Neuwahlen in Israel

Barak flieht nach vorn

In Israel sind Neuwahlen projektiert. Das politische Überleben des Premiers hängt mehr denn je von einem Friedensabkommen mit Arafat ab.

Wenn Sie Wahlen wollen - ich bin bereit für Wahlen.« Kaum hatte sich am Dienstagabend vergangener Woche eine klare Mehrheit in der Knesset für den Antrag der rechten Opposition auf vorgezogene Neuwahlen abgezeichnet, trat Israels Premierminister Ehud Barak die Flucht nach vorn an. Mit seiner demonstrativen Erklärung, die selbst einige seiner Parteifreunde überraschte, eröffnete der erst vor 18 Monaten ins Amt gewählte Ex-Generalstabschef den Wahlkampf. Zwar muss das Gesetz über vorgezogene Neuwahlen noch durch die zweite und dritte Lesung, doch das scheint inzwischen bloße Formsache und eine Frage von wenigen Tagen zu sein.

Viele Optionen blieben dem 58jährigen Barak auch nicht mehr. Bereits Ende Juni hatte er seine Mehrheit in der Knesset, dem israelischen Parlament, verloren, nachdem mehrere kleinere Parteien Baraks Regierungskoalition verlassen hatten. Zudem scheiterten in der vergangenen Woche endgültig die Verhandlungen über die Bildung einer großen Koalition aus Baraks Parteienbündnis »Ein Israel« und dem rechtskonservativen Likud-Block.

Erschwerend kommt für Barak hinzu, dass er kaum eines seiner großen politischen Vorhaben, mit denen er 1999 angetreten war, umsetzen konnte. Nicht zuletzt das Versprechen, umfassende und endgültige Friedensabkommen sowohl mit Syrien und dem Libanon als auch mit den Palästinensern anzustreben, hatte Barak damals zu seinem erdrutschartigen Sieg über den vormaligen Premier Benyamin Netanyahu verholfen. Doch dann scheiterten die Verhandlungen mit Syrien, bei denen es sich im Wesentlichen um die Zukunft der 1967 von Israel besetzten Golan-Höhen dreht. Und seitdem im Juli die israelisch-palästinensischen Verhandlungen im US-amerikanischen Camp David fehlschlugen und zwei Monate später der Konflikt schließlich in gewalttätigen Auseinandersetzungen eskalierte, liegt auch ein dauerhafter Frieden mit den Palästinensern in weiter Ferne. Lediglich mit dem ohne vorherige Verhandlungen durchgeführten Abzug der israelischen Truppen aus dem Südlibanon im Mai konnte Barak einige Pluspunkte sammeln.

Wieder einmal zeigen sich die Konsequenzen der für Israel typischen Verschränkung von Innen- und Außenpolitik. Bereits der von Barak in der letzten Woche vorgelegte neue Plan, womöglich doch ein neues Interimsabkommen mit Arafat anzustreben, anstatt auf eine umfassende Vereinbarung zu setzen, war eher innen- als außenpolitisch motiviert. Schließlich war auch Israels Premier klar, dass die palästinensische Führung sich unter keinen Umständen darauf einlassen würde, jetzt nur Sicherheits- und Grenzfragen zu klären und die heikelsten Punkte - den künftigen Status Jerusalems und die Rückkehr der Flüchtlinge - erneut auf spätere Verhandlungen zu verschieben.

Vielmehr zielte Baraks Vorschlag darauf, durch eine begrenzte Annäherung Oppositionschef Ariel Sharon doch noch zum Regierungseintritt zu bewegen. Dabei wäre diese Variante für Barak nicht einmal besonders aussichtsreich gewesen: Ein mit Vetorecht ausgestatteter Vizepremier Sharon hätte die Aussicht auf eine Verhandlungslösung mit den Palästinensern kaum verbessert, und das politische Überleben Baraks wäre weiterhin äußerst fragwürdig geblieben.

Doch auch Sharon begrüßte die Entscheidung für Neuwahlen nicht gerade überschwänglich, sitzt ihm doch mit dem ehemaligen Premier Netanyahu ein gefährlicher innerparteilicher Konkurrent im Nacken. So wäre wohl Sharon der Chance, sich in einer großen Koalition als Außen- oder Finanzminister zu profilieren, nicht abgeneigt gewesen.

Doch angesichts der halbherzigen Angebote Baraks konnte er sich beim Zentralkomitee des Likud, das von Netanyahus Anhängern dominiert wird, nicht durchsetzen. Nun sind Likud-interne Vorwahlen zu erwarten, bei denen allgemein mit einer Niederlage Sharons gerechnet wird. Schließlich führt Netanyahu in allen Umfragen klar vor Barak, während Sharon in einigen Erhebungen knapp vor, in anderen knapp hinter dem amtierenden Premier rangiert.

Baraks einzige echte Chance hingegen besteht nunmehr in einem möglichst späten Wahltermin, der ihm die Zeit lässt, doch noch ein Friedensabkommen mit Arafat zu erreichen. Traditionell wird in Israel der Wahltermin im Konsens zwischen den beiden größten Partein festgelegt. Doch in der jetzigen Situation könnten die Interessen nicht unterschiedlicher sein. Während aus Likud-Kreisen verlautete, dass man sich einen Termin schon im März vorstellen könnte, wurde bei »Ein Israel« zumeist der Mai als Wahlmonat genannt. Doch selbst eine Wahl erst im November wäre nicht ausgeschlossen.

Vor den Wahlen müsste allerdings auch Barak erst noch seine innerparteilichen Widersacher niederringen, also etwa seinen Außenminister Shlomo Ben-Ami und den Knessetpräsidenten Avraham Burg, möglicherweise wie im Likud durch Vorwahlen. Doch während bei den Rechtskonservativen der Kampf um die Kandidatur gerade erst begonnen hat, konnte Barak an dieser Front bereits vergangene Woche einen ersten Sieg erringen: Das Zentralkomitee der Arbeitspartei beschloss, ihn zu unterstützen. Obwohl einige ZK-Mitglieder zu kurze Einladungsfristen kritisierten und der Beschluss die Möglichkeit offen lässt, dass sich noch weitere Kandidaten bewerben, dürfte es für diese schwierig sein, gegenüber Barak an Boden zu gewinnen.

Der lachende Dritte könnte Palästinenserchef Yassir Arafat sein. Der Erfolg beider politischer Richtungen in Israel ist nicht unwesentlich vom Verhältnis ihres Landes zu den Palästinensern abhängig. Daher ist die von Beobachtern geäußerte Einschätzung, der Ausgang der israelischen Wahlen könne vom Verhalten Arafats beeinflusst werden, nicht ganz von der Hand zu weisen.

Die Frage ist, ob Arafat Wert auf eine Mitte-Links-Regierung in Jerusalem legt. Einige Anzeichen deuten darauf hin. So ist in den letzten Tagen keine weitere Eskalation zu beobachten. Zudem könnte Arafats Verhandlungsbereitschaft nach seinen Erfolgen bei der Internationalisierung des Konflikts und seinem begrenzten innenpolitischen Wiedererstarken gewachsen sein.

Schließlich hat sich damit auch die Ausgangsposition der palästinensischen Seite verbessert. So ist es nicht unwahrscheinlich, dass tatsächlich, wie von einigen Medien kolportiert, schon wieder umfassende Geheimverhandlungen zwischen Israelis und Palästinensern stattfinden. Sollten sie Erfolg haben, könnte Barak die israelischen Wahlen mit einer Volksabstimmung über das ausgehandelte Friedensabkommen verbinden. In diesem Fall hätte er gute Chancen, selbst gegen Netanyahu zu gewinnen. Doch davor stehen etliche Wenns und Abers.