Staudammprojekt der türkischen Regierung

Gestauter Ärger

Die türkische Regierung will mit einem gigantischen Dammprojekt die ärmste Region des Landes entwickeln.

Der Beamte blickt unwillig drein und versteht die Welt nicht mehr. Wie kommen ausländische Journalisten überhaupt auf die Idee, sich allein in die südostanatolische Steppe zu wagen? Schließlich gibt es doch den Bus des Presseministeriums, der sie von einem Ort zum nächsten kutschiert. Sein Blick schweift über die Gruppe der Journalisten, die in einem Lokal von Urfa zufrieden ihr Mittagessen zu sich nimmt - und die sich doch tatsächlich alleine auf die Reise machen will.

Eine tiefe Stirnfalte verrät die Meinung des Beamten aus dem Presseministerium. Der Verzehr eines vom Ministerium finanzierten Kebap verpflichtet seiner Meinung nach auch zu allem Weiteren: eine gemeinsame Busfahrt zu den touristischen Stätten der Region, inklusive der Besichtigung eines Musterdorfes für die Umsiedler aus den Staudammgebieten.

Der Pressesprecher ist in einer misslichen Lage. Niemand beneidet ihn um seinen Job: Er muss den Mythos Gap beschwören, das große Staudammprojekt, das die südostanatolische Steppe in blühendes Ackerland verwandeln und nebenbei den Kurdenkonflikt befrieden soll. Zudem soll das Projekt die Energieversorgung in der Region sichern und den einträglichen Handel mit Wasser ermöglichen. Nur, an das große Wunder, dass sämtliche Probleme ein für allemal mit dem Staudamm verschwinden werden, daran glaubt heute fast niemand mehr. Vermutlich nicht einmal der Pressesprecher der türkischen Regierung.

Seit etwas mehr als zwanzig Jahren arbeiten die Ingenieure daran, die Flüsse Mesopotamiens in 22 Dämmen zu stauen. Bis in die Grenzregion mit Syrien und Irak, die über das Projekt alles andere als erfreut sind, soll das Projekt reichen.

Bereits in den achtziger Jahren umriss der verstorbene Ministerpräsident Turgut Özal mit den bedeutungsvollen Worten, »die anderen Staaten der Region haben Öl, wir haben Wasser«, die außenpolitische Dimension des Gap-Projektes. Nach der für das Jahr 2010 geplanten Vollendung des Staudamms soll nach Schätzungen zwei Drittel weniger Wasser in die Nachbarländer fließen als vor der Stauung.

Schon jetzt dreht Ankara vor allem dem ungeliebten Nachbarn Syrien öfters den Hahn zu. Diesen Herbst floss etwa nur ein Drittel der vereinbarten Menge von 500 Kubikmetern pro Sekunde über die türkisch-syrische Grenze. Die Syrer sind nicht zu Unrecht erbost, schließlich nötigten sie im vergangenen Jahr auf Druck Ankaras den PKK-Chef Abdullah Öcalan, ihr Land zu verlassen. Dessen Reise endete schließlich, wie von den Türken erwünscht, auf der Gefängnis-Insel Imrali im Marmara-Meer.

Der türkische Geheimdienst beschuldigt Syrien allerdings immer noch, hohen PKK-Funktionären Unterschlupf zu gewähren. Gleichzeitig beobachtet Syrien das gute Verhältnis zwischen der Türkei und Israel mit wachsendem Groll. Israel erhält nicht nur das so dringend benötigte Wasser; gleichzeitig kooperieren beide Länder auch noch militärisch und geheimdienstlich gegen Damaskus.

Bis kurz vor die syrische Grenze reichen die Baumwollfelder und Pistazienplantagen, so, als wollte man den an der Dürre leidenden Nachbarn verspotten. Doch darauf beschränkt sich bislang auch schon der landwirtschaftliche Segen, den die bereits fertig gestellten zwölf Dämme des Gap-Projekts erbringen. Geplant sind zwar Erdbeer- und Weizenfelder, Mandelbaum-Plantagen, Sojabohnenproduktion und Truthahnfarmen. Bis jetzt erreicht die Bewässerung allerdings nur zwölf Prozent des angestrebten Plansolls. Entsprechend verärgert ist die Bevölkerung über das »Entwicklungsprojekt«.

So hält sich auch in Urfa die Begeisterung in Grenzen. Die Verantwortlichen würden zwar immer neue Jobs versprechen, berichten einige Einwohner auf Nachfrage, tatsächlich kommen die meisten Arbeitskräfte jedoch aus dem Westen. Außerdem mangele es an verarbeitender Industrie und schon jetzt gebe es eine große Binnenmigration nach Harran. Dort fließt das Wasser schließlich auch hin.

Im Dorf Küçükköy in der Nähe des Atatürk-Staudamms, dem Herzstück des Gap-Projektes, laufen kleine Kinder mit großen Wasserkanistern über holprige Wege. Die Kinder eilen zu einem der drei Brunnen im Dorf. Hier muss man sich anstellen, denn täglich spenden sie nur zwei Stunden lang Wasser und die 300 Haushalte müssen zusehen, dass sie ihren Tagesbedarf in Kanister abschöpfen.

Auf frisches Wasser wartet auch die elfjährige Ayse. Sie wurde im vergangenen Sommer von ihrem Vater aus der Schule genommen, weil sie langsam in das heiratsfähige Alter kommt. Die Region Urfa ist für ihre harschen Traditionen berüchtigt. Immer wieder werden vor allem junge Mädchen im Namen der Ehre von minderjährigen Brüdern oder Cousins hingerichtet, weil die jungen Racheengel vor Gericht milder bestraft werden als Erwachsene.

Eigentlich hätte Ayse bis zur achten Klasse weiterlernen müssen, denn in der Türkei herrscht eine achtjährige Schulpflicht, die jetzt sogar auf zwölf Jahre erhöht werden soll. Dabei handelt es sich allerdings um reine Absichtserklärungen - nicht nur wegen der rigiden Traditionen in dieser Region, sondern auch, weil es an den nötigen Lehrkräften fehlt. Etwa 2 000 Dorfschulen hatten in diesem Jahr in Südostanatolien keinen Lehrer, weil sich niemand in die rückständigste Region der Türkei versetzen lassen will. Auf die Frage, was von Gap zu erwarten sei, gibt es in Küçükköy nur eine Antwort: Nichts außer der Hoffnung, dass es irgendwann besser wird.

Am nächsten Tag fährt der Bus des Presseministeriums zum Stausee von Birecik, dem viertgrößten Damm am Oberlauf des Euphrats. Auf dem Weg hält er an einer Mustersiedlung für die Umsiedler aus den überfluteten Dörfern. Besonders einladend sieht es dort nicht aus. Bei den exakt angeordneten, in Militärgrün und Erdgelb gestrichenen Betonquadraten könnte es sich auch um ein Militärcamp handeln.

Nicht viele Dorfbewohner hatten Lust, hier einzuziehen - ganz abgesehen davon, dass die 220 Wohneinheiten die 6 500 Betroffenen aus den umliegenden Dörfern gar nicht aufnehmen können. Der Direktor für Infrastruktur und zivile Arbeiten der Gap-Administration, Mustafa Aydodu, versichert allerdings, dass alle Umsiedler finanziell für den Verlust ihrer Häuser und Äcker entschädigt wurden.

Doch es gibt auch Leute, die mit Gap hochzufrieden sind. Beim Abschluss-Essen der Pressefahrt im Hotel Harran geben sich alle gut gelaunt. Zufrieden sind vor allem die privaten Betreiber der Staudämme. Sie sind, zusammen mit den internationalen Banken und den ausländischen Firmen, die eigentlichen Gewinner des Gap-Projektes. Getreu der türkischen Privatisierungsmethode bauen sie die Dämme und betreuen anschließend das Projekt 15 Jahre lang. Dann geben sie die maroden Bauwerke an den Staat zurück. Ein einträgliches Geschäft.

Und auch Gülabi Polat, der Direktor des Elektrizitätswerkes am Atatürk-Staudamm schwärmt von dem lukrativen Projekt. Allein der Atatürk- und der Karakaya-Staudamm hätten bis zum Herbst letzten Jahres Energie im Gegenwert von zehn Milliarden Dollar erzeugt: der bisherige Gesamtaufwand für Gap beträgt 14 Milliarden Dollar. Zumindest bei diesem Treffen sprühen alle Teilnehmer vor Optimismus. Selbst der Beamte des Presseministeriums trägt ein bequemes Freizeithemd und gönnt sich einige Gläschen Raki.