Monatszeitschrift »Meine Schuld«

Frau werden, sein und bleiben

Meine Schuld ist ein Beichtstuhl aus minderwertigem Papier. Hier kann man Erlebnisberichte lesen, die von der Schuld handeln, als Frau geboren zu sein.

Glücklich auf Erden, schwer ist's zu werden«, soll meine Urgroßmutter immer wieder gesagt haben. Und klagte damit mal über einen verlorenen Jackenknopf, mal über den Kindstod in der Nachbarschaft. Nun glaubt man ja, dass einem eine derartige Schicksalsergebenheit heutzutage nicht mehr begegnen würde. Denn, wenn er sonst schon nichts gebracht hat, so verdanken wir dem Kapitalismus doch zumindest die Krise der Kirchen und die »Es kommt, wie es kommen muss«-Mentalität. Meinten wir. Denkste!

Recht erfolgreich bedienen Zeitschriftenverlage einen Markt, auf dem mit immer neuen Storys von Schuld und Erlösung gehandelt wird. Hier soll stellvertretend für alle anderen Magazine, die sich aufopfernd um das »Drei Damen vom Grill«-Publikum kümmern, das Blatt Meine Schuld betrachtet werden. Meine Schuld erscheint monatlich, besteht aus einem Vierfarb-Hochglanzumschlag, der 62 Seiten minderwertiges Papier zusammenrafft. Bereits diese Aufmachung - wir kennen sie von einigen linken Blättern - soll andeuten: Es geht hier nur um den Inhalt.

»Es war eine schreckliche Zeit der Ungewissheit. Ich hatte furchtbare Angst um meine Tochter. Aber während ich um ihr Leben kämpfte, zerstörte ich fast meine Familie«, bekennt in der Dezemberausgabe von Meine Schuld Frauke H., deren Alter mit 33 angegeben wird. Frauke H. kümmert sich um ihr an Leukämie erkranktes Kind, die Familie zerfällt, doch ein Urlaub bringt sie wieder zusammen. Der Gatte entschuldigt sich, doch Frauke H. weiß es besser: »ðIch habe dir nichts zu verzeihenÐ, sagte ich leise, ðich weiß jetzt, dass auch ich Fehler gemacht habe.Ы

In einer anderen Geschichte kümmert sich der Ehemann nur noch um seinen »Stammhalter«. Darüber vernachlässigt er die Tochter. Ja, er schlägt sie sogar. Die 37jährige Andrea G. berichtet: »Betreten erwiderte ich den fassungslosen Blick meiner Mutter. Sie war kreidebleich. Sie sei ja nicht blind, erklärte sie, und dass Georg seine Tochter in letzter Zeit nicht mit Zuneigung überschütte, habe sie längst gemerkt. Sie wollte sich nur nie in unsere Erziehung einmischen. Aber Schläge? Dazu noch ins Gesicht? Ob das denn häufiger vorkäme? Ich musste es zugeben. Mehr noch. Georg war sogar schon mir gegenüber handgreiflich geworden. Aber was sollte ich denn tun? Mich von ihm trennen? Meinen Beruf übte ich schon seit Jahren nicht mehr aus, und mit zwei Kindern wäre das auch gar nicht möglich. Natürlich sei das möglich, fiel mir meine Mutter ins Wort und schaute mich beschwörend an. Ich dürfe mir diese Behandlung nicht länger gefallen lassen. Schon wegen Petra nicht. In meinem Beruf fände ich bestimmt wieder Arbeit und sei dann nicht mehr von diesem Macho abhängig. Und die Kinder? Sollte ich sie etwa in fremde Hände geben? Eine Oma sei keine Fremde, belehrte sie mich. Natürlich würde sie sich um Petra und Jan kümmern. Und wohnen könnten wir auch bei ihr. Zumindest in der ersten Zeit, bis ich eine passende Wohnung gefunden hätte. Seit Vaters Tod hätte sie ja mehr Platz, als eine alleinstehende Frau benötigt. Ich blieb unschlüssig. An Scheidung hatte ich bisher nicht gedacht.«

In einer anderen Geschichte wird versucht, einen Opa ins Altersheim zu geben, doch man besinnt sich. Oder: Der Ehemann hat einen Fußgänger überfahren und Fahrerflucht begangen. Das Opfer ist tot. Was kann frau tun? Ein Fährunglück raubt einer Frau den Bruder. Und, entsetzlich: »Der Sarg wurde leer beerdigt!« Eine Frau geht zu einer Wahrsagerin. Deren Prophezeiung erfüllt sich auf »seltsame Weise.« »Doch glauben wollte ich an ihre Fähigkeiten nicht.«

So weit, so schrecklich. Doch wo liegt die Schuld dieser Frauen, von der der Blatttitel kündet? Kann jemand etwas für Leukämie, den Unfall des Gatten oder die Richtigkeit der Prophezeiungen von Wahrsagerinnen? Die Schuld der Frauen in Meine Schuld ist es - biblisch gesprochen -, nur die gestohlene Rippe des Mannes zu sein. In allen Geschichten ist die Frau dem Mann hörig und untertan und kann sich erst dann von ihm lösen, wenn er selbst schuldig wird, etwa die Kinder schlägt oder vergewaltigt. Ansonsten muss sie zu ihm stehen. Die Zielgruppe des Magazins ist die Frau über 30, die, wie es in Heiratsanzeigen manchmal noch heißt, »ehrlich und sauber« ist, und die über die richtige Mischung aus Intuition und Naivität verfügt.

Man könnte Meine Schuld als Zentralorgan der deutschen Hausfrauenschaft bezeichnen. Denn der Trick ist die Einübung ins Rollenschicksal. Der Dialog zwischen der geschlagenen Frau und ihrer Mutter handelt davon, dass auch im Jahr 2000 eine allein erziehende Mutter noch ein Unding ist, und hier kann Gewalt gegen Frauen noch als »Handgreiflichkeit« heruntergespielt werden. Wie im Fall der Pfarrerstochter wird der Mann seiner eigenen Verfehlungen wegen verlassen, die Gefühle der Frau spielen keine Rolle.

Die Männer sind aktiv. Die Frauen aber sind durchweg »leise« und »unentschlossen«, sie sind verständnisvoll und sorgenreich, und sie »erblühen« allesamt, wenn sie schwanger werden. All ihre Entscheidungen treffen sie nur durch den Rat anderer, sie selbst merken und entdecken und empfinden nichts. Nicht nur, dass alle »Erlebnisberichte« den gleichen Duktus haben, ganz offensichtlich sind die Erlebenden auch zu keiner Emphase fähig. Sie leiden, aber sie sind sprachlos.

Nicht ihre Passivität wird ihnen zum Vorwurf gemacht, ihre Schuld liegt schon darin, dass sie überhaupt als Frau geboren wurden. All diese Frauen, deren Aufbruch darin besteht, sich einem anderen in die Arme zu legen oder den Rock kürzer als knapp überm Knie zu tragen, haben nichts gemacht, sondern nur ein bisschen was erlebt.

Aber das ist bereits zu viel und bedeutet: Schuld. Macht sie nichts und lässt die Dinge einfach laufen, ist es natürlich auch wieder verkehrt: schuldig! Ein Mann fährt jemanden um, seine Frau entdeckt es, was macht sie? Fährt sie los, um dem Überfahrenen zur Hilfe zu eilen? Informiert sie die Polizei oder den Notdienst? Nein, sie zankt. Der Überfahrene erliegt derweil seinen Verletzungen. Anderes Beispiel: Ein Mann schlägt seine Kinder. Geht die Mutter dazwischen? Nein, sie ist hilflos. Ruft die Polizei nicht, geht nicht ins Frauenhaus, wehrt sich nicht. Und will sich zunächst nicht scheiden lassen, wegen der Kinder. Sie hofft, dass es gut enden wird, wie alle Protagonistinnen dieser merkwürdigen »wahren Geschichten«. Und es endet auch gut. Der Unfallflüchtige stellt sich und nimmt die Strafe an. Der Schläger besinnt sich und lobt vor den Nachbarn seine Gattin. Prima! Alle sind glücklich.

Doch nicht nur für von Unfällen und Krankheit ihrer Angehörigen gebeutelte Frauen hat Meine Schuld jederzeit eine wunderbare Lösung anzubieten. Auch für Frauen, die mit Arbeitslosen und Überschuldeten verheiratet sind. Malte, der Gatte von Rita L., machte mit seiner zunächst gut gehenden Firma Konkurs. Zusammen gründen sie einen Partyservice, doch auch der geht pleite. Man hat Angst vor dem Gerichtsvollzieher. Also geht Rita bei einem alten Obsthändler-Ehepaar arbeiten. Wird es klappen?

Lesen Sie selbst: »Und so fragten sie mich, ob ich nicht Lust hätte, den Laden zusammen mit meinem Mann einfach weiter zu führen. Keinen Pfennig sollten wir zahlen, wir konnten sogar den Restbestand an Ware als Geschenk übernehmen. Auch die zum Laden gehörende geräumige Wohnung konnten wir übernehmen. Die alten Leute wollten zu ihrer Tochter ziehen. Ohne Malte zu fragen, griff ich zu. (...) Wir übernahmen den Pachtvertrag und die Ware, und als ich die beiden herzlichen Menschen, die bis dahin meine Chefs gewesen waren, zum Abschied umarmte, liefen mir die Tränen nur so über das Gesicht. Wir holten die Kinder zu uns, lebten in der Wohnung hinter dem Laden und verkauften Tag für Tag Obst und Gemüse. Malte fährt morgens in aller Frühe auf den Großmarkt, und dann bleiben wir bis zum Abend im Laden. Die Kinder kommen nach der Schule nach Hause, machen hinten ihre Hausaufgaben, und uns geht es endlich gut.«

Für die Leserinnen von Meine Schuld ist die Welt ganz schlimm. Aber auch wunderschön.