Castor-Transporte aus La Hague

Schröder rettet Gorleben

Die Regierung in Paris will endlich den Atommüll aus La Hague loswerden. Doch der Weg ins Wendland führt über eine Brücke, die es noch gar nicht gibt.

Gerhard Schröder hatte wirklich alles versucht. Vor dem deutsch-französischen Gipfeltreffen Mitte November wurde eine hochrangige Regierungsdelegation aus Paris sogar ins Wendland eingeladen, um vor Ort die erheblichen Probleme zu demonstrieren, die die Bundesregierung damit hat, Atommülltransporte nach Gorleben durchzuführen. Doch das Besuchsprogramm in Lüchow-Dannenberg wirkte nicht so vertrauenerweckend wie beabsichtigt.

Zuerst wurde den französischen Gästen die Baustelle an der Eisenbahnbrücke über das Flüsschen Jeetzel gezeigt. Alles, was man dort sehen kann, ist eine Schiene, die vor dem Fluss endet und dahinter weitergeht. Dazwischen ist eine große Lücke, in der ein einsamer Brückenpfeiler steht. Darüber sollen einmal Castor-Behälter mit hochradioaktivem Müll aus der Wiederaufarbeitungsanlage (WAA) La Hague rollen. Als nächstes durfte sich die Delegation Videofilme über den Widerstand beim letzten Tag X im Wendland anschauen. Das war im Frühjahr 1997. Die Bundesregierung wollte mit diesem audio-visuellen Material Verständnis für die schwierige Situation der deutschen Behörden wecken.

Doch als die französischen Beamten nach Hause fuhren, hatte sich ihr Eindruck verstärkt, dass jedes Versprechen des deutschen Kanzlers, termingerecht den Strahlenmüll aus La Hague zurückzunehmen, genauso lückenhaft ist wie die Bahnstrecke über die Jeetzel.

Dabei wartet man in Paris schon seit zweieinhalb Jahren auf den Abtransport von sechs Castor-Behältern, die beladen mit in Glas eingeschmolzenem hochradioaktivem Atommüll auf dem Gelände der französischen Wiederaufarbeitungsanlage La Hague stehen. Der Druck auf die Pariser Regierung wächst, da es nach französischem Gesetz untersagt ist, ausländischen Atommüll länger als nötig zu lagern. Eine örtliche Bürgerinitiative hat Klage erhoben, und ein eifriger Ermittlungsrichter macht Betreibern und Regierung Druck.

Doch immer wieder gab es von deutscher Seite neue Gründe, warum der Zug nicht rollen konnte. Zuerst war es der Skandal um die Außenkontamination der Behälter, dann die Expo in Hannover und schließlich die baufällige Brücke im Wendland. Dabei hat man in der französischen Regierung nie verstanden, warum es keinen anderen Weg nach Gorleben geben soll als über diese eine Bahnlinie von Lüneburg nach Dannenberg. Die für die Abwicklung zuständige Bahntochter Nuclear Cargo Service (NCS) hatte sogar eine Alternativroute über das sachsen-anhaltinische Arendsee beantragt. Die wurde aber vom Bundesamt für Strahlenschutz abgelehnt. Denn die Polizei sieht sich nicht in der Lage, 33 Kilometer Straßenstrecke zwischen Arendsee und Gorleben zu sichern. Zuviel Wald und Dickicht liegen rechts und links der Fahrbahn.

Entsprechend klar fiel dann auch die Ablehnung von Lionel Jospin beim deutsch-französischen Gipfeltreffen in Vittel aus. Bevor der in La Hague aufbereitete deutsche Atommüll nicht nach Gorleben zurücktransportiert worden ist, will Frankreich keine neuen Lieferungen aus deutschen AKW annehmen. Jetzt steht es schlecht um die Reaktoren in Philippsburg, Stade und Biblis. Denn dort ist kein Lagerplatz für die hochradioaktiven abgebrannten Brennelemente mehr vorhanden. Ein bereits beladener Behälter steht auf dem Kraftwerksgelände in Philippsburg herum und kann nicht auf die Reise gehen. Bleibt es bei der Weigerung aus Paris, dann müssen die Atommeiler im Frühling abgeschaltet werden.

So ist die Brücke über die Jeetzel einerseits zu einem europäischen Politikum ersten Ranges geworden, andererseits zu einem Nadelöhr für die Atommüllpolitik der Bundesregierung und damit zu einem zentralen Ort der Auseinandersetzung um die Atomenergie.

Gerhard Schröder hat dies erkannt und den Brückenbau zur Chefsache gemacht. Immer wieder mischt sich das Kanzleramt bei den örtlichen Bau- und Naturschutzbehörden ein, wenn die darauf drängen, dass bei den eiligen Bauarbeiten geltendes Recht eingehalten wird. Aber auch die Atomwirtschaft hat die Bedeutung der Brücke erkannt und stellt sieben Millionen Mark für ihren Neubau zur Verfügung, obwohl die Anlage der Deutschen Bahn AG gehört. Der niedersächsische Innenminister will da nicht hintenan stehen und lässt die Baustelle samt Umgebung Tag und Nacht überwachen. Personen, die in der Nähe spazierengehen, werden kontrolliert. Platzverweise werden ausgesprochen, und die Sonntagsspaziergänge der örtlichen Initiative von einer Übermacht an BeamtInnen begleitet.

Doch auch die AktivistInnen aus dem Wendland und aus der bundesweiten Anti- Atom-Bewegung haben die Relevanz der Brücke erkannt und mobilisieren für den 3. Dezember zu einem Aktionstag rund um die Baustelle. Motto: »A wie Alarm, B wie Brücke, C wie Cas-tor«. Treffpunkt und Kundgebung: 14 Uhr in Pisselberg, zwischen Dannenberg und Hitzacker.

Mit dem ABC-Aktionstag ist die Zeit der trügerischen Ruhe im Streit um die deutschen AKW erst einmal vorbei. Schon als Mitte Oktober der erste Transport von Philippsburg nach La Hague rollen sollte, waren an die 2 000 Menschen bei Aktionen vor Ort dabei. Durch die französische Annahmeverweigerung fiel der Tag X zwar vorläufig aus. Doch die Bewegung ist aufgewacht. Nach zweieinhalb Jahren Transportstopp drängen Industrie und Regierungen auf eine Wiederaufnahme der Castor-Fuhren. Unklar ist lediglich, welche Route als erste genommen wird. Kommt es zu einer Einigung mit Frankreich, dann wird der erste Castor aus Philippsburg, Biblis oder Stade nach La Hague rollen. Bleibt Paris hart, wird die erste Fuhre von der WAA La Hague nach Gorleben gehen. Außerdem ist ein Transport mit sechs Behältern aus dem AKW Neckarwestheim zum Zwischenlager Ahaus in Vorbereitung, der im kommenden Frühjahr rollen soll.

Die konkreteste Terminplanung gibt es derzeit für Gorleben. Vor 14 Tagen erteilte das Bundesamt für Strahlenschutz eine Transportgenehmigung. Anders als sonst gilt sie nicht für mehrere Monate, sondern nur für den kurzen Zeitraum vom 26. März bis zum 8. April nächsten Jahres. Die Rahmenbedingungen zwangen zu dieser engen Terminplanung. Am 25. März sind in den möglichen Transitländern Baden-Württemberg und Rheinland-Pfalz Landtagswahlen, und einen Castor-Konflikt will sich die Regierung im Wahlkampf nicht leisten. Da aber Frankreich mächtig Druck macht, und auch der dringend nötige Abtransport aus deutschen AKWs an diesem Termin hängt, soll es nach dem Wahlsonntag ganz schnell gehen. Zum Leidwesen der Polizei, denn in der letzten Märzwoche findet in Hannover die weltgrößte Computermesse Cebit statt, die alleine schon zur Verkehrslenkung ein Großaufgebot erfordert. Und in der ersten Aprilwoche sind in Niedersachsen Osterferien. Da ist ein Teil der BeamtInnen in Urlaub, und alle SchülerInnen des Landes haben Zeit für einen Kurztrip ins schöne Wendland.

Die AtomkraftgegnerInnen haben mit der zeitlich recht konkreten Transportgenehmigung gute Ausgangsbedingungen. Sie haben vier Monate Zeit, zu mobilisieren, Aktionspläne zu entwickeln und politischen Druck aufzubauen. Der Aktionstag rund um die Jeetzel-Brücke wird zum Test für die kommenden Tage X und zur praktischen Möglichkeit, der rot-grünen Bundesregierung ein Feedback auf ihre Atompolitik zu geben.