Kampf um eine russische Autofabrik

Ein toller Uasik

Betriebsleitung und Provinzgouverneur kämpfen um die Profite des russischen Jeep-Herstellers UAS. Die Belegschaft hat das Nachsehen.

Es gibt Autos, die sehen aus, als kämen sie aus Pionierzeiten, obwohl sie eben erst den letzten Schliff erhalten haben. In Russland trifft man häufig auf solche einfach gebauten Fahrzeuge - nicht als modische Retroerscheinung, sondern als ein Stück Alltag in Gestalt der Tausenden Miliz- und Armeewagen, die sich wie selbstverständlich noch in die urbanen Zentren des hintersten Sibiriens einfügen.

Uasiks werden die robusten Geländewagen mit der asketischen Grundausstattung genannt. Sie stammen aus den Montagehallen des Automobilwerkes UAS, das seinen Hauptsitz in Uljanowsk hat. Seit Beginn der vierziger Jahre werden die Uasiks dort produziert. Zuvor wurde UAS wie viele andere größere Werke, die in Rüstungsfabriken umgewandelt werden konnten und daher außer Reichweite der Nazis zu bringen waren, aus Moskau in die Wolgaregion evakuiert. UAS ist heute der größte Jeep-Produzent in Russland, und seine Bedeutung für die Region ist immens: 26 000 Menschen arbeiten in der Werkszentrale in Uljanowsk, hinzu kommen 90 000, die Ergänzungsteile an ausgelagerten Produktionsorten und in anderen Firmen herstellen.

Zur UAS-Fabrikstadt gehören Krankenhäuser, Sportkomplexe und Erholungsheime. Die computertechnischen Modernisierungen Mitte der neunziger Jahre haben sie nicht profitträchtiger gemacht. Von den rund 140 000 Automobilen, die pro Jahr produziert werden könnten, wird mit Mühe gerade die Hälfte geschafft. Die Ursachen für die schleppende Produktion liegen vor allem in der sich ständig verschlechternden wirtschaftlichen Situation der Jelzin-Ära - eine Zeit, in der bestehende Familienbande in den Chefetagen des Automobilkonzerns noch fester zusammengezurrt wurden. »Im Grunde«, sagt Igor Korschemanow, seit dreieinhalb Jahren UAS-Mechaniker, »hat sich die ganze Führung schon vor 15 Jahren gebildet. Die kennen sich inzwischen gut und helfen sich natürlich gegenseitig.«

Oft steht die Betriebsleitung nicht nur bei Metall- und Stromlieferanten in der Kreide, sondern auch bei den Arbeitern. Eine bestimmte politische Situation vor Ort wirkt sich ungünstig auf regelmäßige Lohnauszahlungen aus. Es gibt da noch den Gouverneur Jurij Gorjatschew, ohne dessen Zustimmung im Gouvernement Uljanowsk nichts läuft. Wenn der frühere Parteifunktionär und Kolchosebauer Geld braucht, ob für die Finanzierung von Wahlen oder um Prestigeprojekte zu realisieren, bedient er sich mit Vorliebe aus den Reserven des Automobilwerks.

In der finanziell ausgetrockneten russischen Provinz sind Industriewerke wie UAS unentbehrliche Geldquellen. Das weiß auch Gorjatschew. Die UAS-Funktionäre tun gut daran, seinen Steuerforderungen nachzukommen, wenn sie nicht hohe Bußgelder zahlen wollen. »Der Gouverneur betrachtet hiesige Unternehmen faktisch als sein Eigentum«, sagt Sergej Perfiljew, stellvertretender Direktor des Uljanowsker wissenschaftlichen Forschungszentrums Region. »Damit ist er in Russland kein Ausnahmefall.« Seit acht Jahren im Amt, hat Gorjatschew ein Machtgefüge etabliert, das ähnlich wie bei UAS, nur in viel größerem Maßstab, über ein fein gesponnenes Netz von Bekanntschaften funktioniert. »Gorjatschew hat faktisch die Strukturen aus der Sowjet-Zeit aufrechterhalten«, sagt Perfiljew. »Der Übergang von der alten kommunistischen Nomenklatura zum heutigen Establishment verlief unter ihm fließend.«

Die Arbeiter haben im Konflikt zwischen Betriebsleitung und Lokalregierung das Nachsehen, nicht nur wegen der oft unregelmäßigen Lohnauszahlung. Von Arbeitsschutz und Mitspracherechten kann keine Rede sein bei UAS. Zwar gibt es Gewerkschaftskomitees, deren Aufgabe es ist, über die Einhaltung gewisser Mindeststandards in den Montagehallen zu wachen. Doch Möglichkeiten, die es ihnen erlaubten, Forderungen notfalls auch gerichtlich durchzusetzen, haben sie faktisch nicht. »Wenn es überhaupt zu einer Gerichtsverhandlung käme«, sagt Igor, »würden sie die Arbeiter nicht unterstützen.« Auch für Gewerkschafter kann es gefährlich werden, der Werksleitung zu widersprechen.

Die meisten Arbeiter machen sich keine Illusionen über ihre berufliche Zukunft. Auch der 24jährige Igor nicht. Um in der Hierarchie seines Betriebs aufzusteigen, fehlt es ihm am Nötigsten: an Geld und Beziehungen. Für Igor ist die Hauptsache, dass er seinen Job behält. »Jeder versucht, im Betrieb irgendwie durchzukommen und seine Stellung zu halten«, sagt Igor, »denn die kann schnell wieder weg sein. Einige Arbeiter haben sich ihren Job bei höheren Funktionären des Betriebs für eine Stange Geld gekauft. Wer hier keinen kennt, der etwas zu sagen hat, der wird es schwer haben. Aufstiegschancen hat er keine.«

Fast nebensächlich scheint es unter solchen Bedingungen, wenn Igor von der nur schwach arbeitenden Lüftung in den Werkshallen erzählt. Mindestens 40 Prozent der Mischung aus Lackierstoffen, heißem Schmieröl und Metallstaub bleiben dadurch in der Luft - wenn die Lüftung nicht ganz ausfällt. Auch um zu verhindern, dass die Belegschaft gegen gesundheitsgefährdende Arbeitsbedingungen protestiert, hat die Betriebsleitung unlängst eine neue Klausel in die Betriebsordnung eingeschoben. Jetzt muss ein Streik einen Monat im Voraus angemeldet werden - eine Vorlaufzeit, die, so Igor, von der Werksleitung dazu genutzt wurde, Streikende aus fadenscheinigen Gründen zu entlassen. Seither hat es Streikversuche nicht mehr gegeben.

In den Verwaltungsetagen von UAS redet man indessen lieber vom Zusammenhalt des Kollektivs. »Wir versuchen, bei unseren Arbeitern einen Werkspatriotismus herauszubilden«, sagt Natalja Marinina, die als »leitende Spezialistin für Jugendarbeit« bei UAS arbeitet. Reibungslos funktioniert das nicht, wie ein Blick in die werkseigene Zeitung Panorama zeigt. Dort werden für das erste Halbjahr 557 »Verletzungen der Arbeitsdiziplin« wie Alkoholismus, Bummelei und Raub verzeichnet. 185 Menschen wurden gefeuert, 146 erhielten Diziplinarstrafen, 191mal wurden Prämien entzogen.