Erinnerungen an Algerien

Foltern, aber richtig

Frankreich beschäftigt sich seit einigen Wochen intensiv mit seiner kolonialen Vergangenheit im Algerienkrieg.

Die Affäre begann im Juli dieses Jahres in einem kleinen elsässischen Städtchen. Das Kommunalparlament von Trimbach hatte im Frühsommer beschlossen, eine Straße nach dem General Charles Bigeard zu benennen, einem »Helden« des Algerienkriegs. Aus diesem Anlass meldete sich die frühere algerische Unabhängigkeitskämpferin Louisette Ighilahriz. Sie beschuldigte Bigeard, sie Ende der fünfziger Jahre drei Monate lang gefoltert zu haben. Nur dank der Hilfe eines französischen Militärarztes, der über die Folter entsetzt war, sei sie vorm Tod gerettet worden. Der Kampf Frankreichs gegen die Unabhängigkeitsbewegung FLN dauerte von 1954 bis 1962 und forderte etwa eine Million Opfer auf algerischer und etwa 30 000 auf französischer Seite.

Der pensionierte General bestätigte kurz darauf den gegen ihn erhobenen Verdacht. In einem Interview mit der Regionalzeitung Dernières Nouvelles d'Alsace bezeichnete er zwar die Vorwürfe als »Erfindung von A bis Z«. Doch auf weitere Nachfragen, ob er nicht doch zu jener Zeit in Algerien zumindest mit der Folter »in Berührung gekommen« sei, legte der Militär im Ruhestand los: »Gegenüber diesen Killern war das ein notwendiges Übel. Wenn wir einen Plakatekleber schnappten, dann gab er uns den Namen seines Chefs heraus. Doch wenn man ein bisschen höher in der Organisation kam, dann gab der Mann keinen Namen mehr heraus. In dem Falle gab es das übliche Gerät. Sie wissen schon: die Maschine, die die Nachricht an den Mann bringt. Das wurde von einem Nachrichtenoffizier zusammen mit einem Arzt durchgeführt.«

Dieses Bekenntnis löste einen öffentlichen Skandal aus, in dessen Folge sich erstmals ein prominenter Kollege Bigeards, General Jacques Massu, äußerte. Vieles, was sich in Algerien zugetragen habe, sei mit Sicherheit zu kritisieren, erklärte er. Die Veranwortung für die Übergriffe trügen jedoch die damals politisch Verantwortlichen. Er könne nur sein nachträgliches Bedauern ausdrücken.

Die KP-nahe Tageszeitung L'Humanité griff im September das Thema wieder auf, und publizierte zunächst ein Gespräch mit Louisette Ighilahriz sowie in voller Länge die bekannte Schrift La question von Henry Alleg. Der kommunistische Aktivist und spätere Parlamentsabgeordnete hatte darin bereits 1957 die systematische Anwendung der Folter in Algerien scharf kritisiert.

Nach diesen Veröffentlichungen meldeten sich plötzlich zahlreiche Überlebende und Zeitzeugen. L'Humanité begann, eine Informationskampagne zu starten und widmet seit Ende September jeden Tag eine Doppelseite ihrer Ausgabe diesem Thema. Ehemalige Wehrpflichtige und Militärs, die Zeugen der Ereignisse geworden waren, erzählten ihre Erlebnisse, von denen sie teilweise jahrzehntelang geschwiegen hatten. Neben der kommunistischen Tageszeitung veröffentlicht seit einigen Wochen auch Le Monde eine Doppelseite mit Zeugenaussagen.

Ende Oktober publizierte L'Humanité den Aufruf von zwölf prominenten Persönlichkeiten, unter ihnen der Historiker Pierre Vidal-Naquet, der bereits während des Algerienkriegs zu den Kritikern des französischen Kolonialismus zählte, sowie die bekannte linke Anwältin Gisèle Halimi. Die Unterzeichner fordern eine offizielle Verurteilung der Misshandlungen, die sich während des Krieges ereignet haben, durch die Französische Republik.

Seit Ende November beschleunigen sich die Ereignisse. In Le Monde erklärte sich der Ex-General Jacques Massu, Befehlshaber der »Schlacht von Algier« von 1957, mit einer offiziellen Verurteilung der französischen Übergriffe einverstanden. Er berichtete zugleich über seine Beteiligung an der Hinrichtung von 24 Personen in einem algerischen Dorf. In derselben Woche verlangte die KP-Fraktion im französischen Parlament die Einrichtung eines offiziellen Untersuchungsausschusses, der die historische Wahrheit ermitteln solle.

Mittlerweile hat sich auch Premierminister Lionel Jospin in die Debatte eingeschaltet. Auf dem Kongress der Sozialistischen Partei am vorigen Wochenende in Grenoble erklärte er, die Folter sei zwar unmissverständlich zu verurteilen. Es werde aber keine offizielle Entschuldigung des französischen Staats geben, denn »die Folter ist kein Problem, dessen sich Frankreich pauschal anklagen und für schuldig erklären könnte«. Selbstverständlich hat Jospin dabei die kommenden Wahlen im Jahr 2002 fest im Blick und will es sich deswegen auf keinen Fall mit einem großen Teil der Wählerschaft verderben.

Die konservative Opposition schwankt zwischen einem Kurs, der der Haltung Jospins nahe kommt, und aggressiven Attacken auf die Kommunisten. Von denen habe man »keine Lektionen zu empfangen«, nachdem sie »lange Zeit Komplizen eines Konzentrationslager-Systems waren«, sagte der national-populistische ehemalige Innenminister Charles Pasqua. Gleichzeitig publizierte der konservative Figaro Interviews mit ehemaligen Armee-Angehörigen, die die Ereignisse in einem anderen Licht darzustellen versuchen.

Aus dem Interview mit dem ehemaligen Militärgeistlichen Maurice Cordier erfährt man beispielsweise, dass die generelle Verurteilung der Folter »leider nicht realistisch« sei. Wenn sie zur Bekämpfung von Terroristen eingesetzt werde, wie das in Algerien der Fall gewesen sei, »ist sie ein Übel, das der Vermeidung eines schlimmeren Übels dient. Aber nicht jede Folter ist zulässig. Dies ist meine Meinung als Priester, der die Absolution zu erteilen oder zu verweigern hat.« Immerhin ist es beruhigend zu wissen, dass demnach nicht jede Folter legitim ist, sondern nur diejenige, die Staatsräson und historische Umstände verlangen.