US-Präsidentschaft

Bad Moon Rising

Die begriffliche Trennung zwischen Recht und Politik, wie sie die bürgerliche Ideologie vollzieht, hat bei der Entscheidung um die Präsidentschaft der USA auch für liberale Beobachter den Realitätstest nicht bestanden. Der Bundesrichter John Paul Stevens verweist in einer persönlichen Erklärung auf Artikel II der Verfassung und eine Entscheidung des Supreme Court von 1892. Der Artikel legt fest, dass die Einzelstaaten für die Ernennung der Elektoren zuständig sind. Als die Bundesrichter in die Wahlvorgänge in Florida eingriffen, verletzten sie nach Meinung des Richters die Verfassung und widersprachen dem Präzendenzurteil von 1892 Jahren. Was Stevens nur andeutet, ist, dass der Grund für diese Einmischung in den politischen Vorlieben der Mehrheit der Bundesrichter liegt.

Es ist auffällig, dass sich die konservativen Richter, die sich in der Vergangenheit stets für die Stärkung der Einzelstaaten eingesetzt hatten, in diesem Fall das genaue Gegenteil taten, indem sie sich für zuständig erklärten.

Der Verlierer Al Gore hat seinen Frieden mit dem designierten Präsidenten George W. Bush gemacht. Hätte Gore weiter prozessiert, hätte er die Legitimationskrise der politischen Klasse in den USA noch verschärft. Auf Dauer kann die demokratische Partei daran nicht interessiert sein. Ein weiterer Grund für seine Aufgabe könnte darin liegen, dass, wäre er Präsident geworden, seine Zeit im Weißen Haus alles andere als angenehm geworden wäre. Sein Vizepräsident Joseph Lieberman hätte von seinem Sitz im Senat zurücktreten müssen. Gore hätte also die Mehrheit im Senat, im Repräsentantenhaus und im Obersten Gerichtshof gegen sich gehabt. Wegen seiner mangelnden Popularität und des knappen Wahlausganges hätte er auch kaum mit großer Unterstützung aus der Bevölkerung rechnen können. Einer der wenigen Verbündeten Gores wäre US-Zentralbankchef Alan Greenspan gewesen.

Doch Greenspan hat sein Pulver bereits verschossen. Er hat die längst überfällige drastische Erhöhung der Leitzinsen hinausgezögert, um nicht durch eine Schwächung der Konjunktur den regierenden Demokraten im Wahlkampf zu schaden. Wenn die USA eine ernste Wirtschaftskrise vermeiden wollen, ist eine Erhöhung der Leitzinsen in naher Zukunft jedoch unumgänglich. Der designierte Präsident Bush wird also mit einem Abflauen der Konjunktur, vielleicht sogar mit einer dauerhaften Rezession zu kämpfen haben. Es ist nicht weiter verwunderlich, dass Bush darauf besteht, sein Wahlversprechen - üppige Steuergeschenke an die Oberklasse und die Industrie - so bald wie möglich wahr zu machen, und nicht in mehreren Schritten, wie es die Demokraten und einige Wirtschaftsfachleute fordern. Es ist wahrscheinlich, dass wegen eines konjunkturbedingten Rückganges der Steuereinnahmen solche Wohltaten in einem Jahr nicht mehr zu rechtfertigen sein werden.

Bushs Position im Weißen Haus wird wegen der knappen Mehrheiten im Kongress nicht wesentlich stärker sein, als die eines Präsidenten Gore es wäre. Seine Legitimation durch die Wahl ist ebenfalls sehr dürftig. Es ist bekannt, dass Al Gore landesweit etwa eine halbe Million Stimmen mehr erhalten hat als Bush. Mehrere namhafte Zeitungen, darunter die New York Times und die Los Angeles Times, haben einen Antrag auf eine inoffizielle Nachzählung der Stimmen in Florida gestellt. Sollte diese Nachzählung ergeben, dass eigentlich Al Gore die Wahl in Florida gewonnen hat - viel Spaß beim Regieren, George Bush!