Präsidentschaftswahlen in Ghana

Bye-bye, Jay-Jay

Ist die Ära Rawlings beendet? In Ghana wird ein neuer Präsident gewählt.

6. Dezember, Cape Coast

Am Tag vor den Wahlen in Ghana werden die Musikprogramme aller Radiostationen ständig unterbrochen. Die Staatsbürger werden nach ihrer Meinung zu den Wahlen befragt und geben Prognosen ab.

In der Nacht zuvor hat man Trommeln aus dem Hinterland hören können. Die Spannung ist deutlich zu spüren. Ganz Ghana hat nur noch ein Thema: Wer wird der Nachfolger von Jerry John Rawlings als Präsident, und wie wird das neue Parlament aussehen? Noch nie war die Möglichkeit eines geregelten Machtwechsels so nah.

In den letzten Wochen gingen die jugendlichen Anhänger der verschiedenen Parteien mit Anbruch der Dunkelheit laut singend und trommelnd auf die Straßen der größeren Städte. Trafen die Fans der New Patriotic Party (NPP) von John Kufuor die des regierenden National Democratic Congress - er stellt den Vizepräsidenten John Atta Mills -, entlud sich die angespannte Stimmung in gegenseitigen Beschimpfungen und Drohungen.

Gestern entschied der Oberste Gerichtshof in einer Dringlichkeitssitzung, auch die alten Wahlausweise ohne Lichtbild gelten zu lassen. Es kam zu Tumulten vor dem Gerichtsgebäude, denn die NPP sieht in diesem Spruch des Gerichts einen faulen Trick der Regierung. Für Wahlberechtigte aus den ländlichen Gebieten bedeutete das Besorgen eines neuen Wahlausweises nicht selten eine Tagesreise, und die Mehrheit der ländlichen Bevölkerung wählt traditionell NDC. Das Renommee als Partei der kleinen Leute beruht auf der Popularität von »Jay-Jay« Rawlings, der versprochen hat, sich an die Verfassung zu halten. Die sieht für den Präsidenten nur eine einmalige Wiederwahl vor. Er ist zwar seit 1981 an der Macht, hat sich aber zum ersten Mal 1992 und noch einmal 1996 durch Wahlen legitimieren lassen.

Es war eine Überraschung, als er 1996 den behäbig wirkenden Rechtsprofessor und Fußballfunktionär Atta Mills zu seinem Vize machte und systematisch zu seinem Nachfolger aufbaute. Dabei ist Atta Mills ein völlig anderer Charakter als Rawlings, der provoziert und polarisiert und auf Kabinettssitzungen auch schon mal handgreiflich werden kann. Mills ist eine Person des Ausgleichs, kein mitreißender Redner wie Rawlings, der wie seine politischen Freunde Fidel Castro und Muammar al-Gaddafi gerne und laut spricht. Mills kündigte an, er werde im Falle seines Sieges Oppositionspolitiker in die Regierung aufnehmen. Er bezeichnet sich selbst als Nkrumahisten, als Anhänger eines afrikanischen Sozialismus.

Sein Hauptwidersacher John Kufuor war schon 1996 als Präsidentschaftskandidat der NPP mit 40 Prozent der abgegebenen Stimmen relativ erfolgreich. Der Geschäftsmann aus Kumasi betont ebenfalls, einen afrikanischen Weg gehen zu wollen, bleibt dabei jedoch vage. Er verspricht, ausländische Investitionen ins Land zu holen. Er wolle die Korruption bekämpfen und die Bürokratie abbauen.

Der 62jährige, der dem in Ghana sehr populären Kommissar Derrick ähnelt, hat einen erfolgreichen Wahlkampf gemacht, die Massen strömten zu seinen Auftritten. In Umfragen liegt er weit vor Mills.

Entscheidender als jede Programmatik ist die Frage, ob die Parteien die morgige Abstimmung der Wählerinnen und Wähler akzeptieren werden. Gestern ist im Nachbarland Côte d'Ivoire der Ausnahmezustand verkündet worden. Ein Fernsehspot der Wahlkommission erinnert die Zuschauer an Liberia, Sierra Leone, Angola, Burundi und Ruanda.

»Ein Bürgerkrieg in Ghana ist unmöglich«, meint eine 48jährige Fischgroßhändlerin in Cape Coast. »Die Ghanaer sind viel zu ängstlich, und wohin sollten wir fliehen? Wir sind umgeben von französischsprachigen Ländern. Nein, ich bin sicher, Ghana wird einen friedlichen Regierungswechsel erleben.« Sie glaubt auch, dass man »Jay-Jay« - wie der Präsident allgemein genannt wird - in Ruhe lassen werde. »Wer versucht, Jay-Jay wegen des Mordes an politischen Gegnern vor Gericht zu stellen, der provoziert den Bürgerkrieg. Natürlich werden die Angehörigen der Ermordeten keine Ruhe geben. Man muss ihnen eine finanzielle Wiedergutmachung zugestehen. Aber Rawlings vor Gericht? Unvorstellbar.«

Kofi, 29jähriger Lehrer in Koforidua, ist sicher: »Morgen oder übermorgen, vielleicht auch erst in fünf Tagen wird gefeiert, egal, wer gewinnt. Es ist das erste Mal in der Geschichte Ghanas, dass ein Präsident die Macht an einen neu gewählten abtritt. Wir werden der Welt zeigen, wie wir Wahlen machen. Eure Wahlbeobachter sollen sich fragen, ob wir das nächste Mal zu euch kommen, um eure Wahlen zu begutachten. Schau dir die USA an.«

Am Abend sitze ich in einem Restaurant neben einem reich geschmückten Weihnachtsbaum aus Plastik, schlürfe schwitzend eine scharfe Sauce mit Ziegenfleisch und höre, was die NPP-Anhängerin Ellen zu sagen hat: »Der Wechsel wird friedlich sein. Aber dann bringen wir Jay-Jay vor Gericht. Das wird dann entscheiden.«

Auf dem Fernsehschirm erscheint der Präsident. Ein abgekämpft wirkender Rawlings wendet sich mit sanfter Stimme an seine »Brüder und Schwestern«, an seine »geliebten Landsleute«. In einem Ton, den man von ihm nicht kennt, redet er beruhigend auf das Wahlvolk ein. Jede Entscheidung müsse respektiert werden. Sollte es auch nur einen einzigen Toten durch die Wahlen geben, wäre es ein Toter zu viel. Er hebt noch einmal die Verdienste seiner Regierung hervor, macht einen kleinen Seitenhieb auf westliche Mächte, die versucht hätten, in die Wahlen einzugreifen, und beteuert seine Liebe zu dem »Juwel« Ghana.

7. Dezember, Accra

Überall bilden sich schon um drei Uhr morgens vor den Wahllokalen lange Schlangen von Wählerinnen und Wählern, die zu Fuß aus den ländlichen Gebieten gekommen sind. Dieser Donnerstag ist kein offizieller Feiertag, doch bleiben die meisten Geschäfte geschlossen, die Kinder gehen nicht zur Schule,

und auf den Straßen ist kaum Verkehr. Es herrscht eine sonntägliche Stille. Auch in der Hauptstadt fahren nur wenige Taxis durch die menschenleeren Straßen. Weder Polizei noch Militär ist zu sehen.

Schweigend reihen sich die Abstimmenden in die Schlange ein, holen sich nach Vorlage ihres Wahlausweises zunächst ihre Stimmzettel für die Parlamentswahlen ab. Ihre Namen werden aus einer Computerliste gestrichen. Dann machen sie hinter einem Pappschirm ihr Kreuz und werfen den Zettel in eine durchsichtige Plastikbox. Dieser Vorgang wiederholt sich dann für die Präsidentschaftswahlen. Schließlich wird eine Fingerkuppe mit nicht abwaschbarer blauer Tinte gefärbt.

Gegen 12 Uhr kommt im Radio die Nachricht, dass die Polizei in Kumasi mehrere Jugendliche festgenommen hat, die mit Wahlausweisen von Verstorbenen mitzuwählen versuchten. Festgenommen wurde auch ein NDC-Funktionär, der diese Ausweise verteilt haben soll.

»Siehst du«, schimpft der Besitzer einer Wechselstube, »das nennt man dann: ðIm Allgemeinen verliefen die Wahlen frei und fair.Ð Dadurch dass der Gerichtshof die Wahlausweise ohne Passfoto zugelassen hat, ist der Manipulation Tür und Tor geöffnet. Wie 1992 und 1996 können Tote mitwählen. Du weißt, wie wir unsere Toten ehren, aber damit hat das nichts zu tun. Das ist einfach Betrug.«

Der Taxifahrer, der mich kreuz und quer durch Accra fährt, geht nicht zur Wahl: »Mein Wagen war drei Tage in der Werkstatt. Heute muss ich den ganzen Tag fahren. Ich habe nicht die Zeit, mich stundenlang in eine Schlange einzureihen. Außerdem wird mir kein Präsident Arbeit geben. Die muss ich mir selbst besorgen.«

Aus allen Teilen des Landes wird gemeldet, dass die Wahlen ruhig verlaufen. Irgendwo hat es aber gekracht! Um 17 Uhr schließen die Wahllokale. Gegen 18 Uhr verkünden die privaten Radiostationen erste Teilergebnisse aus den Stimmbezirken der Hauptstadt. Überall liegt die NPP vorne. Dort, wo die in weiß-rot-blauen Farben gekleideten Anhänger der NPP anfangen zu feiern, werden sie von älteren Parteigängern zur Ruhe aufgefordert. Überall sitzen Gruppen von Menschen um Transistorradios und lauschen gespannt den nach und nach eintreffenden Ergebnissen.

In dem Dorf Adukrom in den Akwapim-Bergen 50 Kilometer nördlich von Accra sind die Leute nicht mehr zu halten. Ein Erdrutschsieg der NPP scheint sich anzukündigen. Im staatlichen Fernsehen warnen Journalisten vor vorzeitigem Jubel. Rawlings wird bei seiner Stimmabgabe interviewt. Er lobt die gute Arbeit der Wahlkommission. Auf seine persönliche Zukunft angesprochen, sagt er, er wolle sich dem Kampf gegen die Malaria widmen.

Der charismatische Putschist von 1981, der Ghana ab 1983 zum »Musterland« des IWF machte, erinnert noch einmal an den Dienst der ghanaischen Truppen bei internationalen Einsätzen in Sierra Leone, Liberia und im Kosovo. »Die Welt schaut heute auf unser Land. Meine geliebte Heimat hat sich zu einem Muster an Demokratie und Entwicklung gemausert. Darauf können wir alle stolz sein.« Um 21 Uhr, nach Auszählung von zehn Prozent der Stimmen, liegt Kufuor weit in Führung.

10. Dezember, Accra

Es ist Sonntag, der dritte Tag nach den Wahlen. Die meisten Leute gehen festlich gekleidet, die Bibel in der Hand, zu den Kirchen, während in der Nachrichtensendung gelassen verkündet wird, dass die Opposition die Hälfte der Parlamentssitze gewonnen hat. Eine Sensation. Noch immer wird nicht gefeiert. In Accra ist ein ganz normaler Sonntag. Aus den Kirchen klingen die Gesänge voller Inbrunst nach draußen: Die Wahlen sind überwiegend transparent, frei, friedlich und fair verlaufen. Bis auf mindestens sieben Tote am Wahltag in dem Dorf Bawaku im Norden Ghanas.

Um 16 Uhr verkündet die Wahlkommission, dass es eine Stichwahl zwischen John Kufuor (48,8 Prozent) und Atta Mills (44,3 Prozent) geben wird. Interessiert, aber gelassen nehmen die Menschen diese Nachricht zur Kenntnis.