach Ansicht der Opposition und der internationalen Wahlbeobachter gefälscht. Die CUF boykottierte daraufhin zeitweise das Parlament, die internationalen Geldgeber sperrten Kredite und Hilfsgelder. Immer wieder kam es zu Auseinandersetzungen und Menschenrechtsverletzungen; ein vom Commonwealth letztes Jahr vermitteltes Friedensabkommen, dessen wichtigster Punkt die Freilassung von 18 inhaftierten CUF-Mitgliedern war, wurde von der CCM nicht eingehalten.

Der Konflikt hat seine Wurzeln in der Revolution von 1964, die einen Monat nach der Proklamation der Unabhängigkeit von der britischen Kolonialmacht stattfand. Damals setzte sich die Afro-Shirazi Partei (ASP) unter Abeid Karume gegen den regierenden Sultan und die ihm treue Sansibarische National-Partei (ZNP) durch. Die ASP reklamierte für sich, aus »indigenen« Afrikanern zu bestehen, während die Anhänger des Sultans als Nachkommen arabischer Immigranten betrachtet wurden. Die ZNP hatte ihre Basis auf der Insel Pemba, während die ASP vor allem auf der Hauptinsel Unguja stark war. Nach der Revolution gingen der Sultan und viele ZNP-Mitglieder ins Exil in den Mittleren Osten.

Karume proklamierte einen sozialistischen Staat und vereinigte Sansibar mit dem damaligen Tanganyika unter Julius Nyerere, handelte gleichzeitg jedoch einen weitgehenden Autonomiestatus aus. Er entwickelte zur Absicherung seiner Macht ein repressives System. Obwohl Pemba den Hauptanteil des Exporteinkommens der Inseln erwirtschaftete, gab es Investitionen in die Infrastruktur fast nur auf Unguja. Lange Zeit waren die Inseln von der Außenwelt abgeschottet. Die zur Einheitspartei erklärte ASP vereinigte sich 1977 mit Nyereres Tanu zur heutigen CCM.

1992 wurde das Mehrparteiensystem wieder eingeführt, und seitdem scheinen sich die Konflikte aus den früheren Jahren der Unabhängigkeit zu reproduzieren. Seif Shariff Hamad, der inoffizielle Parteichef der CUF und Präsidentschaftskandidat für Sansibar, stammt aus Pemba. Er war in den achtziger Jahren Mitglied der CCM, und während seiner Zeit als Chefminister Sansibars wurde die Wirtschaft der Inseln, noch vor der Festlandsökonomie, liberalisiert. Seitdem gilt er als Reformer.

Doch 1985 trat Sansibar, dessen Einwohner zu 99 Prozent muslimischen Glaubens sind, der Organisation Islamischer Staaten bei. Dies wurde später auf Druck der Festlands-CCM revidiert, in der seit der Unabhängigkeit Politiker christlicher Konfession dominieren. Hamad verlor anschließend die Wahlen zum Vorsitz der Partei und ging in die Opposition. Eine Anklage wegen Hochverrats Anfang der neunziger Jahre machte ihn populär. Für den jetzt eingetretenen Fall der Wahlfälschung hatte der Oppositionsführer vorab mit Gewalt gedroht. Das Motto der CUF lautet: »Jino kwa Jino« - Zahn um Zahn. Doch nach dem ersten Wahlgang appellierte Ayub Bakari, CUF-Direktor für die Wahlen, an die Geduld der Parteibasis: »Wir haben unseren Mitgliedern empfohlen ruhig zu bleiben, da wir die Entwicklungen beobachten.«

Seit der Liberalisierung wurden viele alte Verbindungen in den Mittleren Osten wieder belebt, vor allem nach Oman und in die Vereinigten Arabischen Emirate. Insbesondere die CUF soll über beste Beziehungen verfügen. Die CCM befürchtet daher, dass eine CUF-Regierung eine Orientierung Sansibars auf die Ölstaaten oder gar die Unabhängigkeitserklärung zur Folge haben könnte.

Noch im Sommer schien ein Kompromiss zwischen der Regierung und der Opposition möglich. Die Festlands-CCM setzte die Nominierung des gemäßigten Amani Karume als Präsidentschaftskandidat für Sansibar durch. Der Sohn des sansibarischen Gründungspräsidenten hatte erklärt, nach der Wahl eine Regierung der nationalen Einheit zu erneuern. Doch offenbar kam es darüber innerhalb der sansibarischen Regierung zum Streit. Der Flügel um den amtierenden Inselpräsidenten Salmin Amour, der jedes Nachgeben verweigert, hat sich nun offenbar durchgesetzt. Unionspräsident Benjamin Mkapa blieb nichts anderes übrig, als zu beschwichtigen: »Wir untersuchen, was zur Behinderung der Wahlen geführt hat. Die Unionsregierung ist sehr beunruhigt über die Ereignisse auf den Inseln.«

All dies spielt sich vor dem Hintergrund einer ökonomischen Rezession ab. Die Expansion des Tourismus, von dem nur wenige Sansibaris profitieren, kann die Einbußen beim Erlös aus der Gewürzproduktion nicht kompensieren. Nur wer an der Regierung ist, wird reich. Deshalb ist es undenkbar, die Macht - und damit das wirtschaftliche Überleben - aufzugeben.

Da hat es die CCM auf dem Festland einfacher. Die ersten Wahlen nach dem Tod des Staatsgründers und langjährigen Partei- und Staatschefs Julius Nyerere bestätigten vor einem Jahr die unangefochtene Herrschaft der früheren Einheitspartei. Präsident Mkapa trat nun zum zweiten und letzten Mal an. Dank einer zersplitterten Opposition und der ungleichen Verteilung der Wahlkampfbudgets - die CCM ist nach über 40 Jahren Alleinherrschaft mit dem Staatsapparat verwoben - konnte er nach ersten Auszählungen auf eine Wiederholung seines 61 Prozent-Sieges von 1995 hoffen.