Ex-Nazi Ingo Hasselbach in »Lost Sons«

Begleitservice

»Wie kann ein intelligenter, sensibler junger Mann zum Neonazi werden? Und wie reagiert ein deutscher Vater, der das Dritte Reich erlebt hat, wenn die Geschichte sich wiederholt?« In Berlin trifft der Regisseur Fredrik von Krusenstjerna »zwei außergewöhnliche Deutsche: Vater und Sohn«. Drei Jahre lang begleitet er den ehemaligen Neonazi Ingo Hasselbach, der 1993 medienwirksam aus der rechten Szene ausstieg, und dessen leiblichen Vater Hans Canjé, ein bis heute aktiver Antifaschist, der in der DDR ein bekannter Journalist und Leiter des Jugendradios war. Das Resultat dieses Begleitservice ist die Dokumentation »Lost Sons«.

Im Mittelpunkt dieses düster gehaltenen Films steht die Vater-Sohn-Beziehung. Politische Gesinnung wird hier als Ergebnis einer nicht stattgehabten Unterredung zwischen Erzeuger und Sprössling inszeniert. Canjé verweigerte seit den achtziger Jahren wegen Hasselbachs politischer Überzeugung jeden Kontakt. Inzwischen wäre er bereit, mit ihm zu reden, aber der gefallene Sohn müsste den Anfang machen. Worin dieser allerdings keinen Sinn mehr sieht, da ihm der Vater heute nicht den fehlenden Vater seiner Kindheit ersetzen könne.

Die Nüchternheit dieser Haltungen steht im krassen Gegensatz zum Pathos des Films. Zu Bildern des nächtlichen Berlin - schließlich wird die Schattenseite deutscher Geschichte behandelt - intoniert der Erzähler im Unheil verkündenden Märchenonkelstil Fragen, die falsche Gegensätze und Kausalitäten konstruieren. So bleibt zweifelhaft, warum sich Krusenstjerna nur auf das Verhältnis zum biologischen Vater fixiert. Wuchs Ingo doch bei Mutter und Stiefvater auf und wurde von diesem nach der Geburt eines eigenen Sohnes ins Kinderheim verbannt. Doch das interessiert ebenso wenig wie die Rolle der Mutter. Frauen kommen in diesem Film ohnehin nicht vor, nur einmal ohne Kopf und Beine, als Rumpf sozusagen kommt eine Frau ins Bild; die namenlose Dame leert stumm Aschenbecher aus.

Auch die Tatsache, dass die Karriere des Medienphänomens Hasselbach, sein »Aufstieg« vom arbeitslosen Maurer zum führenden Neonazi Deutschlands, erst in der BRD begann, beirrt den Regisseur bei seiner Recherche nach der Beziehung zum biologischen Vater nicht weiter. Die große Rätselfrage »Wie kann ein Neonazi hübsch sein?« behauptet einen Zusammenhang zwischen Gesinnung und Biologie bzw. Physiognomie, um sich dann über die Ausnahmeerscheinung des schönen Nazi zu wundern. Dass gerade dieser konstruierte Gegensatz zwischen feinen Gesichtszügen und brutalen Handlungen Hasselbachs Erfolgsrezept war - sowohl bei den Nazis wie bei den Medien vor und nach seinem Ausstieg -, entzieht sich der Reflexion des Filmemachers.

Der Versuch, durch die Außenperspektive des nicht-deutschen Films zum Wesen der Deutschen vorzudringen, schlägt fehl. In jeder Hinsicht. Selbst das betrauerte Schweigen an den Fronten, versinnbildlicht an der Sprachlosigkeit zwischen Vater und Sohn, ist falsch. Geredet wird über neue alte Rechte in sämtlichen Konstellationen ständig. Ebenso wie sich Biografien über böse Jungs beharrlich auf Grabbeltischen oder Bildschirmen finden. Sie erklären halt kaum was. Das erneut vorzuführen, mag ein Verdienst dieses Filmes sein.

»Lost Sons«, R: Fredrik von Krusenstjerna, Deutschland/Schweden 1999. Bereits angelaufen