Angriffe der UCPMB in Südserbien

Kosovo kennt keine Grenzen

Frustrierte UCK-Kader versuchen, ihren Kampf um die Unabhängigkeit des Nato-Protektorats nach Serbien auszuweiten. Doch das Projekt dürfte an den gemeinsamen Interessen von Belgrad und Brüssel scheitern.

George Robertson hatte alle Mühe, die neugierigen Frager abzuwimmeln. Nein, die Kfor plane nicht, gemeinsam mit jugoslawischen Soldaten auf Patrouille zu gehen, entrüstete sich der Nato-Generalsekretär vorige Woche in Brüssel. Mit den »extremistischen Aktivitäten der Albaner«, so Robertson, werde das nordatlantische Bündnis schon alleine fertig. 200 zusätzliche Soldaten habe man bereits in den Süden Serbiens entsandt, um die Lage im umkämpften Presovo-Tal - dem Aufmarschgebiet der Befreiungsarmee UCPMB - zu befrieden. Berichten, wonach die Pufferzone im serbischen Grenzgebiet zum Kosovo nur durch eine konzertierte Aktion jugoslawischer und Nato-Militärs kontrolliert werden könne, widersprach Robertson.

Gemeinsame Patrouillen von Nato-Kämpfern und Soldaten der Jugoslawischen Volksarmee? Die Schergen des Bombenkrieges aus dem letzten Jahr Seit an Seit mit Offizieren der einst als Mördertruppen Slobodan Milosevics geschmähten Belgrader Einheiten? Vergangene Woche schien das Undenkbare möglich, und auch Robertsons Dementi konnte nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Lage im Kosovo und um das Kosovo herum seit dem Amtsantritt von Vojislav Kostunica dramatisch verändert hat.

Die fünf Kilometer breite Pufferzone entlang der Grenzen des Kosovo, die die Nato Jugoslawien nach dem Luftkrieg aufzwang, wird von Kfor-Einheiten kontrolliert, serbische Polizisten dürfen hier nur leicht bewaffnet und in begrenzter Zahl auftreten. Ideale Bedingungen also für den Aufbau einer schlagkräftigen Miliz.

Doch im Gegensatz zu Milosevic will Präsident Kostunica am Status quo nicht rütteln. Noch zu fragil sind die gerade wieder aufgenommenen Beziehungen zu den westlichen Staaten, als dass die Reintegration Jugoslawiens in OSZE und Uno durch einen massiven Polizeieinsatz aufs Spiel gesetzt werden könnte. In einem Brief an Robertson forderte Kostunica deshalb lediglich, dem im Juni 1999 zwischen Belgrad und Brüssel geschlossenen Militärabkommen »konkrete Taten, nicht nur unterstützende Worte« folgen zu lassen. Niemand in Belgrad habe die Absicht, die damals getroffenen Vereinbarungen in Frage zu stellen.

Auch seine Drohung, mit einer Offensive auf die Ermordung von vier serbischen Polizisten durch die selbst ernannten Unabhängigkeitskämpfer zu reagieren, zog Kostunica zurück. Das Ultimatum des serbischen Innenministeriums an die Nato, die Angriffe der albanischsprachigen Separatisten binnen drei Tagen zu stoppen, verstrich Anfang letzter Woche ebenfalls ohne Folgen. Gestellt wurde es vor allem aus innenpolitischen Erwägungen: Drei Wochen vor den Parlamentswahlen in Serbien ist die Kostunica-Administration um eine harte Haltung bemüht, profilieren sich im Wahlkampf doch vor allem die Sozialisten Milosevics als die wahren Widersacher des Westens.

Guten Grund hätte der jugoslawische Präsident allemal, auf die Rückkehr jugoslawischer Militärs und Einheiten der serbischen Sonderpolizei in das Presevo-Tal zu pochen. Kader der UCK und der Befreiungsarmee Presevo, Medvedja und Bujanovic (UCPMB) nutzen die Region, in der rund 70 000 Menschen leben, seit über einem Jahr als Trainings- und Aufmarschgebiet. Erst Ende November stoppte die Kfor einen mit Granaten, Maschinengewehren und Patronen beladenen Laster auf dem Weg in das Tal; zehn Männer in schwarzen Uniformen, die aus dem im Ostkosovo gelegenen US-Sektor gekommen waren, wurden verhaftet.

Offizielle Stellen in Jugoslawien gehen von 1 500 Kämpfern aus, die sich den Anschluss der drei serbischen Distrikte Presevo, Medvedja und Bujanovac an das Kosovo auf die Fahnen geschrieben haben, die Kfor vermutet 100. Reporter von Washington Post und Guardian sprachen vorige Woche mit Kämpfern in Uniformen der vor einem Jahr offiziell aufgelösten UCK, die schon 1999 am Krieg gegen Jugoslawien teilgenommen hatten. In der Kfor-Pufferzone finden sie ein politisch-militärisches Vakuum vor, das perfekt dazu geeignet ist, eine Guerilla-Organisation aufzubauen.

Und in der Tat werden die einstigen Befreiungshelden mangels Beschäftigung zunehmend nervös. Schon die unvollständige Entwaffnung nach dem Einzug der Nato-Truppen empfanden die Mannen um die Oberkommandieren Hashim Thaqi und Agim Ceku als Degradierung. Durch die Übernahme von rund 5 000 UCK-Kämpfern in das Kosovo-Polizeikorps TMK konnten die Ansprüche der 10 000 bis 15 000 Mann starken Sezessionsarmee nicht befriedigt werden. Viele fragten sich, wofür sie eigentlich in den Krieg gezogen seien, wenn die Protektoratsmächte Uno und Nato die Unabhängkeit der Provinz immer noch nicht auf die Tagesordnung setzten.

Mit der Niederlage von Thaqis Demokratischer Partei des Kosovo (PDK) bei den Kommunalwahlen im November zeigte sich zudem, dass die Mehrheit im Kosovo wenig Vertrauen auf die politischen Geschicke ihrer einstigen militärischen Führung setzt. Wenn es nächstes Jahr zu provinzweiten Wahlen kommt, dürfte es deshalb wohl Ibrahim Rugova beschieden sein, an die Spitze einer möglichen Kosovo-Regierung zu rücken. Seine Demokratische Liga des Kosovo (LDK) hatte bei den Kommunalwahlen im letzten Monat sämtliche von früheren UCK-Offizieren geführten Parteien geschlagen.

Im Gegensatz zu Thaqi, der dem Machtwechsel in Belgrad äußerst ablehnend gegenüber steht, setzt Rugova auf einen pragmatisch-kritischen Umgang mit der neuen Regierung. Auch wenn er offizielle Gespräche noch ablehnt, traf er am Wochenende in Athen Zoran Zvkovic, einen der drei serbischen Übergangs-Innenminister. Ein Berater Thaqis hingegen hatte noch einen Tag vor dem Amtsantritt Kostunicas erklärt, dass »es für das Kosovo völlig ohne Belang« sei, wer in Serbien an die Macht komme.

So dürften es vor allem frustrierte UCK-Kader sein, die den fast schon verloren geglaubten Kampf um die Unabhängigkeit des Kosovo nun nach Serbien tragen. Dieselbe Taktik, die die Sezessionisten im April 1996 anwandten, als sie mit Angriffen auf serbische Polizeistationen zum ersten Mal die politische Bühne betraten, wendet jetzt auch die UCPMB an, um die serbische Seite zu einer heftigen militärischen Reaktion zu provozieren.

Doch der Anschluss der drei Distrikte, die bis 1957 zum Kosovo gehörten, scheint mehr als unwahrscheinlich. Frank Placon, der Leiter einer EU-Beobachtermission, die am Wochenende in die Pufferzone gereist war, sagte nach dem Besuch: »Die Vorgänge im Presevo-Tal sind zur Zeit die größte Sorge der EU.« Keine gute Voraussetzung, um Schlüsselmächte wie Deutschland oder Frankreich von der albanischen Sache zu überzeugen.

Sehr viel wahrscheinlicher ist es, dass der Nato-Generalsekretär und der jugoslawische Präsident politisch noch näher zusammenrücken. Heute meinen Robertson und Kostunica tatsächlich dieselben Kräfte, wenn sie von »terroristischen Aktivitäten« sprechen, die es zu stoppen gelte. Die Nato kehrt damit zu jener Position zurück, die sie bis zum Sommer 1998 auch gegenüber der UCK eingenommen hatte: Alle Versuche, die Grenzen auf dem Balkan zu verschieben, lehnte das Bündnis damals ab. Erst nach der Ausweitung der Kämpfe zwischen den Sezessionisten und den jugoslawischen Bundestruppen schwenkte die Nato um, ehe sie im März letzten Jahres das 78tägige Bombardement Jugoslawiens begann.

Die verzweifelte Wiederaufnahme des bewaffneten Kampfes durch die ehemaligen UCK-Aktivisten macht deutlich, was zuletzt von der Fixierung des Westens auf Milosevic verdeckt war: Den albanischen Ethnoterror im Kosovo duldete die Kfor nur mangels anderer Ordnungsmächte in der Region. Mit Kostunica aber könnten EU und Nato einen Partner gefunden haben, auf den sie sich verlassen können. Denn wie schwach das Dementi von Nato-Generalsekretär Robertson war, wurde noch auf der Pressekonferenz in Brüssel deutlich. »Auf der Arbeitsebene«, so Robertson, würde die Nato auch ihre Kontakte zu serbischen Kräften verstärken. Gut möglich also, dass serbische Polizisten und Kfor-Soldaten zwar nicht neben-, bald aber hintereinander durch das Presovo-Tal patrouillieren.