Labour-Kampagne gegen minderjährige Straftäter

Who Wants to Be Evil?

Die britische Labour-Regierung initiiert eine Kampagne gegen minderjährige Straftäter, die von den Medien esoterisch begleitet wird.
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Das Böse hat ein Zuhause: Nord-Peckham, im Londoner Bezirk Southwark, gilt in der britischen Öffentlichkeit seit dem Mord an dem zehnjährigen Damilola Taylor vergangene Woche als der Inbegriff des »sozialen Übels«. Medien und Politiker projizierten in das Viertel mit einem hohen Migrantenanteil all die Fantasien über Schandflecken, die das Bild des prosperierenden modernen »New Britain« (Labour) stören. Innenminister Jack Straw nannte den Mord etwas »schrecklich Böses«, gegen das die guten gesellschaftlichen Kräfte aufstehen müssten: »Nur das individuelle Gefühl für soziale Verantwortung kann das menschliche Verhalten zueinander kontrollieren.«

Damilola Taylor war am Montag vergangener Woche kurz vor seinem Tod im Treppenhaus eines teilweise leer stehenden Wohnblocks gefunden worden. Er verblutete an einer Wunde im Oberschenkel. Da Zeugen drei Teenager davonlaufen sahen, konzentrierte sich Scotland Yard sofort auf die Suche nach jugendlichen Tätern aus der Black Community. Die britischen Medien waren erleichtert: Immerhin scheint klar zu sein, dass das Verbrechen kein zweiter Fall Stephen Lawrence ist. Lawrence war 1993 von weißen Rassisten auf der Straße ermordet worden. Sein Tod und die ignoranten Ermittlungen der Londoner Polizei führten zu einer Diskussion, die den öffentlichen Diskurs über Rassismus nachhaltig verändert hat.

In Taylors Tod entdeckte der Daily Telegraph hingegen einen »Rassismus Schwarzer gegen Schwarze, der unter den Teppich gekehrt worden ist«. Ohne Beweise zu präsentieren, wird davon ausgegangen, dass Kinder afrokaribischer Migranten für den Mord an dem jungen Nigerianer verantwortlich sind. Auch Jack Straw hat erkannt, »dass Menschen und nicht Gebäude Taylor getötet haben«. So ist nicht mehr die Marginalisierung von Migranten durch die weiße Mehrheitsgesellschaft für soziale Spannungen in den ökonomisch verarmten Gebieten verantwortlich.

Seiner Mutter hatte Damilola einige Tage vor seinem Tod berichtet, dass er in der Schule schikaniert worden war. Bullying (tyrannisieren, schikanieren) ist ein Schlagwort in der Debatte über »anti-soziales Verhalten«, die von der Labour-Regierung initiiert worden ist, um die Liberalisierung der Wirtschaft mit einer kommunitaristischen Philosophie zu flankieren.

Gegen bullying wurde Kidscape gegründet, eine Wohltätigkeitsorganisation, die besorgte Eltern berät, und das Innenministerium hat für diese Woche neue Leitlinien angekündigt, die die alten, auf Konfliktschlichtung basierenden Strategien durch Strafmaßnahmen ersetzen. Eltern sollen das Recht bekommen, Schulen zu verklagen, falls ihre Kinder nicht vorm bullying geschützt werden.

Der Mord an Taylor hat auch den Mord an dem zweijährigen James Bulger 1993 wieder in Erinnerung gebracht. Die beiden Täter, damals zehn Jahre alt, sollen nun aus der Haft entlassen werden, um sich wieder in die Gesellschaft integrieren zu können. Den inzwischen Volljährigen soll eine neue Identität gegeben werden, da sie andernfalls für den Rest ihres Lebens stigmatisiert wären.

Um »Gefahren von der Öffentlichkeit« abzuwehren, hatten vier Zeitungsgruppen gegen das Verbot geklagt, über die beiden Kinder nach ihrer Freilassung zu berichten. Die Klage wurden jedoch abgewiesen. Bulgers Tod hatte eine Debatte über die Straffähigkeit von Minderjährigen ausgelöst, die die Suche nach den Ursachen der Brutalität bald in den Hintergrund gedrängt hatte. Sollten die Schuldigen am Tod von Damilola Taylor jemals gefasst werden, droht auch ihnen eine Stigmatisierung als »Verkörperung des Bösen«, die der Daily Telegraph schon angedeutet hat: »Die Ermordung der Unschuld« lautete der Titel des Leitartikels am Tag nach dem Vorfall.

Die Behandlung von Kindern und Jugendlichen als straffähige Erwachsene hat schlimme Konsequenzen in den überbelegten Jugendgefängnissen des Landes. Nachdem im März der 19jährige Zahid Mubarek von seinem Zellenkollegen Robert Stewart totgeschlagen worden war, gerieten die Gefängnisse in den Blickpunkt der Medien. Stewart ist ein bekennender Rassist, der sich wiederholt bewundernd über die Mörder von Stephen Lawrence geäußert hat. Mubarek, Sohn pakistanischer Eltern, der wegen Ladendiebstahls inhaftiert war, sollte am Tag nach seiner Ermordung entlassen werden. Dem Gefängnispersonal wird nun vorgeworfen, ihn wissentlich mit einem rassistischen Psychopathen in eine gemeinsame Zelle gesperrt zu haben. Der Gefängnis-Chefinspektor Sir David Ramsbotham nannte die Verhältnisse in den Jugendknästen am Wochenende »barbarisch«.

Labour hat inzwischen verschiedene Initiativen zur Kriminalitätsbekämpfung gestartet. Die CCTV-Überwachungskameras, die an zahlreichen öffentlichen Plätzen und Gebäuden angebracht sind, repräsentieren dabei die technische Komponente. Neighbourhood-Watch, eine Kampagne zur gegenseitigen Denunziation in den Wohngegenden, soll die menschliche Seite ansprechen. In der »Queen's Speech«, die in dieser Woche das Regierungsprogramm bis zu den Unterhauswahlen im nächsten Jahr erläutern wird, stehen die neuen Gesetze gegen »anti-soziales Verhalten« im Mittelpunkt.

Verboten werden soll unter anderem »Trunkenheit spät in der Nacht«. Die Polizei soll sogar das Recht erhalten, mit den Betrunkenen direkt zum nächsten Geldautomaten zu fahren, um die Geldstrafe gleich zu kassieren. Da trifft es sich gut, dass auch der Londoner Bürgermeister, Ex-Labour-Mitglied Ken Livingstone, am vergangenen Samstag angekündigt hat, im nächsten Jahr 60 Millionen Pfund in den Polizeiapparat zu stecken, um mehr als tausend neue Polizisten für den Streifendienst einstellen zu können.

Die britische Gesellschaft arbeitet an einem Konsens in der esoterischen Verklärung von Kriminalitätsursachen. »Die Bösewichte« (Daily Telegraph) sind keine Phänomene eines verstärkten Konkurrenzkampfs im britischen Turbokapitalismus, sondern naturgegebene Realität. In einer Reaktion auf den Mord an Taylor sagte der Bildungssekretär David Blunkett im Unterhaus, die überaus beliebte »Who Wants to be a Millionaire«-Show sei eine Metapher für eine durch und durch materialistische Gesellschaft, in der Menschlichkeit keinen Wert mehr habe.

Damit war er der Einzige, der auf einen Zusammenhang zwischen dem Konkurrenzprinzip und der Kindergewalt verwies. Dass er in einer Regierung sitzt, die dieses Konkurrenzprinzip als sakrosankt betrachtet, macht seine Kritik allerdings nicht glaubwürdiger.