Patentierung von Lebewesen

Der Stoff, aus dem die Menschen sind

Im Januar soll die EU-Richtlinie zur Patentierung von Lebewesen in deutsches Recht umgesetzt werden.

Das Europäische Patentamt (EPA) steht zur Zeit im Kreuzfeuer der Kritik. Vor einem Jahr hatte die Behörde - irrtümlich, wie es hieß - ein Patent vergeben, das für Aufruhr sorgte. Die Universität von Edinburgh hatte Verfahren zur Entnahme von embryonalen Zellen, deren genetische Veränderung und die potenzielle Fabrikation neuer Lebewesen eigentumsrechtlich schützen lassen. Die Langzeit-Perspektive der Patentinhaberin: embryonale Stammzellen für die Gewebetransplantation zu produzieren.

Die Umweltorganisation Greenpeace protestierte, die Medien berichteten und die Politik reagierte. Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin ordnete Einspruch gegen das Patent an. Die Grünen verurteilten den »nicht zu tolerierenden Tabubruch«. Doch im November, kaum war das Patent zurückgezogen, wurde schon der nächste Gentech-Skandal bekannt: Die australische Firma Amrad hatte ein Patent erhalten, das sich auf die Einführung menschlicher Stammzellen in einen tierischen Embryo erstreckte. Erlaubt und eigentumsrechtlich geschützt wurden damit »Verfahren zur Herstellung eines nicht-humanen chimären Tieres«, das menschliche Körperteile, Nervenzellen etc. besitzt.

Seit Jahren gehören Bio-Patente zum Alltagsgeschäft des Patentamts in München, der Life-Sciences-Industrie und der Wissenschaft. Allein für technische Verfahren zur Isolierung menschlicher Gene, ihrer Deutung und Manipulation sind über 2 000 Anträge in München eingereicht und 300 Patente erteilt worden. Blut aus der Nabelschnur wird ökonomisch genutzt, Schwangerschaftshormone werden nachgebaut und Zellbestandteile produktiv gemacht, all das ist bereits patentrechtlich geschützt. Auf dem Marktplatz der Körpersubstanzen wird der Leib stückweise - in seinen wissenschaftlich definierten Einzelteilen - als Rohstoff und zugleich als Werkstoff universal nutzbar.

Die Kritik am Europäischen Patentamt und die Skandalisierung seiner Patentvergaben reduziert sich aber vor allem auf ein rechtliches und ein moralisches Argumentationsregister: Erstens sollen keine Stoff-, sondern nur Verfahrenspatente erteilt werden. Zweitens soll die Forschung an ethische Grenzen gebunden sein.

Die 1998 erlassene EU-Richtlinie 98/44 geht aber selber von einem Unterschied zwischen Entdeckung und Erfindung aus. Mit der Richtlinie sollte für Handlungssicherheit im Bereich Biopatentierung gesorgt werden. Einspruch hatte die damals gerade neu gewählte rot-grüne Regierung in Berlin nicht erhoben.Im Bundesjustizministerium wurde stattdessen eine Umsetzung ins deutsche Patentgesetz erarbeitet. Ab Januar soll der rot-grüne Gesetzentwurf im Bundestag debattiert werden.

Die EU-Richtlinie und der Vorschlag aus dem Berliner Justizministerium behandeln den menschlichen Körper als - wie sie es schreiben - »biologisches Material«, das in Gestalt von Genen, Zellbestandteilen und Geweben unter bestimmten Voraussetzungen als schützenswerte Erfindung gefasst werden kann. Dabei betont die Richtlinie ausdrücklich: Erst wenn Körper in ihre Bestandteile zerlegt, technisch bearbeitet und nachweislich gewerblichen Zwecken zugeführt werden können, entsteht ein Neuland des Wissens, eine »Erfindung«, und ein Neuland des Rechts, ein Bio-Patent.

So wird die Ordnung des Privateigentums ins Körperinnere eingeschrieben. Der Körper wird hier als bloßer Naturrohstoff und als Stätte vielfältiger Produktionsmöglichkeiten und gewinnbringender Bearbeitungstechniken angesehen. Genau in dieser Breite wird er in das Feld der Warenzirkulation und des Privateigentums integriert. Auch die völlig immaterielle so genannte Geninformation ist, wenn sie einmal aus den Zellen extrahiert und von Wissenschaftskollektiven interpretiert worden ist, Geld wert.

Nach der EU-Richtlinie werden die Erfinder jener genetischen Informationen, Verfahren oder Produkte, die sie aus den Körpern bergen, für 20 Jahre mit exklusiven Verwertungsrechten gegenüber Dritten belohnt. Die Logik: Nur die Produktionen an Körpersubstanzen, nicht der Stoff selbst, wird patentiert. Damit aber fallen alle Eigentumsrechte in die Hände von Firmenmanagern und Wissenschaftlern. Schließlich sind sie die Produzenten - und Konstrukteure - der begehrten Substanzen. Alle anderen sind Material-Lieferanten und von jeder Gewinnbeteiligung ausgeschlossen. Sie sollen lediglich der Entnahme und Verwertung zustimmen.

Was auf den ersten Blick durch die Unterscheidung zwischen Entdeckung und Erfindung begrenzend wirken soll und die Schutzrechte der Betroffenen zu sichern scheint - schließlich ist die Entnahme zustimmungspflichtig -, zwingt doch alle zu einer eigentumsförmigen Herrschaft über sich selbst. Das Motto: »Ich werde über die Produktivität meiner Körperstoffe von wissenden Experten informiert; ich verfüge über den so beschriebenen Körper und überlasse interessierten Dritten nach eigenem Willen die entsprechenden Stoffe.«

So allerdings wird eine neue Leiblichkeit herausgebildet. Nicht allein im wissenschaftlichen und industriellen Sektor ist der neue Körper realitätsmächtig, sondern im Denken und Handeln aller. Die historisch gewachsene Einsicht, die den Körper von der Sache schied und ihn als eigentumsunfähig ansah, ist dahin. Gerade das Zustimmungsgebot - mit Verweis auf wissenschaftlichen Fortschritt und öffentliche Gesundheit - macht den Transfer des neuen Substanz-Körpers in das Feld von Warenproduktion gesellschaftlich akzeptabel.

Eine Reihe von Kritiken an der Biopatentierung zeigen, wie sehr die biowissenschaftliche Definitionsmacht und die Vorstellung vom eigentumsfähigen Körper bereits anerkannt sind: Der SPD-Bundestagsabgeordnete Wolfgang Wodarg und der französische Politiker und Genetiker Jean-François Mattei haben das Schlagwort vom Genom als »Erbe der Menschheit« in kritischer Absicht in die Debatte eingeführt. Doch der privatrechtliche Begriff des Erbes ist kein Veto gegen die Eigentumslogik. Statt eines individuellen Eigentümers soll das Genom einem Kollektiv, der Menschheit, gehören. Und gerade der Menschheitsbegriff ist eine Einflugschneise für biopolitische Vorhaben: für genetische Präventionen und vorsorgliche Pflege der Erbanlagen. Mattei fordert in diesem Sinne den ungehinderten Zugang der Forschung zum menschlichen Genom.

Auch die Enquete-Kommission »Recht und Ethik der modernen Medizin« hat die geplante nationale Umsetzung der EU-Richtlinie kritisiert und »Forschungsfreiheit« statt »Einengung durch Patente« gefordert. Sie erklärte, dass Gen-Sequenzen, Lebewesen oder Teile, die »in der Natur vorhanden sind«, nicht als »erfinderische Leistungen« zu fassen seien. Gerade durch die zahllosen Produktionen am Genom und am Zellmaterial aber ist der Verweis auf eine eigentliche Natur obsolet. Gene, embryonale Stammzellen oder Mikrosubstanzen aller Art sind biowissenschaftliche Erfindungen. In dieser Produktionslogik steckt die Wahrheit über den Körper. Die technischen Verfahren und molekularen Dogmen schaffen erst jenen Stoff, aus dem die zeitgenössische Leiblichkeit gewoben wird.