Homo-Ehe und sexuelle Politik

Queering mit und ohne Ring

An den gesellschaftlichen Ausschlusspraktiken ändert die Homo-Ehe nichts. Die Autorinnen und Autoren von »Queering Demokratie« plädieren für die Repolitisierung des Diskurses.

Als am 10. November der Gesetzentwurf »zur Beendigung der Diskriminierung gleichgeschlechtlicher Gemeinschaften« den Bundestag passierte, ging ein jahrelanger Streit um die so genannte Homo-Ehe zu Ende. Bereits in der ersten Lesung im Juli dieses Jahres übten sich sämtliche Bundestagsfraktionen darin, eine liberale Geisteshaltung zum Ausdruck zu bringen. Selbst die CDU, die sich unter Berufung auf »christliche Werte«, die sie in der heterosexuellen Ehe verkörpert sieht, gegen die rechtliche Gleichstellung homosexueller Paare ausspricht, hatte bereits »Verlässlichkeit«, »Verantwortung« und »Vertrauen« in homosexuellen Partnerschaften entdeckt. Von Unterschriftenaktionen, wie sie von der CDU/CSU im Mobbing-Verfahren gegen die doppelte StaatsbürgerInnenschaft angewendet wurde, ist bislang abgesehen worden.

Ohnehin sind nur noch Teile des Gesetzentwurfs im CDU-dominierten Bundesrat zustimmungspflichtig. Umstritten sind Regelungen, die das Ausländerrecht berühren, sowie die genaue rechtliche Ausformulierung über die Anrechnung des Einkommens der PartnerIn bei der Sozialhilfe und beim Wohngeld. Es ist also abzusehen, dass Schwule und Lesben im nächsten Jahr vor ein noch zu schaffendes familienrechtliches Institut treten können und durch ihr Ja-Wort eine Absicherung im Wohn-, Arbeits-, Steuer-, Erbschafts-, Familien- und möglicherweise im Ausländerrecht erlangen.

Das ist selbstverständlich gut und schön. Revolutionär ist es allerdings nicht. Und angesichts der Tatsache, dass in der Öffentlichkeit wenig mehr als diese rechtliche Gleichstellung von homosexuellen Paaren diskutiert wurde, bleiben viele Fragen hinsichtlich sexueller Politiken offen. Schließlich umfasst dieser Bereich weit mehr als nur die PartnerInnenschaft. Deshalb sollte man es auch mit Argwohn betrachten, wenn die Durchsetzung der Homo-Ehe mit dem Ende der Diskriminierung von Schwulen und Lesben gleichgesetzt wird.

In diesem Sinne argumentieren auch die Autoren und Autorinnen des Bandes »Queering Demokratie« für eine Repolitisierung der Debatte. Ausgangspunkt des im Berliner Querverlag erschienenen Sammelbands ist eine Tagung, die 1998 in Berlin stattfand. Was die unterschiedlichen Beiträge eint, ist eine Fokussierung auf gesellschaftliche Machtmechanismen im Bereich von Sexualität und Gender, in denen juristische Anerkennungsverfahren nur als ein Teilbereich von Politiken verstanden werden. So gelingt es, ein ungleich komplexeres Bild gesellschaftlicher Ausgrenzung und Repression zu entwerfen, als dies die Diskussion um die Homo-Ehe vermocht hatte.

Während der Gesetzentwurf sich einer Single-Issue-Politik verschreibt und suggeriert, dass mit einer rechtlichen Anerkennung homosexueller Paare jegliche Form der Diskriminierung beseitigt ist, wird durch die Berücksichtigung von ökonomischen, rassistischen, sexistischen, homo- und transphoben Ausschlussverfahren diese vergleichsweise naive Sichtweise zurechtgerückt. Mit anderen Worten: Beim Erstreiten der Homo-Ehe wurde es verpasst, auf ungleiche Bedingungen und Lebenssituationen - auch in den eigenen Reihen - hinzuweisen.

Dass Frauen beispielsweise ungleich ärmer sind als Männer, weil sie sich häufiger in unsicheren Arbeitsverhältnissen befinden und ohnehin weniger als zehn Prozent der hoch und höher dotierten Arbeitsplätze einnehmen, betrifft Lesben schließlich ebenso wie heterosexuelle Frauen.

Alleinerziehende können selbstverständlich auch homosexuell sein, und diese gesellschaftliche Gruppierung ist in hohem Maße von Armut bedroht. Lesbische und schwule MigrantInnen, die in ihrem Herkunftsland verfolgt wurden, werden hierzulande nur dann als Flüchtlinge anerkannt, wenn die Verfolgung staatlicherseits organisiert ist und wenn sie zudem nachweisen können, dass eine heterosexuelle Ausrichtung für sie ausgeschlossen ist. Besonders in ländlichen Regionen sind Homosexuelle von sozialer Ausgrenzung bedroht. Und immer noch sind Trans- und Intersexuelle der Medizin ausgeliefert, sofern sie überhaupt eine eindeutige Geschlechtsidentität anstreben. Diese Mechanismen gesellschaftspolitischer Diskriminierungen wurden in der Debatte um die Homo-Ehe ausgeblendet.

Das nun verabschiedete Gesetz erlaubt nur eine Form diskursiver und rechtlicher Repräsentanz, die sich an einem ohnehin fragwürdigen heterosexuellen Ehe- und Familienmodell orientiert und zu deren Legitimation bisweilen biologistische Argumente bemüht wurden. So erklärte die Bundesjustizministerin Hertha Däubler-Gmelin, gleichgeschlechtliche Sexualität sei eine biologische Veranlagung, die zu respektieren sei. Eine Bündnispolitik, die sich gesellschaftlicher Ungleichheit zuwendet, ist im Diskurs um die Homo-Ehe gar nicht erst entworfen worden.

Das Gesetz über die eingetragene Lebenspartnerschaft kommt zu einem Zeitpunkt, wo Werbung und Medien Lesben und Schwule, die gay dinkies (double income, no kids) und sinkies (single income, no kids) schon längst zum Idealkonsumenten erklärt haben. Auch die New Economy hat sie als Protagonisten eines deregulierten Marktes entdeckt. Die sexuelle Identität werde vermarktet und so zu einem Life-Style-Fetisch gemacht, kritisiert David T. Evans in ihrem Aufsatz. Wird die sexuelle Orientierung durch derartige Anrufungen warenförmig und wird sie zugleich zu einem Ort der Befreiung erklärt, fallen ökonomisch marginalisierte Gesellschaftsgruppen aus der vermeintlich homogenen Gruppe der Homosexuellen heraus.

Mit diesem Prozess der schleichenden Entsolidarisierung beschäftigt sich auch der Aufsatz von Sabine Hark, sie spricht von einer Doppelbewegung der staatlichen Rechtspolitik, die einerseits einkommensstarke und konsumfreudige Lesben und Schwule inkorporiert, andererseits aber diejenigen umso entschiedener ausschließt, die in einem ökonomischen Modell von BürgerInnenschaft überflüssig sind. Beispiele für konkrete Ausschlusspraktiken schildern die Beiträge von Lisa Duggan, Corinna Genschel, María del Mar Castro Varela und Encarnacíon Gutiérrez Rodriguez, so die Verächtlichmachung und Verfolgung von Klappensex in New York (Duggan), der rechtlich unsichere Status von transgeschlechtlichen Menschen (Genschel) und die Zuschreibungspraxen, die lesbische Migrantinnen erfahren (Varela/Gutiérrez Rodriguez). Antke Engel, Shane Phelan und Arlene Stein versuchen wiederum, Erzählweisen und Rhetoriken zu erfinden, die weder auf eine Familienrhetorik noch auf einer Essenzialisierung sexueller Identitäten rekurrieren.

Eine progressive »queere« Politik, so der Tenor der Beiträge, sollte vielmehr auf eine gesamtgesellschaftliche Anti-Repression setzen. Geben sich Schwule und Lesben nun mit dem Gesetz über die Homo-Ehe zufrieden, werden sie von einer rechtlichen Politik paralysiert, die Gleichstellung suggeriert, obwohl sie zugleich Ausschlüsse produziert - seien diese rechtlich, sozial oder kulturell.

Nico J. Berger, Sabine Hark, Antke Engel (Hg.): Queering Demokratie. Sexuelle Politiken. Querverlag, Berlin 2000, 219 S., DM29,80