Rhetorische Strategien Ernst Noltes

Ghostwriter Goebbels

Marcel Reich-Ranicki greift die Thesen und die Sprache des revisionistischen Historikers Ernst Nolte an. Über die rhetorischen Strategien des Salonnegationisten.

Marcel Reich-Ranicki macht sich Feinde, die ihm zur Ehre gereichen: Ernst Nolte sieht sich vom Literaturkritiker »verleumdet«. In seiner 1999 erschienenen Autobiografie »Mein Leben« hatte Reich-Ranicki heftig gegen Nolte polemisiert. Der Anlass, »einer so trüben, ja, verächtlichen Figur der deutschen Zeitgeschichte wie Ernst Nolte soviel Aufmerksamkeit« zu widmen, war für Reich-Ranicki der Rückblick auf seine Freundschaft mit Joachim Fest. Sie endete, weil Fest, damals Mitherausgeber der FAZ, im Juni 1986 Noltes Artikel »Vergangenheit, die nicht vergehen will« ohne Absprache im Feuilleton der Zeitung platzierte, Kritik an Noltes skandalösen Thesen, die den Historikerstreit auslösten, in der FAZ nicht zuließ und schließlich Noltes Revision der Geschichte mit Nachdruck verteidigte.

Im Historikerstreit konnte sich die Position Noltes nicht durchsetzen. Im Einigungstaumel Anfang der neunziger Jahre wurde Nolte übermütig. 1993 publizierte er mit »Streitpunkte« ein Buch, das als Thesenwaschanlage für den Negationismus funktionierte. Nolte plädierte dafür, die wirren Thesen der braunen Auschwitzleugner als legitimen Bestandteil geschichtswissenschaftlicher Diskussion zu behandeln. Nach dem wilden Jahr des rabiaten Geschichtsrevisionismus, das von der Veröffentlichung von Noltes »Streitpunkten« bis zur Verschärfung des Gesetzes gegen Holocaustleugnung dauerte, war Nolte blamiert. Auch die FAZ, in der Fest nicht mehr das Sagen hatte, ging auf Distanz zu Nolte. Seine Bücher erschienen fortan nur im überaus rechtslastigen Verlagsimperium Herbert Fleissners. Doch im Zuge des nationalen Aufbruchs und der Wiederbelebung der Totalitarismustheorie konnte Nolte punkten. François Furets Buch »Die Vergangenheit einer Illusion« gab ihm Auftrieb.

Nach der Publikation seines Briefwechsels mit Furet (Jungle World, 15/98) im rechten Herbig-Verlag konnte Nolte mit seinem nächsten Buch, »Historische Existenz«, trotz aller argumentativen Verschrobenheit wieder zum angesehenen Piper Verlag zurückkehren. Nolte schien auf der Siegerstraße zu sein, als ihm die unionsnahe Deutschland Stiftung ihren Konrad-Adenauer-Preis verlieh. Frühere Preisträger waren Armin Mohler und Wolfgang Schäuble. Die Laudatio hielt kein Geringerer als der Leiter des renommierten Münchener Instituts für Zeitgeschichte, Horst Möller.

Doch ein Literaturkritiker tat das, was Historikern gut angestanden hätte; Reich-Ranicki fuhr Nolte in die Parade. In seiner Autobiografie und im Spiegel rechnet er mit Nolte ab: »Nolte hat seine Ansichten nie geändert, vielmehr trat er zur Zufriedenheit der Rechtsradikalen nach wie vor an die Öffentlichkeit mit haarsträubenden und immer schärferen Formulierungen. So verkündete er, Hitler sei berechtigt gewesen, alle deutschen Juden zu internieren und zu deportieren. Er scheute sich nicht, Juden mit Ungeziefer zu vergleichen: Die von ihm selber gestellte Frage, ob die Nationalsozialisten Juden je grausam behandelt hätten, verneint Nolte, denn sie seien ðohne grausame AbsichtÐ umgebracht worden, ðwie man Ungeziefer, dem man ja auch nicht Schmerzen bereiten will, weghaben möchteÐ.« Und entgegen dem Trend, Nolte zu einem ehrenwerten Geschichtswissenschaftler zu erklären, fragte Reich-Ranicki in seinem Bestseller: »Sind jene im Unrecht, die an der Zurechnungsfähigkeit dieses Gelehrten zweifeln?« Reich-Ranicki beantwortete diese Frage so: »Ein Wahn ist es, der sich bisweilen in der unmittelbaren Nachbarschaft des Wahnsinns befindet. Aber wenn es auch nur Tollheit ist, so hat's doch auch Methode.«

Im Mai dieses Jahres brachte Reich-Ranicki dann Nolte gegen sich auf, indem er in einem Interview mit dem Spiegel erneut auf sein Zerwürfnis mit Joachim Fest einging und noch einmal die Gründe dafür benannte: »Selbst als der von ihm (Joachim Fest; A.S.) geförderte Nolte später erklärte, der Massenmord an den Juden sei nicht das Werk der Deutschen, sondern der ðeuropäischen Faschismen und AntisemitismenÐ, und in einem Spiegel-Gespräch Juden mit Ungeziefer verglich, hat Fest geschwiegen.« Ebenfalls in einem Interview des Spiegel antwortete Nolte: »Reich-Ranicki hat erklärt, ich hätte Juden mit Ungeziefer verglichen, das heißt gleichgesetzt. Ich nahm das anfangs nicht ernst, weil ich meinte, jeder vernünftige Mensch erkenne klar aus meinem Text, dass das üble Wort von Goebbels stammt.«

Drei Ausgaben später war Reich-Ranicki wieder an der Reihe und erläuterte Nolte den Unterschied zwischen Vergleich und Gleichsetzung: »Von einer ðGleichsetzungÐ ist in meiner von Nolte beanstandeten Äußerung nicht die Rede, vielmehr sage ich, Nolte habe Juden mit Ungeziefer verglichen.« Und Reich-Ranicki packt seinen Beleg, ein Spiegel-Interview Noltes von 1994, aus: Dort »sagte Nolte, man habe die Juden ermordet, ðwie man Ungeziefer, dem man ja auch nicht Schmerzen bereiten will, weghaben möchteÐ. Nolte hat also, worauf er jetzt Wert legt, die Juden nicht mit dem Ungeziefer ðgleichgesetztÐ, wohl aber die Behandlung der einen mit der der anderen verglichen.«

Reich-Ranicki zitiert Nolte korrekt. Nolte allerdings, der seine Rede vom »Ungeziefer« nachträglich als Goebbels-Wort ausgibt, ist weniger präzise. (Goebbels nannte in seinem Tagebuch die Juden »die Läuse der zivilisierten Menschheit.«) Passend zu dem interpretatorischen Delirium in seinem Buch »Streitpunkte« hatte Nolte 1994 im Spiegel ein Verständnis von der Einzigartigkeit der Judenvernichtung entwickelt, demzufolge die »humane« Gestaltung der Massenvernichtung die Singularität ausmache - ein typischer Nolte mortale.

Dem Konfusius der deutschen Geschichtsschreibung scheint kein Argument zu schräg, keine These zu steil und kein Beleg zu irrelevant, um nicht doch seiner labyrinthischen Gedankenfüh-rung zu dienen. Hierbei geht es allerdings um mehr und anderes als um Fragen von Stil und Form. Einen wichtigen Hinweis gab der bekennende Faschist Armin Mohler: Nolte sei ein »kampferprobter (...) Autor, der gelernt hat, mit explosionsgefährdetem zeitgeschichtlichen Stoff umzugehen. Er ist ein Meister darin, bestimmte Aussagen über Zitate anderer zu machen, und wenn die Anführungsstriche vorbei sind, so weiß man nicht genau, ob nun der zitierte Autor oder Nolte selber weiterspricht.«

Bisweilen steigert sich Nolte in seiner Darstellungsweise zur »phantasmatischen Hineinversetzung« (Wolfgang Fritz Haug). Wenn der frühere Lateinlehrer, dem der Konjunktiv der indirekten Rede vertraut sein sollte, seine Grammatik-Kenntnisse vergisst, formuliert er beispielsweise so: »Der Urheber der Niederlage, der Erreger der Dekadenz, der Henker in der bolschewistischen Revolution, der internationale Jude muß vernichtet werden.« Oder in Konditionalgefügen wie diesen - wieder im Indikativ: »Wenn das Selbstverständnis, das ðLicht der VölkerÐ, das ðVolk GottesÐ oder auch eine ðkräftigere RasseÐ zu sein, richtig oder auch bloß aufrichtig ist, dann ist die verbreitete Feindschaft eine unumgängliche Konsequenz, und zwar gerade die Feindschaft der Dumpfen, der einfachen Menschen, der Nicht-Intellektuellen. Wenn dieses Selbstverständnis jedoch nur aufrichtig, aber in der Realität mit banalen Eigenschaften wie Egoismus und Machtwillen verknüpft ist, dann ist auch die Feindschaft nicht ohne Recht und die unterschiedslose Stigmatisierung des ðAntisemitismusÐ muß als bloßes, wenngleich erstaunlich erfolgreiches Kampfmittel gelten.«

Nolte wird zum kongenialen Geschichtsphilosophen der Nazis. Eingebettet sind seine Rechtfertigungen des Nazi-Antisemitismus in seine »genetische Totalitarismuskonzeption«. Sie wird in variierenden Formulierungen immer neu durchgespielt: Der Nationalsozialismus, von Nolte auch verniedlichend »halbe« oder auch »kleine Lösung« genannt, sei eine Kopie des als »ganze« oder »große Lösung« perhorreszierten Bolschewismus. Die Kopie übertreffe das »Vorbild« und »Schreckbild«, sie sei eine »Überentsprechung«. Im Rahmen dieser abstrusen Geschichtskonstruktion sind abenteuerliche Realitätsverbiegungen möglich, insbesondere Entlastungen der deutschen Geschichte.

Daher liegt Reich-Ranicki mit seiner Kritik richtig. Und Noltes erneute Entgegnung bestätigt weitere Kritikpunkte Reich-Ranickis. Der Kritiker bricht die Höflichkeitsregeln des Kulturbetriebs und benennt die organisierte extreme Rechte und ihren Terror. Das veranlasste Nolte zum bisher letzten Akt in diesem Streit. In einem im Spiegel abgedruckten Leserbrief behauptet Nolte, er habe »keinen Grund anzunehmen, dass irgendein ðSkinheadÐ je ein Buch von mir gelesen hätte«. Bezogen auf die Skinheads mag es stimmen, im Fall der extremen Rechten stimmt es definitiv nicht. Vermutlich, weil er dies weiß, geht Nolte mit dem nächsten Satz zum Gegenangriff über. Wenn Skinheads ihn gelesen und »sich durch die Lektüre in ihren Ansichten bestätigt gefühlt hätten, müssten sie auf die gleiche isolierende und verzerrende Weise gelesen haben, wie Herr Reich-Ranicki es tut.« So gelingt es Nolte einmal mehr, die Rollen zu vertauschen. Der Holocaust-Überlebende sei zwar kein Nazi, doch er lese, wie Nazis Nolte läsen.